Nach Messerattacken:Zugestochen, weil er sich verfolgt fühlte

München: Attentat / Messer-Attacke am Rosenheimer Platz

In der Nähe des Rosenheimer Platzes geschahen die meisten der acht Attacken. Hierher wurden ein Dutzend Rettungsfahrzeuge vorsorglich beordert.

(Foto: Johannes Simon)
  • Ein 33 Jahre alter Mann soll am Samstagvormittag im Münchner Osten mehrere Menschen mit einem Messer verletzt und einen Jugendlichen geschlagen haben.
  • Aufgrund einer genauen Täterbeschreibung konnte die Polizei den Mann kurz darauf festnehmen.
  • Bei der Vernehmung machte der Mann widersprüchliche und nicht nachvollziehbare Aussagen. Die Ermittler gehen davon aus, dass er psychisch krank ist.

Von Christina Berndt, Viktoria Bolmer, Heiner Effern und Oliver Klasen

Er fühlte sich bedroht, von einer Familie, die er nicht näher beschreiben konnte. Und er war fest davon überzeugt, sich verteidigen zu müssen. Aus diesem Grund griff er am Samstag im Münchner Osten acht Passanten an, sechs davon mit einem Messer, auf zwei schlug er ein. Das gehe aus den Aussagen des 33 Jahre alten Mannes hervor, der nach fester Überzeugung der Polizei den Großeinsatz mit 500 Polizisten in Haidhausen, der Au und in Berg am Laim ausgelöst hat. "Seine Motive sind in einer psychischen Störung zu suchen", so fasste Josef Wimmer, der Leiter der Mordkommission, die Vernehmung zusammen. Deswegen seien jedoch auch die Angaben des Mannes vorsichtig zu behandeln. Er habe sich selbst widersprochen, vieles sei nicht nachvollziehbar oder nicht auf die Schnelle zu prüfen gewesen. Der Ermittlungsrichter ordnete am Sonntag an, den Tatverdächtigen in einer psychiatrischen Klinik einstweilig unterzubringen.

Den Ablauf der Messerattacken hat die Polizei grundsätzlich rekonstruiert: Der erste Angriff an der Quellenstraße erfolgte gegen 8.20 Uhr. Der Täter sprach einen 55 Jahre alten Mann an, der am Auer Mühlbach seinen Hund ausführte. Bist du einer von denen, fragte er laut Polizei sinngemäß. Dann griff er unvermittelt an, stach mit dem Messer auf den Oberkörper des Opfers ein. Dieses wich zurück und konnte nach einem Gerangel fliehen. Ein paar Meter weiter zückte der Täter erneut sein Messer, der nächste Passant, 47, musste sich wehren. Auch dieser war ein Hundebesitzer und fuchtelte gegen den Angreifer mit einem Holzstock an, den er zum Apportieren werfen wollte. Eine 44 Jahre alte Frau rollte auf dem Rad heran, sie bekam einen Faustschlag ins Gesicht ab. Der Täter erklomm das Isarhochufer, oben setzte er seine Attacken fort.

Mehrmals fragte er die laut Polizei wahllos ausgesuchten Opfer, ob sie auch "zu denen" gehörten. Nur in einem Fall soll er gesagt haben: "Du schaust aus wie ein Wahrsager." Das letzte Opfer war ein zwölf Jahre alter Junge, der gerade an der Ständlerstraße zum Einkaufen wollte. Ihn schlug der Mann gegen 10.05 Uhr mehrmals ins Gesicht. Der mutmaßliche Täter hatte stets ein altes schwarzes Fahrrad bei sich, mit dem fuhr er auch von Tatort zu Tatort. Dazu trug er einen Rucksack, an dem eine Isomatte festgeschnallt war.

