München:Schön schaurig

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Gespenster, rastlose Seelen, ein Flammen speiender Pudel: In der Altstadt lässt sich das Gruseln lernen

Von Jutta Czeguhn

Vielleicht sollte man das jetzt nicht so schreiben. Wer weiß, ob Gespenster nicht auch Zeitung lesen oder auf andere paranormale Weise an diese Zeilen gelangen und dann womöglich nachtragend sind. Aber mal ehrlich: Wie, bitte schön, soll man sich mit angemessenem Respekt vor einem Geist gruseln, der so etwas Lächerliches wie eine Schlafhaube trägt? Der unkleidsam Gewandete ist der erste Spuk, dem die Teilnehmer der Stadttour "Schauriges München" begegnen, wobei "begegnen" natürlich rein metaphorisch gemeint ist.

Gästeführerin Michaela Meyer steht mit ihrer an diesem bitterkalten Winterabend überschaubaren Gruppe vor der Nordseite des Liebfrauendoms. Die Mitarbeiterin der Agentur "Die Stadtspürer" legt ein leichtes Schaudern in ihre Stimme und erzählt vom Friedhof, der sich dort einst befunden hat. Unwillkürlich wandern nun die Blicke auf das Pflaster, der ein oder andere beginnt, von einem Bein aufs andere zu treten - und das nicht nur wegen der grimmigen Temperaturen.

Michaela Meyer wird an diesem Abend noch zu einigen Schauplätzen mit einem, wie sie sagt, "erhöhten Verkehrsaufkommen" an Gespenstern führen. Es geht durch die nördliche Altstadt; Start der Geisterjagd ist der Dom, das Ziel der Brunnenhof in der Residenz. Unterwegs gibt es reichlich Nervenkitzel, geschuldet den Schauergeschichten von ruhelosen Seelen, Untoten, Hexen und Dämonen. Als gebürtige Nürnbergerin serviert Meyer diese übersinnlichen Nachtstücke der Münchner Stadthistorie allerdings mit der Handfestigkeit der fränkischen Sprache. Und nicht nur einmal kommt von ihr eine akute Gespenster-Warnung zu eventuellen Begegnungen der dritten Art: "Dann sollten Sie ganz schnell sein und am besten irgendwo Zuflucht suchen."

Nun aber zurück zum Hirngespinst am "Frauenfreihofe", wie der Gottesacker am Dom noch Anfang des 19. Jahrhunderts genannt wurde. Der unheimliche Schlafhaubenträger ließ die Münchner bei Dunkelheit einen Bogen um die Gegend machen. Doch war da dieser Kaufmann mit seinem Geschäft an der Weinstraße: Eines Nachts wandert er nach einem Wirtshausbesuch wohl aus einer Bierlaune heraus über den Friedhof, schon um den Mitzechern zu imponieren. Und wie's so kommt - auf einem der Grabsteine sitzt regungslos eine weiße Gestalt mit Zipfelmütze. Der Kaufmann, offenbar noch mit ausreichend Mut spendendem Alkohol im Blut, verpasst der Erscheinung eine satte Watschn. Dem Unbekannten rutscht die Mütze vom Kopf, zum Vorschein kommt ein grinsender Totenschädel. Nun ist es Zeit für den Kramer, die Beine in die Hand zu nehmen. An seinem Haus angekommen, wähnt er sich in Sicherheit, zumal der Türsturz doch den wirksamen Dämonen-Bannspruch "C+M+B" trägt. Doch das Gespenst ist ein ganz ausgeschlafenes: Es steigt durchs Fenster ins Bettgemach des Kaufmanns, der ihm wiederum geistesgegenwärtig ein Madonnenbild entgegenschleudert. Der Spuk verschwindet, der Mann aber hat fortan seinen Spitznamen weg: "Schlafhaubenkramer".

