FC Bayern vs. TSV 1860:"FC Blauer Bock statt FC Hollywood"

Schlagabtausch zwischen einem Roten und einem Blauen: Dramatiker Albert Ostermaier und Kabarettist Michael Lerchenberg über die Tragödien beim TSV 1860 München, Synchronatmen und Klodeckel vor den Augen.

Michael Ruhland und Wolfgang Wittl

Der Treffpunkt passt: Löwenpassage. Albert Ostermaier, 43, Lyriker, Dramatiker, Torwart der Autorennationalmannschaft und vor allem Anhänger des FC Bayern München, ist pünktlich. Wer fehlt, ist 1860-Fan Michael Lerchenberg, 57. Die Minuten vergehen, der Kabarettist, Schauspieler und Intendant lässt auf sich warten. Ostermaier lästert: "Wo bleibt er denn, der Sechzger? Versagt schon wieder!" Die verbalen Messer sind gewetzt, Lerchenberg taucht auf, die S-Bahn hatte Verspätung. Es kann losgehen mit dem Schlagabtausch zwischen einem Roten und einem Blauen.

FC Bayern vs. TSV 1860: Komödie oder Trauerspiel? Streitgespräch zwischen dem 1860-Fan Michael Lerchenberg (links) und dem FC Bayern-Fan Albert Ostermaier (rechts).

Komödie oder Trauerspiel? Streitgespräch zwischen dem 1860-Fan Michael Lerchenberg (links) und dem FC Bayern-Fan Albert Ostermaier (rechts).

(Foto: Stephan Rumpf)

Herr Ostermaier, für einen Dramatiker liefert das Verhältnis FC Bayern - TSV 1860 doch wunderbaren Stoff.

Albert Ostermaier: Sechzig versucht gerade, auf FC Hollywood zu machen, es sieht aber mehr nach FC Blauer Bock aus. Ich habe die Derbys immer geliebt, aber für Literatur braucht man eine Fallhöhe, und die sehe ich nicht.

Michael Lerchenberg: Aber die haben wir! Unsere Fallhöhe ist gigantisch, man fällt ja gleich drei Klassen tief bis in die Bayernliga. Für den Dramatiker stellt sich wohl eher die Frage: Ist das jetzt eine Komödie oder ein Trauerspiel.

Ostermaier: Jede gute Komödie ist auch ein Trauerspiel. Bei Sechzig ist das fast wie bei den Atriden, den Alpen-Atriden: das zwangsweise Abfallen in das Desaster. Es kommt immer noch schlimmer. Insofern ist es eher etwas für den Kabarettisten als für den Dramatiker.

Lerchenberg: Das stimmt. Mein 1860-Bewusstsein beginnt 1963/64. Der Verein hing eigentlich immer schon am Tropf von irgendjemandem, selbst die berühmte Meistermannschaft 1966 hing an dem Tropf von Adalbert Wetzel, dem damaligen Präsidenten. Als der weg war, ging es schon los: Es wurden Unterschriften unter Spielerverträgen gefälscht. Schwarzgelder flossen. Das zieht sich durch wie ein roter Faden.

Ostermaier: Blauer Faden!

Lerchenberg: Ja, blauer Faden. An dem Bild der Alpen-Atriden ist durchaus etwas dran. Es liegt ein besonderer Fluch drüber. Selbst wenn der Verein die ganzen Altschulden loswird - das Geld, das sie jetzt vielleicht bekommen, muss ja irgendwann zurückgezahlt werden.

Das Fan-Sein kann man nicht aussuchen

Was treibt einen an, Fan von 1860 zu sein und zu bleiben, Herr Lerchenberg?

Lerchenberg: Letztlich geht es um Gefühle, die sind mit Logik nicht erklärbar.

Ostermaier: Ich glaube, das Fan-Sein kann man sich nicht aussuchen. Es ist eine lebenslange Treue. Wer seinen Verein verrät, und sagt, heute ist er für den und morgen für einen anderen, der ist nicht ernstzunehmen.

