München:Treffpunkt für alle

Seit 15 Jahren ist das Eine-Welt-Haus im Bahnhofsviertel ein Ort der Begegnung zwischen Münchnern und Menschen mit Migrationshintergrund. Die Besucher diskutieren und feiern Feste. Es gibt Deutschkurse und Musikveranstaltungen. Politisch unumstritten ist die Einrichtung aber nicht

Von Thomas Anlauf

Die junge Frau lächelt tapfer. Dabei hätte die 16-Jährige allen Grund, verzweifelt zu sein. Sie lebt mit ihrem Vater und ihren Geschwistern in München, doch die Behörden sagen, sie müssen wieder zurück in ihre alte Heimat auf dem Balkan gehen. Dabei ist das Mädchen sehr gut in der Schule. Abitur zu machen, das wäre der Traum der jungen Frau. Dann könnte sie später auch die Familie ernähren. Doch nun sitzt sie im Wartesaal im ersten Stock des Eine-Welt-Hauses mit fast drei Dutzend anderen Hilfesuchenden und hofft darauf, dass ihr jemand helfen kann. Dass sie doch in München bleiben und eine Ausbildung machen kann.

Jeden Dienstagnachmittag berät ein Team des Vereins "Rechtshilfe für Ausländerinnen und Ausländer" Menschen, die nicht mehr weiter wissen. Meist geht es um Asylrechts- und Aufenthaltsprobleme, in jüngster Zeit kommen auch viele Syrer, die in München leben und die nun Verwandte nachholen wollen. 636 Männer und 340 Frauen hat das ehrenamtliche Team der Rechtshilfe allein im vergangenen Jahr betreut und beraten. In diesem Jahr dürften es noch einmal deutlich mehr werden, glaubt Anna Regina Mackowiak. Sie leitet nicht nur den Verein mit den etwa 40 ehrenamtlichen Helfern, den es seit 34 Jahren gibt, sondern ist auch im fünfköpfigen Vorstand des Eine-Welt-Hauses.

Früher kamen die Menschen, die Rechtshilfe suchten, noch ins "Dritte-Welt-Café", dessen Mitbegründerin ebenfalls Mackowiak war. An der Daiserstraße in Sendling engagierten sich seit Ende der Achtzigerjahre rund 20 politische Vereine und Initiativen. Doch die gerade mal 80 Quadratmeter großen Räume wurden schnell zu klein, weshalb sich Ende 1997 ein Trägerkreis für das Eine-Welt-Haus gründete. Dreieinhalb Jahre später, im Juli 2001, feierte das umgebaute verwinkelte Haus an der Schwanthalerstraße 80 Eröffnung.

Eine Institution war geboren. Seit 15 Jahren ist das Eine-Welt-Haus ein Ort der Begegnung zwischen Münchnern und Menschen mit Migrationshintergrund, es ist ein Treffpunkt für politisch Engagierte, aber auch für ethnische Gruppen. Regelmäßig feiern in München lebende Senegalesen in einem Raum des Eine-Welt-Hauses, sogar Trauerfeiern finden hier statt. "Wenn jemand stirbt, dann wird Geld gesammelt, damit der Tote in Senegal beerdigt werden kann", sagt François, der aus Dakar stammt. Die Frauen tragen bei ihren Treffen leuchtende Kleider in den Farben Westafrikas und bringen selbstgemachtes Essen mit, die Kinder spielen miteinander im Garten neben der "Weltwirtschaft", wie das von Sarah Seeßlen betriebene Lokal im Eine-Welt-Haus heißt. "Es ist wichtig, dass die Leute hier ihre Kultur leben können", sagt Anna Mackowiak. Trotzdem sieht sie die Einrichtung nicht als eine Art Stadtteilkulturzentrum, sondern als "politisches Haus" an.

Eine-Welt-Haus, Schwanthaler Straße

Geld aus aller Welt: Im Eine-Welt-Haus wird der kulturelle Austausch gefördert.

