München:Topfit vor dem Strafgerichtshof

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Debattierkunst und Überzeugungskraft: Diese Fähigkeiten haben die Teilnehmer aus München unter Beweis gestellt. (Foto: privat)

Eine Schülergruppe nimmt als einziges deutsches Team am internationalen Juristenwettbewerb in Den Haag teil. Die Materie, über die verhandelt wird, ist kompliziert, doch die Münchner meistern die Aufgabe hervorragend

Von Sarah Obertreis, München

Thomas ist in seinem Element. Die Argumente kommen wie bestellt, seine Stimme schwillt immer mehr an. Als der 18-Jährige gerade zu einer neuen Attacke auf die Anklage ansetzt, unterbricht ihn Timekeeperin Elisabeth. "You have two minutes left!", ruft sie und hebt mahnend zwei Finger in die Höhe, für die zwei verbleibenden Minuten. Thomas führt die Verteidigung, als müsste er seine Mutter vor der Todesstrafe retten. Sein vernichtendes Fazit, nur wenige Sekunden über der angekündigten Deadline: "The prosecution has clearly failed." Die Anklage ist eindeutig gescheitert.

Die Anklage, bestehend aus Michael, Theresa und Calina, lacht. Schließlich sind die drei dieses Mal gegen Thomas nur in der Simulation einer Simulation angetreten. Die Münchner Schüler haben sich an diesem Freitagabend nicht zu einer Gerichtsversammlung getroffen. Sie sitzen in einem kleinem Raum unweit des Marienplatzes zusammen mit ihren Betreuern, um ihren vierten Platz beim internationalen Moot-Court-Wettbewerb in Den Haag zu feiern.

Vor einem Monat hatten sie und ihr neunköpfiges Team aus München als einzige deutsche Vertretung an einem Planspiel teilgenommen, hatten dabei eine Verhandlung vor dem Internationalen Strafgerichtshof simuliert. An diesem so genannten Moot Court nahmen 16 Teams aus zwölf Ländern teil, darunter Argentinier, Südafrikaner, Mongolen, Russen, Amerikaner und sogar ein Team aus dem winzigen Karibik-Inselstaat Sint Maarten.

Rückblick: Die Münchner und ihre Konkurrenten aus aller Welt treten in acht nervenaufreibenden Verhandlungsrunden gegeneinander an. Zwei Teams wetteifern als Ankläger und Verteidiger um die Punkte. Bewertet werden die Schüler in fünf Kategorien: Debattierkompetenz und Überzeugungskraft, die Fähigkeit, fallbezogen auf Fragen der Richter zu antworten, die Kenntnis des Falls, die Klarheit der Argumente und der Präsentationsstil. Die Punkte vergeben professionelle Richter, teilweise direkt vom Internationalen Strafgerichtshof entsandt. "Das waren so unglaubliche Autoritätspersonen", erinnert sich Theresa während des Nachtreffens in München. "Ich habe mich vor jedem meiner Auftritte gefühlt, als müsste ich in eine mündliche Klausur."

Auch bei der Münchner Nachbesprechung beschäftigt die Schüler der fiktive Fall des Moot Courts. Die Juristen des Internationalen Strafgerichtshofes hatten speziell für den Wettstreit einen bewaffneten Konflikt in dem fiktiven Äquatorial-Staat Cheketalo ersonnen. Dort bekämpfen sich ähnlich dem realen Bürgerkrieg in Syrien Milizen, Armeen und Rebellen. Ziel der Schüler-Anklage-Teams ist es, den ebenfalls fiktiven Waffenhändler Eric Maxwell wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Der ersonnene Fall dient als Vorverhandlung vor der eigentlichen Anklage.

Der unangefochtene Spezialist des Bürgerkrieges in Cheketalo in den Reihen der Münchner ist Felix Stern. Der zurückhaltende Rechtsreferendar und Diplom-Politologe blüht auf, wenn er über den Den Haager Wettbewerb spricht. Von Mitte Oktober 2015 an versammelte er die Jungen und Mädchen jede Woche für dreieinhalb Stunden um sich, paukte mit ihnen das internationale Straf- und Völkerrecht, erläuterte zum Zweck der Anschauung Urteile des Sondertribunals für Sierra Leone und erarbeitete Plädoyers. Alles auf Englisch.

Auch während des Moot Courts sprechen alle Englisch. Den Vollblutredner Thomas stört das nicht: "Wenn man sich einmal in das Juristen-Englisch eingefunden hatte, lief das." Theresa relativiert: "Die Richter hat man problemlos verstanden, aber bei den anderen Teams hakte es manchmal. Die New Yorker haben so gut Englisch geredet, dass wir nicht immer hinterher kamen, und die Mongolen waren so schlecht, dass man ebenfalls Schwierigkeiten hatte."

Michael teilte sich während des Moot Courts mit einem mongolischen Schüler das Zimmer. "Seine Landsleute hatten keinen Platz mehr für ihn", erklärt er lachend. "Es war cool, wir haben uns intensiv ausgetauscht." Für den hochgewachsenen Schüler waren die Geschehnisse rund um den Wettbewerb ohnehin interessanter als der Moot Court selbst. "Ich habe viele tolle Gespräche geführt. Die Russen haben mich nach der Medien-Berichterstattung in Deutschland gefragt. Die Diskussion war eines meiner Highlights."

Nicht alle Teams können dem Moot Court so entspannt entgegentreten wie Michael. Das Planspiel ist für die drei führenden Delegationen aus Südafrika, den USA und aus Sint Maarten eine ernste Angelegenheit. Dort müssen die Schüler erst landesweite - im Falle Sint Maartens karibikweite - Vorauswahlen überstehen, um überhaupt in Den Haag antreten zu dürfen. Vor dem Wettbewerb werden sie von renommierten Anwaltskanzleien gecoacht. Die setzen darauf, dass ihre Teams auch gewinnen. Elisabeth Rogg, die die Münchner Gruppe als Verhaltenstrainerin begleitet hat, erzählt von einem Gespräch direkt nach dem Wettbewerb. "Zwei New Yorker Staranwälte mussten eines der amerikanischen Teams ehrenamtlich coachen. Es landete auf dem zweiten Platz, und die Anwälte fluchten nur noch: "Das mit den Kids war eine verdammte Geldverschwendung!"

Das deutsche Team hatte im Gegensatz zu den drei führenden Ländern Südafrika, USA und Sint Maarten weder Coaches renommierter Kanzleien, noch konnte es in Den Haag in seiner Muttersprache antreten. Trotzdem erreichten die Münchener den vierten Platz, nur knapp hinter Sint Maarten. "We are the German Underdogs", sagt Betreuerin Elisabeth Rogg stolz.

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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