München:Ringen um Bedürfnisse

Abriss der Stände, Neubau von 15 Toiletten: Der geplante Total-Umbau des Wiener Platzes führt weiterhin zu Diskussionen - und zu einer Sondersitzung

Von Julian Raff

Und jetzt auch noch der Schmarrn mit den Dollarscheinen! Egal, ob Flaneur, Anwohner oder Händler am Wiener Platz - jedem ist der neue Geldautomat im winzigen Ganserlpavillon schon aufgefallen, wenn nicht aufgestoßen. Nachts verbreitet der Kasten grellbunt-leuchtendes Bahnhofsflair; rund um die Uhr spuckt er auf Wunsch sogar US-Banknoten aus - wer auch immer die braucht. Dabei hätte die glamourös gemeinte Geste bis vor Kurzem höchstens Achselzucken provoziert; seitdem aber die Abrissbirne über den historischen Marktständen auf dem Platz pendelt, reagieren die Menschen sensibel auf ungebetene Modernisierung - so sensibel, wie nach vorherrschender Meinung auch die amtlichen Denkmalschützer agieren sollten.

Die hätten, historische Pläne in der Hand, empört abgewunken, als er noch aus dem Kleinst-Stand heraus verkaufte und ein paar Quadratmeter anbauen wollte, erinnert sich Stefan Wehner. Vor anderthalb Jahren ist er mit seinen niederbayerischen Metzgerei-Spezialitäten in die Standl-Zeile an der Inneren Wiener Straße umgezogen, wo das Geschäft, auf immer noch engem Raum, viel besser läuft. "Ich könnte mir ja jetzt eine Plastikkuh aufs Dach stellen", so macht sich Wehner über die verflogene Strenge der Baubehörde lustig. Trotzdem könnte er auch "mit einer sanften Sanierung leben". Wenn er "unterm Strich doch für den Erhalt" ist, dann vor allem wegen der Umsatzeinbußen während des Umbaus. Baustellen-Flauten hatten Markt- und Geschäftsleute genug - zuletzt vor zwölf Jahren, als die Tramgleise erneuert wurden. Und mit den geplanten 15 Klos für acht Stände "springt das Pferd höher, als es muss", findet Wehner; ansonsten aber sieht er bei Müll und Sanitär schon gute Gründe für einen Umbau und steht damit nicht allein.

München: Mitten drin und gern besucht: Der Wiener Platz.

Mitten drin und gern besucht: Der Wiener Platz.

(Foto: Stephan Rumpf)

Anders als ihre Kunden oder die Sonnenanbeter, mit denen sich der Platz bei Überschreiten der Zehn-Grad-Celsius-Marke schnell füllt, stellen sich die Marktler keineswegs geschlossen gegen die Umbaupläne des Kommunalreferates und der "Markthallen München". Die Kernfrage, wie dringend das Bedürfnis nach mehr Toiletten wirklich ist, will der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Stefinger nun direkt von EU-Parlament und -Kommission klären lassen. Obendrein sind diverse Bundes- und Landesparlamentarier schon eingeschaltet, wenn an diesem Donnerstag der Bezirksausschuss nochmals in einer Sondersitzung über den aktuellen Stand berät.

Blumenhändlerin Rita Keller-Seebach müsste bei einem Abriss der Stände ihre Investition in eine Klimaanlage zwar in den Wind schreiben, kann aber einer Zusammenlegung in drei oder vier Marktgebäuden durchaus etwas abgewinnen. Vor allem die aktuelle Praxis mit den Toiletten hält sie für untragbar. Anstatt die Gäste ihrer Kleingastronomie, wie mit den Wirtsleuten vereinbart, hinüber in den Hofbräukeller zu schicken, würden ihnen die meisten Standl-Wirte eben doch die beiden sauberen, aber veralteten Personaltoiletten aufsperren, was die Stadt wohl erst auf den überdimensionierten Klo-Plan gerufen habe. Sie selbst teilt auch nicht unbedingt die Ängste ihrer Kollegen, wonach die Stadt den Umbau lediglich zum Ausstieg aus den lebenslangen Zuweisungsverträgen nutzen wolle, die eine teils umsatzabhängige Pacht bieten - und so ein Stück Sicherheit. Auf der anderen Seite kassiert die Stadt in guten Zeiten ja immer entsprechend mit, plädiert die Floristin für mehr Mut zu unternehmerischem Risiko.