(Foto: Florian Peljak)

Das hat die Institution in den Anfangsjahren auch zu spüren bekommen. Das Eine-Welt-Haus war ein Projekt von Rot-Grün im Münchner Rathaus. Während der Grüne Hep Monatzeder vor fünf Jahren in seiner damaligen Funktion als Dritter Bürgermeister das Projekt für seinen "kritischen Geist" lobte, rieben sich gerade deshalb vor allem CSU und FDP an der Ausrichtung des Hauses. Im jährlichen Rhythmus forderten sie, die finanzielle Unterstützung einzustellen und die Einrichtung aufzulösen. 2005 sagte der damalige stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende und heutige Zweite Bürgermeister Josef Schmid: "Wir sind keine Freunde des Eine-Welt-Hauses." Das würde er heute so nicht mehr sagen, mittlerweile hat er das Haus drei Mal besucht. Auch FDP-Fraktionschef Michael Mattar forderte vor einigen Jahren, das Haus zu schließen. Es sei dem Steuerzahler nicht zuzumuten, die "Veranstaltungsstätte für politische Gruppen, aber auch Bauchtanz und Trommelkurse" zu subventionieren. Derzeit erhält das Haus 360 000 Euro im Jahr, außerdem stellt die Stadt das Gebäude mietfrei zur Verfügung.

Der langjährige Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker bezeichnete die Begegnungsstätte einmal als "bundesweit beachtetes Erfolgsmodell". Tatsächlich gibt es etwas Vergleichbares in dieser Größe offenbar nicht in Deutschland. Zehn Räume und Säle stehen Vereinen und Organisationen zur Verfügung, die sie günstig mieten können. Etwa 90 verschiedene Gruppierungen treffen sich dort regelmäßig, um zu diskutieren, um Deutschkurse anzubieten oder Musik zu machen. Im Keller tanzen am Nachmittag Kinder, später studieren Erwachsene Schritte zum russischen Volkslied "Kalinka" ein. Dort treffen der Münchner Gewerkschaftschor und der Attac-Chor musikalisch aufeinander und singen gesellschaftskritische Lieder. Regelmäßig finden Ausstellungen statt, meist zu politischen Themen. Derzeit hängen dort große Informationstafeln, auf denen Menschen mit und ohne Behinderungen aus aller Welt porträtiert werden. Sie erzählen, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Demnächst beginnt wieder das jährliche "Frischluftkino" auf der Dachterrasse. Filmklassiker werden da auf der Brandmauer gezeigt, statt Eintritt gibt es eine Spendendose. In der internationalen Bibliothek können Bücher ausgeliehen werden und im ersten Stock steht ein großer Kühlschrank mit Lebensmitteln zur kostenlosen Mitnahme.

Eine-Welt-Haus, Schwanthaler Straße

Hier ist jeder willkommen, der mitmachen möchte.

(Foto: Florian Peljak)

Und das alles soll eingestellt werden, weil einige Politiker linke Umtriebe wittern? Vor fünf Jahren wollte CSU-Stadtrat Marian Offman "Trotzkisten" im Eine-Welt-Haus identifiziert haben. Darüber kann Anna Mackowiak heute nur lachen. "Das waren zehn junge Leute, die gemeinsam ,Das Kapital' gelesen haben", sagt sie. Genau wegen solcher Missverständnisse hat der Trägerkreis des Eine-Welt-Hauses im Januar nach langer Diskussion ein Leitbild verabschiedet. Darin versteht sich die Einrichtung auch als "Ort der politischen Meinungsbildung und Aktion". Es "erkämpft und erhält politische Freiräume".

Und die Zahl der Besucher gibt dem Team des Eine-Welt-Hauses Recht. 70 000 Menschen kommen jedes Jahr in den verschachtelten Bau an der Schwanthalerstraße, der schon etwas in die Jahre gekommen ist. Derzeit steht der dringende Einbau einer neuen Lüftungsanlage an: Im Sommer wird es in den Räumen oft so heiß, dass nur noch offene Fenster Linderung verschaffen. Doch die Geräusche, die dann nach draußen gelangen, stören wiederum einige Nachbarn. 1,56 Millionen Euro soll die Anlage kosten - was wieder einmal die CSU auf den Plan gerufen hat. Sie will wissen, ob das Gebäude überhaupt noch so viel Wert besitzt. Ein Gutachten hat nun ergeben: Das Eine-Welt-Haus ist viel mehr wert, nämlich 15 Millionen Euro. Für Tausende Menschen, die jährlich die Hilfe und Informationsangebote in dem Gebäude nutzen, ist das Eine-Welt-Haus ohnehin unbezahlbar.

Am Samstag, 18. Juni, feiert das Eine-Welt-Haus, Schwanthalerstraße 80, von 17 Uhr an 15-jähriges Bestehen mit internationalen Tänzen, Liedern und einem Konzert (21 Uhr). Der Eintritt ist kostenlos.

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