München: Pop-Geschichte:"Macht's den Krach leiser"

Als Jimi Hendrix im Big Apple gastierte und Iggy Pop im Substanz: Ein neues Buch leitet den Leser durch 65 Jahre Münchner Pop-Geschichte.

Dirk Wagner

Statt zu verreisen, die eigene Stadt bereisen, so lautet ein Angebot des Vereins Stattreisen München, dessen thematische Stadtrundgänge auch Einheimischen noch einige ihnen unbekannte Seiten Münchens entdecken lassen. "Macht's den Krach leiser!" heißt einer dieser Rundgänge. Und er führt zu den Stätten der Popkultur in München von 1945 bis heute.

Jimi Hendrix im Big Apple

"Hey Joe where you're goin' with that gun in your hand?"Jimi Hendrix gastierte im Big Apple, einem kleinen Club an der Leopoldstraße.

(Foto: Allitera)

Stadtführer Christian Ertl hat diesen Rundgang auf 120 Buchseiten niedergeschrieben, die nun als Taschenbuch im Allitera Verlag erschienen sind. Und schon beim Durchblättern wird deutlich: Dieses Buch thematisiert nicht nur eine in München entstandene Popkultur, sondern jede Art von Pop, die jemals in München stattgefunden hat.

Dazu gehören neben anderen auch Auftritte von Ella Fitzgerald oder Count Basie im Jazzclub Studio15, der trotz solcher prominenter Gastauftritte bereits 1958 schloss. Oder jenes legendäre Konzert von Jimi Hendrix im Schwabinger Club Big Apple, bei welchem der Saitenbeschwörer zum ersten Mal eine Gitarre auf der Bühne zerdeppert haben soll.

Ob sich das damals tatsächlich so zugetragen hat oder nicht, lässt der Autor allerdings ebenso offen wie das im Buch formulierte Gerücht, dass AC/DC-Gitarrist Angus Young mal im Substanz am Tresen gesessen habe. Abgesehen davon, dass solche Geschichten mehr über die Promi-Sucht einer Stadt als über deren Pop-Entwicklung verraten, ist es nicht die einzige Ungenauigkeit in Ertls Popführer, der darum trotz der enormen Informationsdichte mehr wie eine noch zu bearbeitende Stichwortsammlung denn wie eine reflektierter Essay wirkt.

Dabei hätte ein einziger Anruf genügt, um zu erfahren, dass Iggy Pop einen Abend lang zwar Gast im Substanz war, anders als im Buch behauptet, dort allerdings nie auftrat. Allzu viel Zeit verschwendet Ertl offenbar nicht auf eine gründliche Recherche. Stattdessen plaudert er aus seinem überbordenden Nähkästchen, was notwendig viele Ungenauigkeiten und Halbgares mit sich bringt.

Auf einer Stadtführung mag das schon aus zeitlichen Gründen genügen, um einen neuen Blick auf die Originalschauplätze zu ermöglichen. In einem Buch wünschte man sich dann aber doch eine Vertiefung der angerissenen Themen und ärgert sich, wenn Ertl bisweilen eine Schatztruhe aufmacht, seinen Lesern dann aber nur flüchtigen Einblick gewährt. Stattdessen wechselt er sogleich zu einem anderen Thema.

"100 Prozent subjektiv"

Das kann bei Ertl auch mal ein Lobgesang auf eine Münchner Bierbrauerei sein, so hingebungsvoll vorgetragen, als verspräche sich der Autor davon Freibier auf Lebenszeit. Oder er beschreibt "die Dominanz des Münchner Fußballs" als naturgegeben. Was das mit der im Buchtitel versprochenen Popkultur in München zu tun hat? Verbindungen ließen sich bestimmt herleiten, doch der Autor antwortet auf solche im Vorwort selbstgestellte Fragen nur trotzig: "Die Auswahl der Themen ist zu 100 Prozent subjektiv."

Als ob solch subjektive Themenauswahl nicht begründet werden könnte, um sie auch Außenstehenden verständlich zu machen. Doch Ertl schreibt ohnehin mehr für Eingeweihte, Menschen also, die mit entsprechenden Vorkenntnissen durchs Buch blättern, zufrieden alles Wesentliche aufgelistet sehen, und beim einen oder anderen Abschnitt hängenbleiben.

Dafür eignet sich das Buch großartig: zum Schmökern in beliebiger Reihenfolge, um so das eine oder andere Popgeschehen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Auch wenn das Buch keineswegs logisch aufgebaut ist. Warum zum Beispiel der Clubgeschichte des Pimpernel eine Erläuterung der Band Sparifankerl folgt, ist dem Text jedenfalls nicht zu entnehmen.

Und wenn Ertl dann noch bemerkt, dass das in München erschienene Stadtmagazin Das Blatt das erste seiner Art deutschlandweit war, ohne daraus die naheliegende Geschichte über den Wandel der Medien in dieser Stadt und ihre Bedeutung für die hiesige Popkultur zu entwickeln, ist dieses Versäumnis schon darum ärgerlich, weil eine solche Abhandlung auch einen anderen Blick auf die Entwicklung des Pop ermöglicht hätte.

So sollte man den Stadtführer also mal Stadtführer sein lassen und mit dem Buch gerüstet die Route abspazieren, um an den jeweiligen zu Beginn der Kapitel benannten Stationen die entsprechenden Passagen zu lesen. Vielleicht erschließen sich an Ort und Stelle Zusammenhänge, die in der reinen Lektüre verborgen bleiben. Wenn nicht, hatte man wenigstens einen schönen Spaziergang.

"Macht's den Krach leiser", Verlag Allitera, 140 Seiten, 12,90 Euro

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