Lerchenberg: Ich erinnere mich noch an mein erstes Lokalderby 1964 oder 1965, ein Vorbereitungsspiel. Sechzig schoss mit dieser Fabelmannschaft Bayern mal locker 4:2 nach Hause. Ein Cousin von mir war dabei, ein Bayernfan, der hat damals bitterlich geweint, was uns nur noch mehr aufgebaut hat. Ich habe später noch Bundesliga-Lokalderbys im Sechziger-Stadion erlebt. Damals standen 45 000 Menschen so eng aneinandergepresst, dass man nur synchron atmen konnte. Wenn die Blauen oder die Roten euphorisch oder depressiv geschnauft haben, dann waren das wirklich ein Atem, ein Gefühl, eine Emotion. Das bindet.

Herr Ostermaier, freut man sich als Bayern-Fan im Moment mehr über die Lage bei 1860 als über den eigenen Klub?

Ostermaier: Über die Bayern kann man sich im Augenblick überhaupt nicht freuen. Aber Schadenfreude ist eine ziemlich lächerliche Freude. Bayern und Sechzig habe beide ein wahnsinnig großes Potential. Für mich war eine der schönsten Tabellen, als Bayern Erster war und Sechzig Zweiter. Man muss die Geschichte der Sechziger leider als die Geschichte einer atemberaubenden Misswirtschaft benennen - und als einen Betrug am Fan. Woher kam diese Ansammlung von absoluten Nieten und dubiosen Figuren, von Leuten, die selbst den besten Schnitt gemacht haben?

Lerchenberg: Es waren ja nicht nur die Präsidenten, sondern auch die Aufsichtsräte. Wie hat der Verein in den vergangenen Jahren bilanziert, wie hat die Überwachung der Bilanzen stattgefunden? Die Aufsichtsräte müssen Klodeckel vor den Augen gehabt haben.

Ostermaier: Man hat das ja bei der Landesbank gesehen.

... die 1860 und der FC Bayern jetzt als Rettungsanker heranziehen wollten.

Lerchenberg: Wenigstens zu etwas Gescheitem. Statt vier Milliarden für eine österreichische Bamperlbank auszugeben! Die bauen jetzt dem FC Kärnten ein neues Stadion. . .

Ostermaier: . . .vielleicht könnte Sechzig in der österreichischen Liga spielen.

Lerchenberg: Man lacht da irgendwie immer am Abgrund.

Sechzig und Business-Seats passen nicht zusammen

Ostermaier: Es hat mir noch niemand erklären können, warum Sechzig diese mordsteuren Business-Seats nicht loskriegt. Ich verstehe das nicht.

Lerchenberg: Sechzig und Business-Seats, das ist wie Mutter Teresa in einem Mercedes. Das passt nicht zusammen. Ich kann mich an Zeiten in der Bundesliga erinnern, da saßen die Vereinsbonzen auf den harten Bänken im Grünwalder und hatten kein Problem damit, sich unten in der schmuddeligen Gaststätte ein Bier zu kaufen oder sich von ihrem Chauffeur bringen zu lassen. Das ist 1860, nicht der Business-Seat!

Hat 1860 durch die Arena seine Identität verspielt?

Lerchenberg: Ich muss zugeben, ich war damals ein Verfechter der Idee mit dem gemeinsamen Stadion. Die Hütte ist aber einfach zu groß. Dazu kommt noch diese Luxus-Parkgarage, die so teuer ist wie zwei Stadien in Hoffenheim. Die Stadionfrage ist wie ein Wundbrand. Und es besteht die Gefahr, dass diese über Jahrzehnte schwärende Wunde den ganzen Körper infiziert. Wildmosers Fehler war, damals auf Augenhöhe mit Bayern verhandeln zu wollen.

Herr Ostermaier, was sagt ein Roter dazu, dass Uli Hoeneß die Blauen rettet?

