Krippenplatzmangel in München:Knebelverträge in der Kita

1700 Euro Kaution, Bearbeitungsgebühren in dreistelliger Höhe: Was Eltern in München erleben, wenn sie sich um einen Krippenplatz bei einem privaten Kitabetreiber bewerben.

Tina Baier

Nina Miller war in der zehnten Woche schwanger, als sie an der Tür der "Schatzsucher" klingelte.Sie wollte sich die private Kindertagesstätte anschauen und sich eventuell gleich für einen Platz vormerken lassen. "Jochen Pfeiffer, der Leiter der Krippe war da und bot auch gleich an, mir die Räume zu zeigen", sagt Nina Miller.

Kinderdienst: Mehr Krippenplaetze fuer Kinder unter drei Jahren

Kinderbetreuung durch die Privatwirtschaft: In München gibt es keine Vorschriften, wie viel ein Krippenplatz maximal kosten darf.

(Foto: ddp)

Doch im Lauf des Rundgangs durch die architektonisch schönen und exklusiv mit Naturmaterialien eingerichteten Räume wurde das Gespräch immer merkwürdiger. Sie sei viel zu spät dran, habe Herr Pfeiffer bemerkt; am besten sei es, sich schon vor der Zeugung des Kindes um einen Platz zu bewerben. "Als ich mich auf die Warteliste setzen lassen wollte, bemerkte Herr Pfeiffer: ,Ja, das müssen Sie sich aber leisten können, Sie wissen sicherlich, dass knapp 1000 Euro für einen Ganztagsplatz zusammenkommen können", erzählt Nina Miller.

Als sie später die Vertragsbedingungen der Kita per Mail zugeschickt bekommt, kann sie kaum glauben, was dort steht: Um sich im März 2010 einen Platz für September 2011 zu sichern, soll sie der Kita ein Darlehen von 1,5 Monatsgebühren gewähren. "Das wären etwa 1700 Euro gewesen", sagt Nina Miller. "Dieses Darlehen ist von der 'KITA am Englischen Garten' nicht zu verzinsen", heißt es weiter.

Und: "Dieses Darlehen ist sofort fällig und innerhalb von 2 Wochen zu begleichen ... Sollte der Vertrag in einem Zeitraum von mehr als 3 Monaten vor dem Aufnahmedatum des Kindes gekündigt werden, fällt eine Bearbeitungsgebühr von EUR 450,00 an und wird von dem hinterlegten Darlehen einbehalten. Sollte der Vertrag in den letzten 3 Monaten vor dem Eintrittsdatum des Kindes schriftlich gekündigt werden, hat die KITA am Englischen Garten das Recht, das hinterlegte Darlehen als Ausgleich einzubehalten."

"Darf es sein, dass ein privater Krippenbetreiber sich am Krippenplatzmangel derart bereichert?", fragte Nina Miller in einem Brief an die Bundesfamilienministerin, der mit einem Standardschreiben beantwortet wurde. Nach Auskunft des Münchner Sozialreferats bekommt die Kindertagesstätte Zuschüsse von der Stadt und vom Freistaat. "Das klingt nicht so schön", sagt die zuständige Sachbearbeiterin. "Wir beraten die Träger anders."

Zwar sei es üblich, dass privatwirtschaftliche Krippen eine Kaution verlangen, da sie das finanzielle Risiko tragen und sich absichern müssen, etwa wenn Eltern einen Tag vor Beginn der Betreuung anrufen und absagen. Unüblich sei aber, die Kaution so lange im Voraus zu verlangen und sie nicht zu verzinsen. Auch die Bearbeitungsgebühr von 450 Euro sei "merkwürdig". Das Sozialreferat hat schnell reagiert, geht dem Fall jetzt nach und "klärt die Sachlage". Doch solange das Kindeswohl nicht gefährdet ist, habe man "keine rechtliche Handhabe", da es sich um einen privatrechtlichen Vertrag zwischen dem Anbieter und den Eltern handelt.

"Bis wir einen Platz sicher zusagen, haben wir einiges getan", erklärt Jochen Pfeiffer die Bearbeitungsgebühr von 450 Euro. "Wir haben zwei bis drei Stunden mit den Eltern geredet, und wir haben uns genau überlegt, in welche Gruppe das Kind am besten passt." Er verweist auf andere private Kindertagesstätten in München, die Einschreibegebühren verlangen, was die "Schatzsucher" bewusst nicht täten. Die Kaution komplett einzubehalten, hält er für gerechtfertigt, wenn "einer kommt und kurzfristig absagt, weil er was Besseres und was Billigeres" gefunden hat.

Seit dem 1. August 2005, also seit das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) in Kraft getreten ist, können privatwirtschaftliche Kindertageseinrichtungen Zuschüsse beantragen, die jeweils zur Hälfte von der Stadt und vom Freistaat bezahlt werden. Einmalig für Investitionen, etwa Umbauten, und für den laufenden Betrieb. Ziel war, möglichst schnell möglichst viele neue Betreuungsplätze zu schaffen, besonders für Kinder unter drei Jahren. Diese Rechnung scheint aufzugehen. Nach Angaben aus dem Sozialreferat sind in den vergangenen vier Jahren in München 50 privatwirtschaftliche Kitas neu entstanden, die meisten davon mit Schwerpunkt auf der Betreuung von Kindern unter drei Jahren.

Doch es gab heftige Diskussionen darüber, ob es richtig ist, den sensiblen Bereich der Kinderbetreuung für die Privatwirtschaft zu öffnen. "Die Befürchtungen gehen in zwei Richtungen", sagt Birgit Riedel, die sich am Deutschen Jugendinstitut mit dem Thema beschäftigt. Zum einen, dass teure und elitäre "Edelkitas" für Kinder aus reichen Familien entstehen und die soziale Schere noch weiter auseinandergeht. Zum anderen, dass die Qualität der Betreuung schlechter ist als in den städtischen Kinderkrippen.

Um eine pädagogisch gute Betreuung zu gewährleisten, hat der Münchner Stadtrat die sogenannten Münchner Qualitätsmerkmale beschlossen. Wenn diese nicht erfüllt sind, gibt es keine Betriebserlaubnis und damit auch keine Zuschüsse. Unter anderem dürfen maximal zwölf Kinder unter drei Jahren in einer Gruppe gemeinsam betreut werden. Die Räume müssen so groß sein, dass jedes Kind mindestens 5,5 Quadratmeter zur Verfügung hat. In München scheitern nach Auskunft des Sozialreferats etwa zwei Drittel der Anträge, weil sie den strengen Standards nicht genügen. Doch Vorschriften, wie viel ein Krippenplatz maximal kosten darf, gibt es keine.

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