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Bargeld wird hierzulande immer noch gebraucht - Dollar allerdings eher selten.

(Foto: Stephan Rumpf)

Da hält Sabine Schropp klar dagegen. Und das nicht nur deshalb, weil die Feinkosthändlerin natürlich ihre Zuweisung behalten will: "Ein Jahr Bauzeit, da krieg ich einen Lachkrampf". Im chaotisch durchlöcherten Haidhauser Untergrund sei bis jetzt noch jeder Bau-Zeitplan verschütt gegangen. Alles, was ihr geliebtes "Kleinod" brauche, ist ein neues Häusl mit jeweils zwei Gäste- und Personalklos sowie eine geruchsdichte, notfalls auch gekühlte Müllbox. Und die alten Stände könnte ja derweil wirklich jeder Schreiner denkmalgetreu nachbauen.

So sehr die Haidhauser ihren Markt lieben und verteidigen, wirklich groß eingekauft wird hier nicht. Getrunken und gegessen dagegen schon. Das liegt natürlich auch an der Aufenthaltsqualität, ein Ergebnis einst umstrittener Umbauten: Bis zur ersten Verkehrsberuhigung Anfang der Neunzigerjahre war das Standl-Dreieck eine von Autos umbrandete Insel. Zehn Jahre später entstand die heutige Mini-Fußgängerzone, geboren aus einer Bürgerkontroverse voller unterschiedlicher Erwartungen an den Platz. Die Entscheidung brachte eine Mediation und zum Schluss ein nichtöffentliches "Konsensverfahren". Damals gefeiert, ist das Prozedere mit der als scheindemokratisch geschmähten Neuauflage etwas in Verruf geraten. Nach Fertigstellung des neuen Platzes im Herbst 2002 drehte man nur noch ein wenig an der Fischerbuberl-Figur auf dem vom Viktualienmarkt umgesiedelten Brunnen herum, bis der blanke Bronzehintern in eine konsensfähige Richtung wies.

München: Mit seinen Marktständen ist er nicht nur bei den Haidhausenern besonders lieb.

Mit seinen Marktständen ist er nicht nur bei den Haidhausenern besonders lieb.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ansonsten waren eigentlich alle zufrieden und sind es bis heute - so wie zum Beispiel Karl und Erna Hammer. Er und seine Frau leben seit dem Ruhestand nahe Regensburg, schauen aber bei jedem Besuch in der alten Haidhauser Heimat auf ihrem Lieblingsplatz vorbei. Natürlich kennen sie die Umbaupläne und machen sich Sorgen um den Charakter ihres Wiener Platzes. Das alte, graue und ärmliche Haidhausen der Sechziger- und Siebzigerjahre haben die Hammers aber noch gut genug in Erinnerung, um dem nicht nachzutrauern. Der Wiener Platz sei insgesamt schon ein gutes Beispiel dafür, wie vieles im Viertel auch schöner, praktischer und sauberer geworden sei, findet Erna Hammer; wirklich übel seien doch Vertreibung und Mietwucher drumherum.

Überhaupt wechseln viele, die über den Platz reden, schnell zum Thema Miet-Wahnsinn. Das entfacht dann echte Bestürzung - und lässt das Ringen ums beste Platz-Arrangement dann doch ein wenig luxuriös erscheinen.

Die Sondersitzung des Bezirksausschusses beginnt an diesem Donnerstag um 19 Uhr im Gasteig, Besprechungsraum 4.156, 4. Obergeschoss.

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