An der zu diesem Zeitpunkt schon sehr genauen Personenbeschreibung erkannten ihn Fahnder an der Ottobrunner Straße. Der Mann versuchte noch zu fliehen und sich zu verstecken. Vergebens, wie ein Anwohner vom Balkon aus verfolgt hat. "Sie kamen mit mehreren Wagen, Zivilfahrzeuge mit Blaulicht obendrauf. Dann ging alles wahnsinnig schnell", sagte er. "Die Polizisten stiegen aus, sprangen über einen Gartenzaun und eine Hecke." Dahinter müsse sich der Verdächtige verkrochen haben. "Ich hab dann nur noch gesehen, wie sie ihn ins Auto geladen haben", erzählte der Mann.

Katastrophenalarm im Klinikum rechts der Isar

Exakt um 11.44 Uhr hätten die Fahnder zugeschlagen, bestätigte gut zwei Stunden später der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä. "Es gibt keine Gefahr mehr", die Menschen im Münchner Osten könnten aufatmen. Damit endete ein intensiver Großeinsatz. Hubschrauber waren über den Stadtvierteln gekreist, Streifenwagen und zivile Einsatzfahrzeuge durch die Au und Haidhausen gejagt. Die Polizei forderte die Menschen im Osten der Stadt auf, ihre Häuser nicht zu verlassen. Am Rosenheimer Platz blinkten die Lichter von etwa einem Dutzend Rettungsfahrzeugen, die offenbar vorsorglich herbeigerufen worden waren. Polizisten mit schweren Waffen standen an der Kreuzung.

Im Klinikum rechts der Isar wurde vorsorglich Katastrophenalarm ausgelöst. Dabei ist der Anruf an die Ärzte und Pfleger immer der gleiche: "Hier ist der Katastrophenalarm des Klinikums rechts der Isar. Dies ist keine Übung. Bitte geben Sie die Zeit an, die Sie benötigen, um ins Klinikum zu kommen." 150 Mitarbeiter eilten in kürzester Zeit dorthin, Teams wurden gebildet, um im Notfall parallel operieren zu können. Die Ärzte und Pfleger warteten, zum Teil schon in OP-Kluft, in den Operationssälen auf die Patienten. Mindestens ein Intensivbett wurde freigemacht und bereitgestellt, doch die Attacken gingen glimpflich aus. Vier der Betroffenen wurden im Rechts der Isar ambulant behandelt. Keiner musste in der Klinik bleiben.

Das sei schlicht auch Glück gewesen, sagte Mordermittler Wimmer. Viele der Stiche seien gegen den Kopf der Opfer gerichtet gewesen, da hätten leicht auch schwere Verletzungen auftreten können. Sein Chef, Polizeipräsident Andrä, lobte die Münchner für ihre besonnene Reaktion. Nur im Netz kam es zu Auswüchsen. Die Münchner Polizei informierte am Samstag über Twitter und Facebook die Öffentlichkeit fortlaufend. Wohl auch, um zu verhindern, dass sich falsche Informationen verbreiten und Panik geschürt wird - wie es nach dem Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum im Juli 2016 der Fall gewesen war.

Verdächtiger bezeichnet München als sein "Kraftzentrum"

Einige Nutzer warfen den Beamten vor, Haut- und Haarfarbe und die mutmaßliche Nationalität des Täters absichtlich nicht zu nennen und äußerten Spekulationen über einen islamistischen Terroranschlag. Die Polizei ließ sich auf solche Diskussionen nicht ein und twitterte abends schließlich: "Nachdem viele Hetzer Ihre Frage wieder löschen, weil die Antwort offenbar nicht in ihre Schublade passt: Geburtsland des TV -> Deutschland."

TV ist der Tatverdächtige. Gegen ihn wurde in der Vergangenheit unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Der Mann kam laut Polizei vor etwa drei Monaten nach München. Die Stadt habe er als "Kraftzentrum" bezeichnet. Er habe Chemie studiert. An der Adresse, unter der er in München gemeldet war, lebte er nicht. Die Polizei geht davon aus, dass er keinen festen Wohnsitz hatte. Das Messer habe er sich auch deswegen beschafft, weil er sich verfolgt gefühlt habe. Zum Ende seiner Attacken habe das laute Wummern eines Polizeihubschraubers geführt, sagte er aus. Das habe ihn gestört.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: