Adressenhandel in München:Verkauf von Adressen kein Einzelfall

Auch Versicherungen und andere Behörden verschenken Briefumschläge. Jetzt wird Kritik am Kreisverwaltungsreferat laut.

Dominik Hutter

Die fahrlässige Weitergabe sensibler Daten durch das Kreisverwaltungsreferat ist offenbar kein Einzelfall. Sowohl Philatelisten wie auch das in den Skandal verwickelte Berchmanskolleg bestätigten auf Anfrage der SZ, dass Behörden und Firmen - darunter Versicherungen - seit vielen Jahren Briefmarken verschenkten, die oftmals der Einfachheit halber samt Briefumschlag übergeben werden.

Briefwahl für die Bundestagswahl

Weil sie mit Briefwahladressen ein Geschäft betrieben haben, droht den Händlern eine hohe Geld- und im Extremfall sogar eine Haftstrafe.

(Foto: ag.dpa)

Unter dem Vorwand, an Briefmarken interessiert zu sein, greifen dann professionelle Adressenhändler zu - eine "weit verbreitete und hintertriebene Art", wie der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert weiß. Bei Weicherts Behörde waren die Münchner Daten zuerst aufgetaucht.

Das Kreisverwaltungsreferat hat, wie berichtet, die Umschläge von Briefwahlanträgen an eine Sammlerin und die wiederum an das von den Jesuiten getragene Berchmanskolleg weitergereicht, das die Briefmarken ablösen und den Erlös für karitative Zwecke verwenden wollte. Dort allerdings, so berichtet Verwaltungsleiter Wolfgang Mayer, entschied man sich, das Geschenk für einen niedrigen dreistelligen Betrag als "Kiloware", also Marken plus Umschläge, zu verkaufen.

Die darauf abgedruckten bis zu 15.000 Anschriften landeten auf Umwegen bei einem Lübecker Adressenhändler. Mit dessen höchst dubioser Firma, deren Adresse sich als ebenso falsch entpuppte wie der Eintrag ins Handelsregister, beschäftigen sich die Datenschützer und vermutlich auch bald die Staatsanwaltschaft. Es droht eine hohe Geld- und im Extremfall sogar eine Haftstrafe.

Das Kreisverwaltungsreferat hat aus dem peinlichen Vorfall Konsequenzen gezogen und die Weitergabe von Briefumschlägen gestoppt. Auch das Berchmanskolleg stellte sämtliche noch vorhandenen Umschläge mit Adressen sicher. Darunter befinden sich nach Angaben Mayers "noch jede Menge Wahlunterlagen", die nun den Behörden zurückgegeben würden. Der dem Institut seit Jahren bekannte Berliner Händler Jürgen Arnold, über den das Geschäft mit den Briefwahladressen gelaufen war, "ist derzeit kein Kunde mehr", versicherte Verwaltungsleiter Wolfgang Mayer.

Für das Berchmanskolleg war das Vorgehen keineswegs ungewöhnlich. Die Briefmarken landeten stets in unterschiedlichster Form auf dem Markt, mal mit und mal ohne Umschlag, mal nach Gewicht und mal einzeln. Diese Praxis sei bei zahlreichen sozialen Einrichtungen üblich, sagt Mayer. Datenschützer fordern seit langem, Firmen und Behörden müssten ihre Mitarbeiter besser für den Datenschutz sensibilisieren. Denn natürlich wollten auch Versicherungskunden nicht, dass ihre Anschrift auf dem Markt auftaucht.

CSU, FDP und Grüne forderten die umfassende Aufklärung des Vorfalls. "Eine derart ignorante Einstellung gegenüber dem Datenschutz ist völlig inakzeptabel", schimpft Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker. Die Bürger drohten das Vertrauen in die staatlichen Institutionen zu verlieren.

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