München:Wenn die Münchner Innenstadt schier unerreichbar ist

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800 Meter sind es vom Stachus zum Marienplatz. Für Menschen, denen das Gehen Probleme bereitet, eine weite Strecke. (Foto: Robert Haas)

Bus-Verbot, Baustellen, weite Fußwege: Menschen mit eingeschränkter Mobilität haben besonders im Advent ihre Probleme.

Von Ulrike Steinbacher

Adventszeit ist Einkaufszeit - Menschentrauben an den Ständen des Christkindlmarktes, Schlangen an den Kassen der Geschäfte, Gedränge in der Fußgängerzone. Wer nicht gut zu Fuß ist, hat von diesem Samstag an noch einen Grund mehr, die Innenstadt zu meiden. Dabei sind für Menschen, die sich mit dem Gehen schwertun, die langen Wege ohnehin schon schwer genug. 800 Meter sind es vom Stachus zum Marienplatz, weitere 800 Meter von dort zum Sendlinger Tor. Wer das nicht schafft, kann allenfalls ein Taxi nehmen, andere Möglichkeiten gibt es nicht.

Jüngst sind die Grünen mit einem Vorstoß gescheitert, Behinderten, Senioren und auch schwer bepackten Weihnachtseinkäufern ein elektrisch betriebenes Golfmobil oder eine Rikscha zur Verfügung zu stellen. Und der vor Jahren groß angekündigte Citybus nahe der Fußgängerzone ist ebenfalls in der Versenkung verschwunden. Der Behindertenbeirat der Stadt sieht darin ein großes Manko.

Bei mobilitätseingeschränkten Personen, so der Fachbegriff, geht es aber nicht etwa um eine unbedeutende Randgruppe: Ende 2012 lebten in München 147 000 Menschen mit einem Behindertenausweis, in dem mindestens 30 Prozent Erwerbsminderung eingetragen sind. Und: Ende 2015 zählte das Statistik-Amt gut 265 000 Senioren über 65 Jahre.

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Nun sind natürlich viele alte Menschen noch gut zu Fuß, und nicht alle Behinderten tun sich mit dem Laufen schwer, außerdem überschneiden sich beide Gruppen sicherlich. Dennoch: Die Zahl der Menschen mit Mobilitätseinschränkungen dürfte im sechsstelligen Bereich liegen, und angesichts des demografischen Wandels wird sie weiter wachsen.

Für alle, die sich mit dem Gehen so richtig schwer tun, ist die Fußgängerzone im Wortsinn eine "No-go-Area". So nennt das Georg Kronawitter vom Arbeitskreis Mobilität des städtischen Behindertenbeirates. Der ehemalige CSU-Stadtrat weiß, wovon er spricht. Nach seinem Herzinfarkt 2011 seien die 300 Meter vom Rathaus zum Promenadeplatz für ihn schon eine Herausforderung gewesen: "Man überlegt immer, was ist der schnellste Weg, wie kann ich abkürzen - Dinge, an die man als gesunder Mensch keinen Gedanken verschwendet."

Öffentliche Verkehrsmittel bieten keine Hilfe, zumindest nicht in der Innenstadt. Nicht einmal das Haltestellennetz der Tram ist dafür engmaschig genug - eine Lücke, die eigentlich der Citybus hätte schließen sollen. Dessen Start kündigte die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) im Frühjahr 2013 für den Dezember an, verschob ihn dann auf 2014 und schließlich auf unbestimmte Zeit - auch wenn die MVG das Projekt "nach wie vor für sinnvoll" hält, wie Pressesprecher Matthias Korte mitteilt. Geplant war, vier Spezialbusse mit nur acht Metern Länge vom Sendlinger Tor über Marienplatz und Hofgarten zu den Kammerspielen und zurück übers Rosental pendeln zu lassen und so eine Anbindung an U- und S-Bahn herzustellen. Doch Polizei und Kreisverwaltungsreferat (KVR) befürchteten seinerzeit Probleme mit anderen Buslinien zwischen Rindermarkt und Marienplatz sowie Konflikte mit Radlern auf der Sparkassenstraße.

