Kommunalwahl in Haar:Machtmaschine im Belastungstest

An der SPD führt in der Gemeinde Haar seit Jahrzehnten kein Weg vorbei. Nach dem Abschied von Bürgermeister Helmut Dworzak kämpft die Partei um die Fortsetzung der Ära unter Gabriele Müller. Die CSU will mit Thomas Reichel den Weg heraus aus der Diaspora nehmen.

Von Bernhard Lohr

Haar, Podiumsdiskussion mit Haarer Bürgermeisterkandidaten bei der Volkshochschule im Bürgerhaus

SPD-Bürgermeisterkandidatin Gabriele Müller bei einer Podiumsdiskussion in Haar.

Wenn man ein paar Jahre der Herr im Haus ist, dann stellt sich ein Wohlbefinden ein. Man kennt den Laden, weiß, wie der Hase läuft, und lebt mit der Gelassenheit eines Zeitgenossen, der sicher ist, alles im Blick zu haben. Bürgermeister Helmut Dworzak hat der SPD in Haar lange Jahre zu diesem guten Gefühl verholfen. Dass den Sozialdemokraten der Erfolg in Bayern bekanntlich nicht in den Schoß fällt, führte dazu, dass die SPD bei aller Behaglichkeit, die ein populärer Bürgermeister und eine absolute Mehrheit mit sich bringen, immer hellwach blieb. Zur rechten Zeit stutzten Dworzak oder seine um kein Wort verlegenen SPD-Mannen Alfons Meindl, Alexander Zill oder Cherin Sakkal die CSU im Gemeinderat aufs gewünschte Maß zurecht.

Doch ausgerechnet gegen Ende der Ära Dworzak kamen Zweifel daran auf, dass die SPD alles noch voll im Griff hat. Zwei Mal in Folge brachen die Gewerbesteuereinnahmen um mehrere Millionen Euro ein. Glücklich war darüber natürlich niemand. Aber die CSU hatte plötzlich ein Thema und konnte Dworzak und der SPD vorhalten, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Die SPD habe es versäumt, Unternehmern den roten Teppich auszurollen.

Bürgermeisterkandidat Thomas Reichel schlug so flugs vor, einen Wirtschaftsreferenten im Rathaus zu installieren. Unternehmer bräuchten einen Ansprechpartner, sagt er und verlegt sich im übrigen darauf, die CSU als sparsame Haushälter darzustellen. Und dann kam auch noch unverhofft die Realschul-Debatte. Auch da genießt es die CSU jetzt, ihren Urheberrechts-Stempel draufsetzen zu können. Die zögerliche SPD, den in der Sache eigenartig zurückhaltend agierenden Bürgermeister Dworzak und die SPD-Bürgermeisterkandidatin Gabriele Müller will man vor sich hertreiben. Nach dem Motto: Wir bringen die Realschule nach Haar.

Doch die Frage, wie die beiden zentralen Botschaften der CSU beim Wähler ankommen, ist noch nicht beantwortet. Immerhin hat Reichel ausdrücklich klar gemacht, die Realschule auch unter finanzieller Beteiligung der Gemeinde nach Haar holen zu wollen. Ein zweistelliger Millionenbetrag steht im Feuer. Den Titel des guten Haushälters setzt er damit freilich ein Stück weit aufs Spiel. Der CSU-Fraktionschef und Hoffnungsträger der Partei in Haar sagt, die Bildung sei es ihm wert. Es gehe um eine Zukunftsentscheidung. "Das ist ein mutiges Projekt."

Dass die CSU-Parteifreunde in München-Ost ungeachtet der Haarer Ambitionen eine Realschule in der Messestadt fordern, nimmt Reichel gelassen hin; auch wenn die Haarer Schule nur dank Münchner Schüler als sinnvoll angesehen wird. Reichel kann sich vorstellen, dass das Schülerpotenzial für zwei Realschulen, in der Messestadt und in Haar, reicht. Bei der Realschule, so empfindet es Reichel, "ist die CSU in der Offensive".

Dann wäre die SPD in der Defensive. Aber das kennt die SPD in Haar nicht und Bürgermeister Helmut Dworzak hat frühzeitig viel dafür getan, dass seine Leute mit einem Vorsprung in das Rennen um seine Nachfolge gehen. Schon früh war parteiintern klar, dass Müller ihm nachfolgen soll. Müller wurde Zweite Bürgermeisterin und übernimmt seit Monaten viele offizielle Termine. Sie hat eine Ochsentour hinter sich und ist jetzt in jedem Straßenzug bekannt. Auch sonst läuft die Machtmaschine SPD wie geschmiert und manchmal so effizient, wie man es sonst nur von der CSU in deren Hochburgen kennt.

Haar, Podiumsdiskussion mit Haarer Bürgermeisterkandidaten bei der Volkshochschule im Bürgerhaus

Thomas Reichel ist Bürgermeisterkandidat der CSU.

