München:Zwischen Himmel und Erde

Olympiaturm in München, 2015

Der Olympiaturm in München, während sich der Nebel verzieht und die Sonne schon scheint. Dabei wird der Schatten des Turms als blauer Strahl sichtbar.

(Foto: Florian Peljak)

Die Aussicht vom Olympiaturm ist sehenswert. Wer dennoch kurz die Augen schließt, hört obendrein die Stadt sprechen

Von Katharina Kaak

Die Stimmen derer, die den kleinen Platz am Fuße des Olympiaturms queren, scheinen die sonnenwarme Luft in Scheiben zu schneiden. Im Hintergrund plätschert ein Wasserfall mit stetem Rauschen, das die anderen Geräusche untermalt. Die automatischen Glastüren am Eingang des Turmes gleiten lautlos auseinander, um den Lärm des Sommers im nächsten Moment wieder auszuschließen. Was draußen passiert, ist drinnen nicht mehr wichtig. Eine akustische Barriere, die hält. Der steinere Boden der Eingangshalle dämpft jeden Schritt - das Gehen der Menschen, egal wie energisch, klingt zögerlich auf dem unnachgiebigen Untergrund. Die Stimmen der Besucher flechten sich zwischen die Schritte, nisten sich ein über und unter anderen Tönen - Sprachen, Gespräche, Dialekte.

"Das sind die typischen Geräusche hier unten", sagt Betriebsleiter Ulrich Bodammer; er arbeitet seit mehr als 15 Jahren im 291,28 Meter hohen Olympiaturm. Als "Turmherr" ist er dafür verantwortlich, dass alles einwandfrei funktioniert. Er kümmert sich um Wartungsarbeiten, anfallende Reparaturen und die Organisation der Aufzüge. Gibt es Probleme mit einem der beiden Besucherlifte, ist der staatlich geprüfte Elektroniktechniker erste Anlaufstelle, im Notfall leitet er auch die Evakuierung der Kabinen ein. Wichtige Arbeitswerkzeuge sind für Ulrich Bodammer seine Ohren: "Gehör ist in meinem Beruf elementar." Denn an sich sei der Turm relativ leise, ändere sich aber ein Ton, bemerkt er es sofort: "Ich bin sehr hörempfindlich." Das hilft ihm dabei, technische Störungen rasch zu lokalisieren: "Am liebsten ist es mir, wenn ich keine unbekannten Geräusche höre. Das ist dann ein gutes Zeichen."

Wie auf Kommando ertönt plötzlich ein lautes Heulen - es klingt sirenenartig und traurig, einem Seelöwen ähnlich, der einsam auf einem Felsen sitzt und Richtung Horizont schreit. "Das ist nur mein Hund", beschwichtigt Bodammer und lacht. Der Labrador-Mischling wohnt zusammen mit Ulrich Bodammer, dessen Familie und einem weiteren Vierbeiner in einer Wohnung im Erdgeschoss des Olympiaturms.

"Der lauteste Ort im Gebäude ist der Aufzugmaschinenraum", erklärt der Turm-Experte. Für Besucher unzugänglich, verbirgt sich das Herzstück des Transportsystems hinter einer massiven Stahltür. Dort ist es so laut, dass man die eigenen Gedanken kaum noch hört. Bremsen die Aufzüge, klappert es wie eine Armee von Einkaufswagen, die über Kopfsteinpflaster scheppert. Noch viel geräuschintensiver sind die Lüftungsanlagen, monotones Brummen mischt sich mit einem Surren. In unregelmäßigen Abständen schraubt sich die Frequenz so weit nach oben, dass es sich in ein glockenhelles Fiepen verwandelt. Wie eine Grille im Stimmbruch. Der Lärm verursacht eine Vibration, die im gesamten Körper spürbar ist. Oft hat Ulrich Bodammer im Aufzugmaschinenraum aber nicht zu tun: "Ich bin sehr selten hier."

Eine ganz andere Geräuschkulisse bietet sich im Restaurant 181 in - genau . . . - 181 Meter Höhe. Das Ungewöhnliche an dem Turmlokal: Innerhalb einer Stunde dreht es sich um 360 Grad, einmal um die eigene Achse. "Es ist eine besondere Adresse. Kein Restaurant, in dem man jeden Abend zum Essen geht", sagt der Betriebsleiter. Hört man genau hin, kann man das schwache Summen des Antriebsmotors wahrnehmen. "Die Geräusche im Turm sind abhängig von der Witterung", erklärt Ulrich Bodammer, bei starkem Wind wird es lauter. Auch die Temperatur spielt eine Rolle für die Tonentwicklung. Denn heizt sich das Gebäude auf, verbiegt es sich: "Der Turm hat eine Eigenfrequenz."

Leise Klänge von Instrumentalmusik untermalen die gedämpften Unterhaltungen im Restaurant, ab und zu klirrt Besteck auf Porzellan. Hinter dem schweren Samtvorhang, der den Kücheneingang verbirgt, werden die Töne dann intensiver und signalisieren professionelle Betriebsamkeit. Es zischt, Fett spritzt in Pfannen und zischt, wenn gewürfeltes Gemüse dazu gegeben wird, ein Pürierstab bohrt. Irgendwo schlägt Holz auf Metall, Alufolie knistert beim Abreißen im Akkord.

Vier Meter darüber befindet sich die überdachte Plattform: München hinter Glas auf 185 Metern. Das Stimmengewirr ist wieder da: "Dios mio. Qué bonito" - "Benni, jetzt weißt du, warum München die schönste Stadt der Welt ist." Der kleine Benni streckt die Hände aus und klopft mit den Fingerkuppen gegen die Glasscheibe. Immer wieder tönt Musik aus der Mitte des Raumes - dort tut eine Jukebox ihren Dienst. Sie ist ein akustischer Fingerzeig auf das "Rockmuseum Munich", nach eigenen Angaben das höchstgelegene seiner Art weltweit. Jimmy Hendrix schmettert sein "Foxy Lady" aus den Lautsprechern, dann kommt ein E-Gitarren-Solo. Der Sound der Siebzigerjahre legt sich aufs Trommelfell. Manche der Besucher kicken den Takt mit ihren Schuhspitzen gegen die Metallverkleidung unter den Panoramafenstern.

Ganz oben dann, auf den beiden offenen Plattformen, hört man die Stadt sprechen. Keine Glasscheiben, die Geräusche in luftiger Höhe sind ungefiltert, pur. Verwaschen klingen die Motoren der Autos, die 200 Meter tiefer über den Mittleren Ring rollen. Die Entfernung verwässert den Lärm, erinnert an Meeresrauschen. "Ich höre die Autos fast gar nicht mehr", sagt Ulrich Bodammer. Smartphones schmatzen, wenn die Auslöser für Erinnerungsfoto gedrückt werden. Wortfetzen fliegen durch das mannshohe Geländer davon. Die Ferngläser, die an der Brüstung befestigt sind, klicken in ihren Verankerungen, wenn sie gedreht werden. Es erinnert an flinke Finger, die in hoher Geschwindigkeit auf einer Computertastatur tippen. Auf der zweiten offenen Plattform, die wie ein Balkon oberhalb der ersten liegt, ist der Ton heller, die Stadt wird lauter. Die Geräusche der Touristen verlieren sich fast im Wind. Der Wellenklang des Verkehrs weit unten brandet nun stärker. Alles ist intensiv, alles ist unmittelbar. Irgendwo knattert ein Helikopter am Himmel.

Am Donnerstag lesen Sie: Der Sound der Stadt im Lenbachhaus

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