München:Probewohnen mit Annika

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Eine neue Einrichtung ermöglicht es, dass Viktor von Wackerbarth mit seiner Freundin zusammenziehen kann

Von Gudrun Passarge, München

Viktor von Wackerbarth steht vor einem neuen Lebensabschnitt. Der 20-Jährige aus Obermenzing hat seine Zeit beim Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) in der Lebenshilfe hinter sich. Jetzt steht ein Umzug an. Der junge Mann plant eine Zukunft mit seiner Freundin Annika. Gemeinsam werden sie ein neues Haus für Menschen mit Behinderung beziehen, das eine Elterninitiative in Höhenkirchen-Siegertsbrunn im Landkreis München gebaut hat. "Viktor und Annika ziehen ins einzige Paarapartment", erzählt sein Vater Jens von Wackerbarth. "Ich freue mich total", sagt der Sohn, "auch wenn ich ein wenig traurig wegen meiner Familie bin." Viktor von Wackerbarth hat das Down-Syndrom.

Der Schreibtisch ist schon aufgeräumt, bald wird nichts mehr daran erinnern, dass Viktor ein Jahr lang bei der Lebenshilfe in Untergiesing als Bufdi gearbeitet hat. Georg Hohenester, der als Sozialpädagoge in der offenen Behindertenarbeit tätig ist, lobt den jungen Mann in den höchsten Tönen. "Er hat viel Ablagearbeit gemacht und ganz, ganz viel Bürokrimskrams, der uns sonst immer sehr aufhält." Zum Beweis zieht er einen Aktenordner aus dem Regal, den Viktor mit einem ordentlich im Computer erstellten Rücken beschriftet hat. Darin sind die ganzen Anmeldungen alphabetisch geordnet, alles Viktors Werk. "Aber meistens mache ich sehr gerne Hauswirtschaft", sagt Viktor. Ein Satz, der öfter fällt an diesem Vormittag. Sein Vater nickt. "Ordnung ist sein Leben", erzählt er. Sein Zimmer zuhause in Obermenzing verlasse er erst, wenn alles an seinem Platz stehe.

Viktor lächelt. Blonder Kurzhaarschnitt, blaue Augen, ein blau-kariertes Hemd über der Jeans, selbstbewusst beantwortet er die Fragen. Ja, die Seminare, die alle Bufdis machen müssen, hat er gerne besucht. Es ging um Politik, Teamarbeit, Gebärdensprache, Psychologie und vieles mehr. "Die Inhalte bereiteten Mitarbeiter mit Viktor vor", und anfangs assistierte ihm auch ein Teilnehmer, sagt Koordinator Harry Zipf von der Lebenshilfe. Aber nach kurzer Zeit sei klar geworden, Viktor habe diese Hilfe nicht gebraucht. Er selbst berichtet, er habe tagsüber mit den anderen gelernt. Und abends? "Party", sagt er.

Seine Zeit als Bufdi hat ihm gut gefallen. "Es hat Spaß gemacht", sagt Viktor. Und er habe eigenes Geld verdient, etwa 400 Euro. Der Vater berichtet, dass Viktor mit den Geldscheinen manchmal Probleme gehabt habe. Aber jetzt habe er eine EC-Karte, "die verleiht ihm viel Selbständigkeit". Viktor will das so nicht stehen lassen. Er sei schließlich in der Schule mal Mathe-Meister gewesen. Der Vater runzelt die Stirn. "Das ist mein Interview, Dad", sagt Viktor und beendet die Diskussion.

In Zukunft jedoch wird er etwas weniger Geld zur Verfügung haben. Er wird in der Obersendlinger Lebenshilfe-Werkstatt den Berufsbildungsbereich absolvieren, ein zweijähriges Durchlaufprogramm durch mehrere Stationen, natürlich auch mit Hauswirtschaft. Dann werden dem jungen Mann nur noch etwa 200 Euro übrig bleiben. Doch das kümmert ihn im Moment nicht. Er steckt voller Pläne und Vorfreude auf den September, wenn Annika und er zusammenziehen können. Das Haus in Höhenkirchen-Siegertsbrunn hat der von Eltern gegründete Verein "Zukunft trotz Handicap" gebaut. Es hat 27 Apartments für Menschen mit Behinderungen, die dort in Wohngruppen leben und sich jeweils einen Gemeinschaftsraum mit Küche teilen werden. Am Abend sollen externe Betreuer helfen, wo nötig.

Ob Viktor dann weiter an den Special Olympics teilnehmen kann, muss sich zeigen - der Weg zum Training nach Olching ist wohl zu weit. Erst kürzlich heimste er wieder Medaillen bei der bayerischen Special Olympics-Veranstaltung ein. Gold im Weitsprung, mit seinem "Superrekord" von 2,21 Metern, Bronze beim Staffellauf. Jetzt freut er sich auf das Leben mit Annika. "Ich kenne meine Freundin seit der ersten Klasse", erzählt der 20-Jährige, der die Montessori-Schule in Großhadern besucht hat. "Am 15. September haben wir Jahrestag, wir sind seit 13 Jahren zusammen." Mit dem Apartment im Wohnheim beginnt eine Probezeit fürs Zusammenleben. "Wenn wir es geprobt haben, werden wir heiraten können, so wie meine Eltern", sagt Viktor, in einer "romantischen Kirche". "Das ist sein sehnlichster Wunsch", sagt der Vater.

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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