München:Stark sein für den Traum im Leben

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Die Bildungsinitiative "No Limits - Entdecke deine Chancen" unterstützt Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen, damit sie einen Abschluss erwerben und später einen Job finden - dafür ist der Verein auf Spenden angewiesen

Von Laura Zwerger, München

In einem Boot ist er nach Europa gepaddelt, mit rund 30 weiteren Flüchtlingen von Afrika nach Griechenland übers offene Meer. Kaum jemand von ihnen hatte je zuvor in einem solchen Boot gesessen, auch Changiz nicht. "Entweder ich wäre dort zurückgeblieben oder ich versuche es einfach", erinnert sich der junge Afghane. "Ich lerne sehr schnell, daher habe ich es dann probiert." Changiz hat es damals, vor gut zwei Jahren, in neun Stunden über das Meer geschafft. Heute lebt der 17-Jährige in München bei einer Pflegefamilie und besucht eine Übergangsklasse der Mittelschule an der Simmernstraße - mit nur zwei Jahren Schulbildung in seiner Heimat zuvor. Er ist entschlossen, sein Schicksal zu wenden und seine Begabung zu nutzen.

Doch das war nicht immer so: Auch nachdem er mit seiner Familie aus dem Krieg in Afghanistan geflohen war, erschien ihm seine Zukunft im krisengebeutelten Pakistan aussichtslos. Seine Mutter sah in ihm stets einen Elektriker - was er selbst werden möchte, wusste Changiz lange nicht: "Ohne Schulausbildung ist es schwierig, zu planen, denn ohne Wissen kann man nichts machen", erzählt er.

Dass er etwas in seinem Leben erreichen kann, das ist ihm erst durch den Kontakt zur Bildungsinitiative "No Limits - Entdecke deine Chancen!" bewusst geworden. Unter dem Dach des Vereins "Dein München" fängt das Projekt Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren auf, die aus einem schwierigen sozialen Umfeld kommen und denen es an Perspektive mangelt.

Das Projekt "No Limits" hilft Kindern und Jugendlichen, die zum Teil aus weit entfernten Ländern zu uns gekommen sind, in der Schule Fuß zu fassen. (Foto: Andreas Reiter/oh)

Das Ziel der sogenannten außerschulischen Bildungsplattform ist es, jungen Menschen Chancen aufzeigen und sie auf dem Weg zum Erfolg zu begleiten. Besonders auf Schüler der örtlichen Mittelschulen fokussiert sich das Projekt dabei, denn hier gelte es, ein gesellschaftliches Problem zu bekämpfen: "Mittelschulen geraten oft an ihre Grenzen und können den Kindern dadurch nicht die Perspektiven aufzeigen, die sie eigentlich hätten", berichtet Elisa Dudda. Als Projektkoordinatorin betreut sie unter der Leitung von Mara Bertling rund 70 Jugendliche in dem Drei-Phasen-Modell des Projekts, das durch Spenden in jedem Schuljahr neu finanziert werden muss.

Hierbei sollen die Schüler jeweils über ein Jahr zuerst ihre Chancen entdecken und diese dann in der zweiten Phase unter anderem bei Praktika umsetzen. Als letzten Schritt treffen die Kinder und Jugendlichen dann auf Paten, die längerfristig an ihrer Seite bleiben und sie bei etwaigen Problemen unterstützen. "Wir wollen aber vor allem das Selbstvertrauen der Kinder stärken - so dass sie auch an ihre Träume glauben", erklärt Dudda. Viele sind nicht von sich selbst überzeugt und erkennen eigene Stärken nicht. Oft hätten sie Angst, sich etwas zu trauen. "Nicht alle haben ein Zuhause, das sie unterstützt." Um über diese Angst hinweghelfen zu können, setzen die Betreuer daher stets auf zwei Faktoren: den Jugendlichen zuhören und ihnen auf Augenhöhe begegnen.

In jedem Buch steckt eine neue Welt: Changiz, 17 Jahre alt, will nachholen, was er in seiner Heimat Afghanistan versäumt hat. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Auch Changiz traut sich mittlerweile, zu träumen: Er möchte als Autohändler Erfolg haben. Dafür ist er nun auf der Suche nach einem Praktikumsplatz, seine Pflegeeltern und "No Limits" an seiner Seite. Hierfür offen und mutig zu sein, sind zwei Eigenschaften, die er erst durch das Team von "No Limits" bei sich selbst entdeckt habe, erzählt er. Besonders in den verschiedenen Workshops des Projektes habe er vieles über Stärken gelernt, die bereits lange in ihm geschlummert haben: "Ausdauer hatte ich beispielsweise oft in meinem Leben, aber noch nie bewusst", sagt Changiz. "In schweren Situationen denke ich mir jetzt: und nun Ausdauer!" Dass die Workshops viele Jugendliche so motivieren, ist einem Grundsatz der Initiative zu verdanken: "Wir wählen Trainer, die selbst einen schweren Weg gegangen sind", erklärt Initiatorin und Geschäftsführerin Mara Bertling. "Sie haben selbst riesige Entwicklungen durchgemacht und dennoch viel erreicht." Die jungen Schüler motiviere dies, auch einen womöglich langatmigen Weg zu gehen.

Und auch Changiz wird Ausdauer brauchen, wenn er hier in München seinen Schulabschluss absolvieren möchte; in einer fremden Sprache und mit kaum vorhandener Schulbildung. Doch um sein Ziel zu erreichen, lernt er viel und verzichtet während der Prüfungsphasen auf Fußballspiele im Verein oder Verabredungen mit Freunden. Für ihn sind schlechte Noten nicht nur ein Ausrutscher, sondern inakzeptabel: "Das passiert mir nicht noch einmal, denke ich mir dann."

Die erste Stufe des Bildungsprojekts hat er bereits erfolgreich absolviert, doch auch hier ist Changiz' Ehrgeiz noch nicht befriedigt: "Ich habe vieles anfangs nicht richtig verstanden, weil ich noch nicht so gut Deutsch konnte", resümiert er, in nun beinahe fließendem Deutsch. "Daher wiederhole ich das Jahr noch einmal, damit ich auch alles richtig mitbekomme."

Er möchte noch mehr von seinen Vorbildern lernen - und ist dabei bereits selbst zu einem geworden: "Viele in der Übergangsklasse trauen sich nicht zu reden", erzählt Changiz. "Aber seitdem ich mich traue, trauen es sich andere auch." Für ihn sei die Initiative "No Limits" ein Schlüssel, "und mit diesem Schlüssel kann ich endlich Türen aufschließen".

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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