Flüchtlinge:Rechte Hetze unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft

Lesezeit: 3 min

  • Rechtsradikale rufen dazu auf, Adressen von Flüchtlingsunterkünften bekannt zu geben - angeblich, um Spenden zu verteilen.
  • Auf einem Hetzblog im Internet veröffentlichen sie eine Karte mit den Standorten.
  • Das Kreisverwaltungsreferat nennt dieses Vorgehen "schlicht widerwärtig", das Landesamt für Verfassungsschutz fürchtet, die Inhalte der Seite könnten zu Aktionen gegen Asylbewerber anstacheln.

Von Martin Bernstein

Wieder hetzen Rechtsradikale im Internet gegen Flüchtlinge. Besorgnis herrscht deshalb im Münchner Sozial-, im Kommunal- und im Kreisverwaltungsreferat. Denn im Hetzblog ist eine Karte mit den Standorten zahlreicher Münchner Flüchtlingsunterkünfte veröffentlicht. Die anonymen Betreiber der Seite "Asylterror" nutzen nach eigenen Angaben einen Server außerhalb Europas und fordern unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft dazu auf, Adressen von Flüchtlingsunterkünften zu nennen.

Es sei, so die perfide Begründung, "dringend erforderlich, auch den Standort zu wissen, damit jede Spende so schnell wie möglich beim Flüchtling ankommt". Als "schlicht widerwärtig" bezeichnet Johannes Mayer, Sprecher des Kreisverwaltungsreferats, den Blog. Die zuständigen städtischen Stellen seien in ständigem und intensivem Austausch mit der Polizei und weiteren Sicherheitsbehörden. "Ein besonderes Augenmerk gilt dabei Flüchtlingsunterkünften."

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Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz kennt die fragliche Seite. Sie ist schon im vergangenen Jahr von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert worden. Die dort verbreiteten Inhalte könnten zu Aktionen gegen Asylbewerberheime aufstacheln, bestätigt Sönke Meußer, der stellvertretende Pressesprecher des bayerischen Verfassungsschutzes.

Im vergangenen Jahr registrierte die Münchner Polizei zehn Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Derartige Karten im Internet sind laut Meußer nicht neu. So veröffentlicht auch die Neonazi-Organisation "Der dritte Weg", deren Münchner Mitglieder regelmäßige Teilnehmer an Pegida-Kundgebungen in der Landeshauptstadt sind, eine Karte mit Flüchtlingsunterkünften. Die bayerische NPD versucht laut Landesamt mit einer ähnlichen Karte, Vorurteile über kriminelle Migranten zu stärken.

Zahlreiche Münchner Vorfälle aus jüngster Zeit bestätigen die Einschätzung der Verfassungsschützer: Die "rechtsextremistische Hetze in den sozialen Medien nimmt zu und provoziert zunehmend auch Straftaten von Personen außerhalb der rechtsextremistischen Strukturen". So ließen aufmerksame Eltern aus München im vergangenen Jahr eine rechtsradikale Whatsapp-Gruppe auffliegen, in der Jugendliche rechtsradikale Parolen und Schmuddelpornos austauschten. In der Gruppe, die zeitweise unter dem Namen "Arische Bruderschaft" firmierte, posteten nach Erkenntnissen der Münchner Staatsanwaltschaft 179 Personen Judenwitze und Sprüche, die die NS-Zeit verherrlichten.

Seit 2012 hat sich die Hasskriminalität im Internet mehr als versechsfacht

Im Januar vergangenen Jahres ermittelte die Polizei gegen einen Münchner, der in sozialen Netzwerken Drohungen gegen Asylbewerberheime ausgestoßen hatte. Zunächst stand sogar der Verdacht auf Bildung einer terroristischen Vereinigung im Raum. Und erst in der vergangenen Woche verurteilte das Amtsgericht eine 31-jährige Münchnerin zu einer Geldstrafe von 2450 Euro. Sie hatte in der Google-plus-Gruppe "Das Reich" ein Hakenkreuz gezeigt und Muslime beleidigt. Von den bundesweit 107 Mitgliedern der Gruppe wurden inzwischen schon 23 wegen rechter Straftaten angeklagt.

Seit 2012 haben sich nach Erkenntnissen des bayerischen Innenministeriums die Fälle rechter Hasskriminalität im Internet mehr als versechsfacht. Vergangenes Jahr registrierten bayerische Ermittler 328 derartige Fälle. Jedes dritte Ermittlungsverfahren im Bereich der politisch rechts motivierten Kriminalität hat laut Innenministerium inzwischen seinen Ursprung im Internet. 59 Fälle von Volksverhetzung, 25 Fälle, in denen Rechte das Hakenkreuz oder andere verbotene Kennzeichen präsentierten, sowie 24 Beleidigungsdelikte durch Rechtsradikale und Antisemiten registrierte die Münchner Polizei 2016 - typische Straftaten in den sozialen Netzwerken.

Am 13. Juli fanden bundesweit Razzien gegen etwa 60 Personen wegen Hass-Postings im Internet statt. Wie durch eine Anfrage der Landtags-Grünen erst jetzt bekannt wurde, durchsuchte auch die Münchner Polizei dabei die Wohnung eines Beschuldigten. Die Durchsuchung sei "ohne besondere Vorkommnisse" abgelaufen, teilt das Innenministerium der Münchner Landtagsabgeordneten Katharina Schulze (Grüne) mit. "Diverse Datenträger" seien sichergestellt worden. Dem Münchner wird vorgeworfen, auf Facebook Kommentare veröffentlicht zu haben, die den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Wegen zweier derartiger Hasspostings ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft München I.

"Vor allem in geschlossenen Gruppen im Netz fällt jede Hemmschwelle"

Es gebe derzeit keine Anhaltspunkte, so das Innenministerium, dass der Beschuldigte Gewalttaten geplant habe. "Eine abschließende Aussage ist insoweit jedoch nicht möglich, da auch diese Ermittlungen, insbesondere die Auswertungen der sichergestellten Speichermedien, noch nicht abgeschlossen sind." Auch dieser Tatverdächtige war der Polizei bis dahin noch nicht als rechtsradikal aufgefallen.

"In der Anonymität des Internets hetzen neben Aktivisten der rechtsextremistischen Szene auch Personen, die bislang keinen rechtsextremistischen Strukturen angehörten", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts. "Vor allem in geschlossenen Gruppen im Netz fällt jede Hemmschwelle." Um dem zu begegnen, hat das Landesamt seit einem Jahr für die operative Internetauswertung im Bereich Rechtsextremismus einen eigenen spezialisierten Fachbereich eingerichtet.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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