Luxussanierungen:Vertreibung aus dem Viertel

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Mehr Fluch als Segen. Urbanistik-Forscher Gregor Jekel über das Phänomen der Gentrifizierung in München und deren Folgen.

Bernd Kastner

Das Gegeneinander von Mietern und Hauseigentümern, von eingesessener Bevölkerung und Sanierern ist Dauerthema in München. Derzeit kocht, wie berichtet, der Konflikt in der Maxvorstadt hoch. Gregor Jekel, 39, beschäftigt sich als Geograf am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin mit Wohnungspolitik und Stadtentwicklung. 2005 arbeitete er an einer Studie über das Glockenbachviertel mit. Bernd Kastner sprach mit ihm über das Gebaren von Investoren, die Machtlosigkeit einer Kommune und die Dynamik der Gentrifizierung.

Luxussanierungen, wie hier in der Münchner Maxvorstadt, führen zur Aufwertung eines Stadtviertels. Steigende Mieten und die Verdrängung der Alteingesessenen sind jedoch häufig die Folgen. (Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Stadtforscher sprechen immer von Gentrifizierung. Beschreiben Sie das doch bitte mal so, dass es auch der durchschnittliche Stadtbewohner versteht.

Gregor Jekel: Früher hat man bei uns von Yuppisierung gesprochen, man könnte auch Nobilisierung sagen. Es geht jedenfalls um die Veredelung eines Stadtquartiers. In Gentrifizierung steckt das englische Wort "gentry" für den niederen Adel, für eine Art Oberschicht, die in innerstädtische Quartiere zieht.

SZ: Und wie geschieht dies?

Jekel: Der Prozess besteht aus zwei Teilen: der Aufwertung eines Viertels und der Verdrängung der angestammten Bevölkerung. Idealtypisch ist dies in New York oder London zu beobachten, aber auch in Schwabing ist das vor Jahrzehnten schon geschehen. Es passiert meist in Quartieren mit vielen leer stehenden Wohnungen. Diese Viertel werden dann entdeckt von den Pionieren ...

SZ: ...Pioniere?

Jekel: Das sind Gruppen, die aus Künstlern, aus Kreativen bestehen, natürlich auch aus Studenten. Leute, die nicht viel Geld haben, auf günstigen Wohnraum angewiesen sind und Freiraum brauchen. Ihre Aktivitäten machen andere auf das Viertel aufmerksam, es entwickelt sich eine Szene. Der Ruf des Quartiers wird besser, immer mehr gehen dort abends aus oder wollen hinziehen - der erste Schritt zum Wandel.

SZ: Und der zweite?

Jekel: Dann kommen die mit mehr Geld. Das sind dann zum Beispiel Leute aus dem Medienbusiness, die erste berufliche Erfolge haben. Sie bevorzugen ein gewisses Umfeld, machen das Viertel damit noch attraktiver, und das zieht Bewohner mit noch mehr Geld an. In der Folge steigen die Mieten, die Spirale dreht sich. Dann verschwindet der Freiraum, die Pioniere von früher ziehen weiter ins nächste Quartier.

SZ: Das passiert seit Jahren im Glockenbach- und Gärtnerplatzviertel.

Jekel: Naja, die Fachwelt diskutiert darüber, ob die Gentrifizierung in Deutschland in Reinform vorkommt. Bei uns wird der Prozess durch das Mietrecht zumindest deutlich abgefedert, es ist eine schleichende Entwicklung.

SZ: Und was ist mit dem Prenzlauer Berg in Berlin? Der ist doch längst Synonym für Aufwertung und Verdrängung.

Jekel: Genau genommen gab es dort lange Zeit gar keine Verdrängung alter Bewohner. Die sind freiwillig gegangen, weil sie nach dem Fall der Mauer raus wollten aus den maroden Altbauwohnungen. Erst in jüngster Zeit hat sich das geändert: Wer im Stadtteil eine neue Wohnung sucht, kann sich die oft nicht mehr leisten und muss wegziehen; das genau ist das Schleichende: die Verdrängung betrifft nur die Umzugswilligen.