Ostermaier: Ich wage zu behaupten, dass es nicht nur um die 50 Millionen Euro Stadionmiete geht. Uli Hoeneß würde Sechzig auch helfen, wenn er dabei finanzielle Verluste erleiden würde. Das ist einfach sein Verständnis von Fußball, schließlich profitiert der FC Bayern auch von der Rivalität. Und wenn Bayern alleine in der Arena wäre, müssten sie die ganzen blauen Glühbirnen rausdrehen.

Lerchenberg: Ich stelle mir gerade Uli Hoeneß vor, wie er monatelang alle blauen Glühbirnen herausschraubt.

Wenn der FC Bayern so uneigennützig ist, könnte er ja einfach die Millionen zu den Löwen rüberschieben.

Ostermaier: Ich sag' ja nicht, dass er nur uneigennützig ist. Ich sage nur: Hoeneß will helfen. Was der an Menschlichkeit mit Fußball verbindet - man wird sehen, wie sich das Klima ändert, wenn er einmal nicht mehr da sein wird. Am besten wäre es für den FC Bayern, wenn Sechzig wieder Bundesliga spielen würde. Wir hätten Derbys, die interessieren doch die ganze Stadt. Wenn Sechzig zurück in die Bayernliga fällt oder nur noch den AZ-Pokal spielen kann. . .

Lerchenberg: . . .also wirklich

!

Ohne Sechzig wäre es unendlich fad

Ostermaier: Wir alle müssen hoffen, dass Sechzig weiter existiert. Es wäre doch unendlich fad ohne die.

Lerchenberg: Das ist genau der Punkt: Es geht um Emotionen, um Lebendigkeit, um Auseinandersetzung. Das ist einfach Lebensmittel, so wie Kultur auch Lebensmittel ist. Ich habe nur für mich ein bisschen die Befürchtung, dass uns zu Tode geholfen wird. Es muss eine grundsätzliche Umschuldung stattfinden, alle Verträge müssen auf den Tisch. Ob das die Miete ist oder das wahnwitzige Catering.

1860 zahlt riesige Summen für Essen, das gar nicht verspeist wird.

Lerchenberg: Wahrscheinlich wird es schon gar nicht mehr geliefert. Die könnten alle Münchner Altersheime einmal pro Woche richtig gut abfüttern.

Ostermaier: Wenn sich die Struktur nicht ändert, wird sich das Desaster immer wiederholen. Sechzig hat doch eine herausragende Jugendarbeit. Man kann immense Kosten sparen, wenn man seine eigenen Spieler aufbaut. Warum holt man einen Sportdirektor wie Stevic?

Lerchenberg: Der dann Bender gegen Rukavina eintauscht! Brrrr! Da bin ich fassungslos. Auch das ist altes Sechzig-Schicksal. Was hat man hier schon immer für Gehälter bezahlt - für Spieler, die gar nicht aufsteigen wollten, weil sie so viel verdient haben wie in der Bundesliga. Die wären ja deppert gewesen.

Eine Frage an die Steuerzahler: Soll der Staat denn bei der Rettung mithelfen?

Lerchenberg: Meine Antwort: Hypo Alpe Adria! Für dieses Geld können wir uns die ganze Bundesliga leisten. Nicht umsonst hat der Seehofer Probleme mit den Nullen.

Ostermaier: Ziel der Landesbank ist es doch, mittelständische Unternehmen zu fördern.

Sie reden ja schon wie ein 1860-Fan.

Ostermaier: Dann würde ich mir wünschen, dass sie sich Uli Hoeneß als Manager ausleihen. Es war ja auch zu lesen, dass Lothar Matthäus hier Trainer wird.

Lerchenberg: Es wundert einen nichts mehr. Um ehrlich zu sein: Uli Hoeneß ist bei den Bayern gar nicht ausgelastet, der könnte Präsident bleiben und bei 1860 den Sportdirektor oder Geschäftsführer nebenbei machen. Er müsste sein Navi vom Tegernsee aus gar nicht groß umprogrammieren.

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