München:Und jetzt alle!

Aus München kommen drei Wiesn-Hits, die in den Zelten leider nie gespielt werden

Von S. Hermanski, C. Wächter und M. Zirnstein

Beim Wiesnhit 2016 schwankt die Menge noch zwischen "Haam kummst" von Seiler & Speer und Andreas Gabaliers "Hulapalu". Dabei gibt es drei Wiesnhits aus München, die nie von einer Oktoberfest-Kapelle gespielt werden. Zu finden sind sie unter sz.de/alternativewiesnhits.

Ende im Chaos

Wenn Pollyester und Friedrich Liechtenstein zusammen an einem Wiesn-Hit basteln, kann das nur was werden! Polly ist Münchens Performance-Queen im Underground, seit Jahren auch unterwegs in den Kammerspielen und im Residenztheater. Liechtenstein ist Berliner und eine Ikone der Pop-Kultur seit seinem "supergeilen" Werbespot, in dem er für eine Supermarktkette gesungen und getanzt hat. Ihr Song hat Klasse: Im Duett besingen sie ein Paar in einer normalen Wiesn-Nacht. Während er vom Fest heimwankt und hinter ihm "die Welten einstürzen", rechnet sie zu Hause schon mit dem Schlimmsten.

Alles war bestens geplant: Polly hatte sich eigens ein Sicherheits-Burkirndl genäht für den Video-Dreh auf dem Oktoberfest. Liechtenstein scheute sich nicht, zum selben Zweck einen vollkommen bescheuerten Sombrero aufzusetzen. Eine entsprechende Quatsch-Performance von den beiden dazu ist auf Facebook zu finden.

Doch was dann geschah, beschreibt Polly besser in eigenen Worten: "Die neuen Freunde Polly und Friedrich Liechtenstein begaben sich samt Regisseur und sehr erkältetem Kameramann auf die Wiesn. Die Laune war prächtig, wenngleich sie auch mehrmals wegen unpassender Kleidung verwarnt und dann unsanft aus dem Zelt gezerrt wurden.

Nach eigenen Angaben leerte Liechtenstein 17 Krüge und begann dann ausfällig zu werden. Er lieferte einige spektakuläre Stunts, und als bei einem weiteren Sturz die Kamera abermals nicht lief, verpasste Liechtenstein dem Kameramann einen Nasenstupser. Nach gescheiterten Schlichtungsversuchen der Frau im Sicherheits-Burkirndl wurden die Dreharbeiten abgebrochen.

Unverrichteter Dinge reisten die selbsternannten Wiesn-Stars angesteckt mit der Kameramann-Grippe ab: Er nach Wien - sie nach Kanada. Dort liegen sie jetzt im Fieber und halluzinieren die Fortsetzung ihrer Erfolgsgeschichte." Mit anderen Worten: Wenn Polly und Liechtenstein zusammen an einem Wiesn-Hit basteln, dann kann das was werden! Nur eben erst im nächsten Jahr.

Sprung ins Bier

"Wir wollen die Million", hat Guillermo Gischi Hernán Schedler auf seiner Facebook-Seite geschrieben. Und wer will das nicht. Glitzer-Gischi aber weiß, wie das funktioniert mit den Internet-Hypes - auch bei seiner Wiesn-Gaudi-Nummer "Herr Wirt, Bier Bier Bier". Er erklärt: "Die Leute teilen das Video aufgrund der ersten zehn Sekunden." Die müssen sitzen, etwas noch nie Dagewesenes zeigen. "Was ist die beste Abkühlung, die es gibt?", fragt der Argentinier, der seit 37 Jahren in München lebt.

Richtig: Ein Kopfsprung ins kalte Bier. Im Clip sieht man Gischi also frohgemut den Fünfer-Turm besteigen und dann in einen Riesenmasskrug eintauchen, der mittels eines Computertricks aus der Kreidezeit der Bildbearbeitung hineinmontiert wurde. Der Song, den Gischi aus Kirmestechno, Blasmusik-Schnipseln "und ein paar Fröhlichkeitselementen" wie Tänzerinnen mit Panda-Masken zusammengelötet hat, befasst sich auf einer unterschwelligen Ebene mit der Erlösung durch die Biertempel, in denen der Mann ("Dampfnudel!") sich von der Frau ("Doch die hat so viel' Kalorien!") nichts vorschreiben lässt.

Der Rest ist simpel: "Herr Wirt, jetzt bringens no a Bier Bier Bier. Und an Schweinsbrodn hinterher." Die Schlichtheit ist der Clou: "Wichtig ist: Der Text muss auch nach drei Mass mitgesungen werden können", erklärt Gischi, "bloß nicht zu kompliziert!" Von seinem Traum, den Song mit einer Kapelle in einem großen Zelt darzubieten, ist Gischi weit entfernt. Aber ein Etappenziel ist erreicht: Der Bier-Köpfer wurde inzwischen mehr als eine Million Mal aufgerufen und weltweit geteilt.

Leben im Wahnsinn

Ron Foto hat mit "Augustiner Forty Ounce" den Underground-Wiesnhit des Jahres geschrieben, produziert von Schlachthofbronx. Wer dem Track lauscht, bekommt eine Anleitung zu einem möglichst authentischen Wiesn-Besuch. Der vielleicht wichtigste Punkt auf seiner To-Do-Liste: Ein echter Münchner geht nicht in Tracht aufs Oktoberfest, egal, ob im Zehn-Euro-Set vom Hauptbahnhof oder der Maßgeschneiderten vom Schliersee.

Ron Foto ist sozusagen die Ein-Mann-Front gegen die "Brauchtums-Psychose", in der sich München während der Wiesn befindet: "Ich finde es komisch, wenn ich im Zelt stehe und vielleicht einer von fünf Leuten bin, die nicht in Tracht sind. Ich schau mir gerne Leute an, wenn die aber alle gleich ausschauen, ist irgendwie der Witz weg." Ansonsten empfiehlt der Mann, den Wiesn-Besuch strategisch mit ein bis zwei Aufwärm-Halben einzuläuten, "dann ist der Schock einfach nicht so groß". Ist man erst mal im Zelt, plädiert Ron Foto für eine Stehmass, auch wenn die nicht so einfach zu kriegen ist.

Besonders fasziniert ist er von der Parallelwelt im Weinzelt, wo er einst aus Unwissenheit von oben bis unten mit Champagner durchnässt wurde. "Eine Magnumflasche kostet da über 2000 Euro. Die wird angeschleppt, auf den Boden gehauen, damit sie richtig aufgeladen ist und dann in die benachbarten Boxen gespritzt. Es ist das dekadenteste Spektakel, das du dir vorstellen kannst und findet am Abend ungefähr alle zehn Minuten statt."

Ist die letzte Magnum-Flasche geleert, kehrt Ron Foto noch lange nicht heim - aus Prinzip und zum Wohl seiner Heimatstadt: "München ist ja das ganze Jahr über komplett verpennt. Außer eben in diesen zwei Wochen, das muss man ausnutzen."

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