Schafkopen mit der SPD

Das große Schafkopfturnier veranstaltet in Haar typischerweise die SPD und die Forderung nach einem auf Streife gehenden Wachdienst vertritt sie im Gemeinderat mit großem Selbstbewusstsein. Auf der anderen Seite bringt sie mit ihrem Bürgermeister, der zur rechten Zeit auch große Philosophen zu zitieren weiß, den Schuss Intellektualität mit, den sich viele Haarer von ihrer SPD erwarten. Erst dieser Tage war Dworzak in Brüssel, um vor EU-Vertretern den "Haarer Weg" bei der Gemeindeentwicklung zu erläutern. Statt Supermärkten auf der Wiese gibt es den Aldi im Zentrum mit Parkhaus. Wie man das hinbekommt, das interessiert über die Gemeindegrenzen hinweg. "Wo sind Versäumnisse gemacht worden?", fragt die potenzielle Dworzak-Nachfolgerin Müller, die mit betont frischem Auftreten die SPD-Ära fortsetzen will. Nirgends, sagt sie. Und doch weiß sie nur zu gut: Der Wählerwille ist schwer zu ergründen. "Das Rennen ist noch offen."

Es ist nach langen Jahren mit vorhersehbaren Wahlergebnissen ein Rennen mit vielen Unbekannten. Es wird nach Dworzaks altersbedingtem Ausscheiden einen Wechsel geben, und die Frage ist, ob die Wähler nicht einfach aus einer Laune heraus sagen, sie wollen mal den Schwarzen eine Chance geben. Wie kommen die Bürgermeisterkandidaten Reichel und Müller bei den Leuten an? Und was ist vor allem auch mit den Grünen und der jetzt auch wieder auf einen Einzug in den Gemeinderat spekulierenden Freien Wählergemeinschaft?

Die Grünen haben sechs Jahre von allen Seiten anerkannt Sachpolitik gemacht. Auf die Stimmen von Mike Seckinger und Werner Kozlik kommt es im Gemeinderat nicht an. Mehrheiten finden sich auch anders. Aber sie werden gehört. Und die Grünen haben ein ehrgeiziges Programm formuliert. Sie setzen Akzente. Wollen mehr Bürgerbeteiligung und pochen auf mehr Engagement bei der Energiewende. Und sie hadern damit, dass in dem auf die Kandidaten ums Bürgermeisteramt zugespitzten Wahlkampf die Grünen etwas im Abseits stehen.

Rührig sind sie und suchen als die Kleinen den größtmöglichen Verbreitungskanal. Sie lassen mit 209 Facebook-Anhängern SPD (105) und CSU (75) weit hinter sich. Eine Unbekannte, die das Zünglein an der Waage werden könnte, ist die Freie Wählergemeinschaft (FWG). Sie sieht sich jetzt schon als Sieger, weil sie dank genügend Unterstützer-Unterschriften bei der Wahl antreten darf. Anders als 2008 sind diesmal also vier Gruppierungen am Start, was ganz unabhängig von der Bürgermeister-Entscheidung schwierigere Mehrheitsverhältnisse im künftigen Gemeinderat erwarten lässt.

Umworben wurden die Freien schon. Die Frage, welchen Bürgermeisterkandidaten sie unterstützen, wurde schon öfter an sie herangetragen. Doch politisch sind die Freien nicht so leicht auszurechnen. Die Grünen verzichten offiziell auf eine Aussage, welchen Bürgermeisterkandidaten sie unterstützen. Doch es ist klar, dass sie hinter Müller stehen. Die FWG lässt sich überhaupt nicht in die Karten schauen. Vorstandsmitglied Jens Wöhler sagt, es würde dem Selbstverständnis der Freien zuwider laufen, würde man einen Günstling benennen. Die Freien setzten sich von den anderen durch "eine ganz andere Herangehensweise" an Politik ab. Parteiräson kenne man nicht, auch keine programmatischen Zwänge. Man wolle als "Moderator" im Gemeinderat mitwirken.

Natürlich sind Zwischentöne im Wahlkampf nicht immer gefragt. Damit kann man, gerade so wie mit noch so überzeugend klingenden Argumenten, untergehen im zugespitzten Streit der Meinungen. Eine solche Zuspitzung gibt es etwa im Konflikt zwischen SPD und CSU wegen des Baus eines Hochhauses an der Münchner Straße. Angeblich arbeiten auch schon Bürger an einem Bürgerbegehren gegen den Wohnturm. Die CSU traut sich dabei nicht ganz aus der Deckung.

Man wolle nicht das Zugpferd sein, sagt Reichel, würde die Gegner des Projekts bei einem Bürgerbegehren aber unterstützen. SPD-Frau Müller erlebt derweil an Infoständen, dass sie Kritiker des Turms mit ihren Argumenten für verdichtetes Bauen an der richtigen Stelle erreicht. So eine Anti-Stimmung wie manche meinten, gebe es gar nicht, sagt sie. Aber sie weiß natürlich, dass es auch die gibt, die ihr nicht zuhören wollen und aus dem Bauch heraus entscheiden.

Für die gibt es im Haarer Kino derzeit Entscheidungshilfe, wem sie am 16. März bei der Bürgermeisterwahl ihre Stimme geben sollen. Von der SPD bekommen sie vor Beginn des Hauptfilms in Bildern die schöne Welt in Haar vorgesetzt. Uns geht es doch gut, findet die SPD und fragt: "Warum dann schwarz sehen?" Die CSU vertritt in ihrem Spot eine andere Farbenlehre. "Ist Ihnen Haar zu rot?", fragen die Schwarzen erst. Die Antwort liefert bei ihnen dann ein Fön, der das Rot von der Leinwand bläst. "Frischer Wind für dein Haar."

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