Nach dieser Verfolgungsjagd als temporeichen Einstieg in die Münchner Geister-Geschichte geht es nicht minder rasant weiter. Michaela Meyer stürmt zügigen Schrittes durch zumindest halbdunkle Gassen in Richtung Promenadeplatz. Die Gruppe folgt gemächlich, dankenswerterweise trägt die Stadtführerin eine leuchtend rote Jacke. Vor dem Haus mit der Nummer 7, heute Sitz einer Bank, hören die Teilnehmer dann die Geschichte vom Geizhals: Der war ein typisches Spekulantenschwein, kaufte Getreide günstig ein und erhöhte in Notzeiten drastisch die Preise. Eine Tagelöhnerfamilie mit sieben Kindern, die ihm die Miete schuldig blieb, setzte er herzlos bei Winterkälte vor die Türe. Doch dabei handelte er sich einen Fluch ein, der das Schicksal des "Troadkipperers", des Getreideschauflers, besiegeln sollte. Ratten und Mäuse bevölkerten fortan seinen Getreidespeicher und trieben ihn erst in den Bankrott, dann in den Selbstmord. Seither geistert er in Gestalt einer riesigen schwarzen Katze umher. Heute noch, sagt Michaela Meyer, seien im Dachgeschoss des Hauses mit der Nummer 7 zuweilen Geräusche zu hören und ein Lichtschein zu sehen. An diesem Abend allerdings gibt die rastlose Seele des Geizigen offenbar Ruhe.

Wie gut, dass auch in der Geisterwelt nicht nur Unsympathen unterwegs sind. Michaela Meyer kündigt einen richtig netten Spuk an - den "dicken Mann vom Maxtor". Dieses gemütliche Wesen soll die Eigenheit haben, Spaziergängern, die dort unterwegs sind, wie aus dem Nichts zu erscheinen und ihnen fortan nicht mehr von der Seite zu weichen. Der anhängliche Fettwanst ist laut Meyer so beleibt, dass er den ganzen Bürgersteig ausfüllt: "Aber keine Angst, der tut nichts!"

Irgendwo schlägt eine Turmuhr neun Mal, wir sind noch ein gutes Stück entfernt von der Geisterstunde. Doch das trübe Licht in den Innenstadtgassen, der aufsteigende Nebel, all das erscheint wie bestellt als Kulisse für diese Spuktour, bei der Michaela Meyer nun zum Finale die Schauerschraube deutlich anzieht. In der Jungfernturmstraße nahe des Salvatorplatzes, an dem die letzten Reste der Münchner Stadtbefestigung stehen, ist von Folter und Verdammnis die Rede, von der Eisernen Jungfrau, von Schreien, Stöhnen und unheimlichen Einspännern, die um Mitternacht Halt machen. Dass sich heute nur noch dunkle SUVs auf der Suche nach einem Parkplatz möglichst in Kneipennähe drängeln, lenkt fast gar nicht von den grausigen Schilderungen ab.

Zu den Geistern, die nächtens die Innenstadt heimsuchen, gehören laut Meyer auch Frauen, die gewaltsam zu Tode kamen. Sie erzählt vom Schicksal der Theresia Kaiser, die 1701 als "letzte Hexe" von München hingerichtet wurde. Wie so viele vor ihr war sie ein Opfer männlicher Macht, der Zauberei bezichtigt von einem Hofschreiber, den die 17-Jährige hatte abblitzen lassen. Bei dieser Geschichte greift der Teufel als Racheengel ein, in Gestalt einer riesigen schwarzen Fledermaus.

Tierisch ist auch der finale Spuk im Brunnenhof der Residenz, in dem man in der Stille des Abends auf dem Pflaster die eigenen Schritte so schön grausig klacken hört. Dort treibt es um Mittelnacht einen schwarzen Pudel um, ein Monster mit glühenden Augen, aus dessen Maul Flammen lodern. Es ist der Geist eines habgierigen Dieners, der die Stadt einst für reichen Lohn an die Österreicher verriet und dafür - Gott ist gerecht - in der Hölle geschmolzenes Gold fressen muss.

Weitere Infos: www.mystisches-muenchen.de

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Fürchtet euch nicht: Im Schatten des Doms...

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

...berichtet Michaela Meyer von gruseligen Gestalten.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine davon ist der Teufel, der sich als Fledermaus zeigt.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Hauch des Grauens: unheimliche Kulisse an der Salvatorstraße.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Zuhörerschaft ist angesichts der niedrigen Temperatur überschaubar.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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