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SZ: In München beklagen sich Bewohner, dass über Viertel wie Schwabing und Maxvorstadt gerade eine zweite Welle der Aufwertung hinweggehe.

Jekel: Das ist durchaus denkbar. Dass, wenn man so will, der niedere Adel vom höheren Adel verdrängt wird.

SZ: Ist die Gentrifizierung nun Fluch oder Segen für eine Stadt?

Jekel: Der eine Teil, die Aufwertung, kann beides sein, das hängt von der Ausgangslage ab. Nehmen Sie Bezirke wie Neukölln oder Wedding in Berlin. Wenn die aufgewertet werden, kann das durchaus im Interesse einer sinnvollen Stadtentwicklung sein. Was anderes ist es in Vierteln, in denen es bislang die allseits gewünschte gemischte Struktur gibt, in der Ärmere und Wohlhabende, Deutsche und Migranten, Singles und Familien miteinander leben. Dort kann es leicht zu einer Segregation kommen, hier die Reichen, dort die Armen, und das wäre dann eher ein Fluch.

SZ: Und wie bewerten sie den zweiten Teil des Prozesses, die Verdrängung?

Jekel: Es fällt mir schwer, daran etwas Positives zu erkennen, wenn Alteingesessene wegziehen, weil sie sich ihr Viertel nicht mehr leisten können. Das ist auch der Grund, warum ich die Gentrifizierung insgesamt sehr kritisch sehe.

SZ: Nun erwidern viele Immobilieneigentümer: Wir müssen das Haus doch sanieren, damit es nicht zusammenfällt, müssen es energetisch modernisieren.

Jekel: Die Frage aber ist, wie man das angeht. Verfolgt ein Eigentümer hohe Renditeziele, oder steht für ihn das Wohl der Bewohner im Vordergrund. Letzteres ist meist bei Genossenschaften oder kommunalen Immobiliengesellschaften der Fall. Entscheidend ist das Geschäftsmodell dahinter. Behält der Investor Mietwohnungen bei oder macht er Eigentumswohnungen daraus und verkauft sie gewinnbringend weiter. Lässt er ein Haus verwahrlosen, um die alten Mieter hinauszuekeln, oder bietet er ihnen Abfindungen an für den freiwilligen Auszug.

SZ: 20.000 Euro oder mehr für den Auszug sind in München keine Seltenheit.

Jekel: So ein Vorgehen sehe ich sehr kritisch, auch seitens der Bewohner, die dieses Geld nehmen. Sie handeln eigennützig. Indem sie auf ihren eigenen Vorteil schauen, fördern sie den Prozess der Verdrängung. Und sie nehmen sich einen Teil des Gewinns, den ein Investor mit eben dieser Verdrängung macht.

SZ: Solche Mieter wollen oft dem bevorstehenden Baustellenstress entgehen. Können Sie das nicht verstehen?

Jekel: Schon, aber so eine Sanierung muss ja nicht Jahre dauern; da sind wir wieder beim Agieren des Eigentümers. Außerdem hätten viele auch die Möglichkeit, den Mietern Ersatzwohnungen anzubieten.

SZ: Sie sind sehr kritisch gegenüber Investoren und Sanierern.

Jekel: Ich möchte das Schaffen von hochwertigem Wohnraum nicht generell verteufeln. Der Bedarf ist ja vorhanden. Die entscheidende Frage aber ist, in welchem Umfang es geschieht. Vereinzelt oder flächendeckend. Wenn es in großem Stil geschieht, wird es kritisch.

SZ: Wie kann eine Kommune diese Entwicklung steuern?

Jekel: Das ist sehr, sehr schwierig. Sie kann Sanierungsgebiete ausweisen oder Erhaltungssatzungen erlassen. So etwas gibt es in Berlin, aber auch in München. Das ist dann das schärfste Schwert einer Stadt, aber wie scharf es ist, hängt vom Mut ab, es bis zur letzten Konsequenz anzuwenden. Fest steht: reaktive Maßnahmen verlangsamen den Prozess allenfalls, federn ihn sozial ab, aber sie verhindern ihn nicht.

© SZ vom 16.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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