Inzwischen sieht es für den Citybus noch düsterer aus: Da ist die Baustelle am Hugendubel-Haus, die ein Durchkommen derzeit unmöglich macht, da ist die im Februar zur Fahrradstraße umfunktionierte Sparkassenstraße, und da ist der Stadtratsbeschluss, der die gegenwärtige Verkehrsführung zur Dauerlösung machen und Busse permanent vom Marienplatz verbannen will. Für den Citybus gibt es damit keine Route mehr, eine Querung der Fußgängerzone an anderer Stelle hatten CSU und SPD im Stadtrat schon 2013 "schlichtweg Wahnsinn" genannt. Georg Kronawitter hält zwar auch zwei getrennte Citybus-Routen parallel zur Fußgängerzone für denkbar, momentan gilt aber: Die Planung ist bis auf weiteres zurückgestellt.

Während beim Citybus, den auch der Behindertenbeirat favorisiert, eine Verwirklichung noch nicht völlig ausgeschlossen ist, scheiterten die Grünen jüngst schon im Ansatz: Sie wollten nach dem Vorbild der slowenischen Hauptstadt Ljubljana ein Pilotprojekt starten und Rikschas oder elektrisch betriebene Golfkarts durch die Innenstadt schicken, um behinderte und schwer bepackte Fußgänger einzusammeln; die Finanzierung sollten sich Stadt und Einzelhändler teilen. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft aber hält das slowenische Modell für nicht übertragbar.

Aus der Antwort lässt sich herauslesen, dass man keinen Handlungsbedarf sieht. Laut KVR "verträgt die meistbesuchte Fußgängerzone Deutschlands keinen zusätzlichen Transportservice", heißt es in der Stellungnahme, allenfalls ein Fahrdienst auf Vorbestellung sei denkbar. Und der Verein City Partner, der die Geschäftsleute der Altstadt vertritt, verweist auf die Lieferdienste, die zahlreiche Einzelhändler anbieten.

Gehbehinderte, die mal in die Stadt wollen, haben aber nichts von einem Lieferdienst. Und der kostenlose Bus- und Bahn-Begleitservice der Stadt auf Vorbestellung sei keine Lösung für einen spontanen Bummel, findet Georg Kronawitter. Außerdem ist dieser Service nicht speziell für die Fußgängerzone gedacht, sondern für Ziele in der ganzen Stadt, erklärt Brigitte Neumann-Latour, Vorsitzende des Arbeitskreises Mobilität im Behindertenbeirat. Und: Diese Dienstleistung sei bereits jetzt extrem gut ausgelastet.

Bleibt noch die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft fortzubewegen. Die MVG bietet zwar inzwischen Leihräder an, aber kein Leihsystem für Elektroscooter oder andere Mobilitätshilfen. Das soll sich ändern: In Kooperation mit dem TU-Gründerzentrum arbeite man an der Entwicklung eines E-Trikes, also eines elektrisch unterstützten Dreirades, teilt Pressesprecher Korte mit. In Pilotversuchen soll es erprobt werden: "Konkrete Konzepte oder einen Zeitplan gibt es allerdings noch nicht."

Vielleicht ist es bis zum März 2017 so weit. Dann soll ein Fachtag für Mobilität, den die CSU Ende 2012 beantragt hat, aufzeigen, wie es in München mit der Erreichbarkeit aussieht, auf welche Weise Barrieren im öffentlichen Raum abgebaut werden können. Vielleicht kommt da auch zur Sprache, was Behinderten beim Weihnachtseinkauf ebenfalls zu schaffen macht: Die Parkleitsysteme in der Innenstadt informieren zwar über freie Parkplätze, nicht aber über freie Behindertenparkplätze. "Auch in diesem Bereich besteht noch Handlungsbedarf", resümiert der Behindertenbeirat.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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