München:Notruf

Das Netzwerk Regsam beklagt den Mangel an Kinderärzten - vor allem im Münchner Norden. Die Kassenärztliche Vereinigung zieht sich auf ihre Statistik zurück und erkennt keinen Handlungsbedarf

Von SIMON Schramm

Folgt man der offiziellen Verlautbarung, gibt es in München keinen Mangel an Kinderärzten. Nach jüngster Erhebung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) liegt der Versorgungsgrad in der Stadt bei 130 Prozent - oberhalb einer Quote von 110 Prozent gilt ein Bereich als überversorgt. Davon ist in Stadtvierteln wie Allach oder Berg am Laim allerdings nichts zu merken, die dort angesiedelten Kinderärzte leiden unter der Überbelastung. In Milbertshofen beispielsweise gibt es nur einen Kinderarzt für etwa 9000 Kinder unter 14 Jahren; er hat nicht mal die Zeit für ein kurzes Gespräch über seine tägliche Arbeit. Seine Arzthelferin erklärt stellvertretend, dass jeder Tag bis auf die Minute durchgetaktet sei.

Und die unbefriedigende Situation breitet sich auf die Nachbarbezirke aus. Kinderärztin Stefanie Rosam teilt sich in der Ingolstädter Straße in Freimann die Praxis mit einem Kollegen, die beiden betreuen täglich 120 bis 150 Kinder - das sei normal. Aber: "Vorsorge und Impfung sind drei Monate im Voraus ausgebucht", sagt Rosam. In ihrer Praxis rufen täglich bis zu fünf besorgte Eltern aus anderen Vierteln an, zum Beispiel aus Giesing und Riem, und fragen, ob ihre Kinder in Freimann behandelt werden können. Stefanie Rosam und ihr Team sind wegen des Andrangs gezwungen, viele abzuweisen; nur bei Kindern aus dem Münchner Norden machen die beiden Ärzte eine Ausnahme. Als 2015 im Hasenbergl ein Kinderarzt wegzog und keinen Nachfolger fand, hatte Stefanie Rosam einen Teil der kleinen Patienten übernommen.

Dass die Versorgung mit Ärzten in peripheren Vierteln der Stadt München problematisch ist, sich verschlimmert und Besserung nicht in Sicht ist, wird regelmäßig festgestellt. Um dem dringenden Wunsch nach einer Lösung Nachdruck zu verleihen, hat nun das Team von Regsam, das regionale Netzwerk für soziale Arbeit in München,der Kassenärztlichen Vereinigung eine Liste mit Unterschriften von etwa 1000 Eltern übergeben, die Regsam in den vergangenen zwölf Monaten in Schulen, Arztpraxen und Versorgungseinrichtungen gesammelt hat. Mit dabei waren ein Kollege von Kinderärztin Rosam, ein am Limit arbeitender Kinderarzt aus dem Hasenbergl, ein von der schwierigen Suche nach einen verfügbaren Arzt betroffener Vater sowie Gesundheitsreferentin Stephanie Jacobs (CSU).

München: SZ-Grafik; Quelle: Kassenärztliche Vereinigung Bayern; Stand: 31.1.2017

SZ-Grafik; Quelle: Kassenärztliche Vereinigung Bayern; Stand: 31.1.2017

Die Forderung zum Anlass der Übergabe: Ein Sonderweg für München, denn es herrscht unter allen Beteiligten der Konsens, dass der Ärztemangel am ehesten dadurch gelöst werde, indem der Bedarf in München nicht wie derzeit der Fall im Gesamten, sondern in mehreren Einzelgebieten betrachtet wird. Regsam richtete sein Anliegen an die KVB, weil deren Landesausschuss den Bedarf für Bayern bewertet. Das Ergebnis: "Unbefriedigend", sagt Friederike Goschenhofer von Regsam. "Keine Veränderung für das Grundproblem." Christoph Graßl, KVB-Vorstand für den Bereich München, erklärte den Besuchern, dass eine differenzierte Betrachtung nicht vorgesehen ist und auch nicht in Aussicht steht.

Graßl verweist darauf, dass die Bundespolitik die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen muss, um die Versorgungsbereiche neu definieren zu können. So wird bislang die Ärzteversorgung in München nicht getrennt für jedes Viertel oder zumindest für einen Bereich je nach Himmelsrichtung untersucht. Darum ist München nach offizieller Darstellung in vielen Fachrichtungen überversorgt - was daran liegt, dass viele Ärzte in der Innenstadt und nicht in Randvierteln niedergelassen sind.

Die Stadt sieht nicht viele Möglichkeiten, um gegen den Mangel an Versorgung vorzugehen. Die Gesetzeslage erlaubt es Kommunen, Kassensitze aufzukaufen und eigene Versorgungszentren aufzubauen. München darf das aber nicht, weil die Option sich eben auf unterversorgte Regionen bezieht. Die Stadt hat deshalb im vergangenen Sommer beschlossen, ein "medizinisches Versorgungsmanagement" aufzubauen: Die Verwaltung will selber auswerten, welcher Bedarf an ambulanter und stationärer Versorgung in den Vierteln besteht und daraus Ansätze zur Verbesserung der Situation entwickeln. Es wird aber noch bis 2018 dauern, bis diese Abteilung aufgebaut ist. Das neue Ressort beim Gesundheitsreferat soll auch Schwerpunkte setzen, etwa im Bereich "Gesund alt werden." Da die Situation im Bereich der Geburtshilfe akut schwierig ist, hat die Stadt die Untersuchung für den Schwerpunkt "Rund um Schwangerschaft und Geburt" bereits an externe Experten vergeben, die bis zum Jahr 2018 ihre Untersuchung abschließen wollen.

München: Mit Nachdruck: Friederike Goschenhofer übergibt 1000 Unterschriften an Christoph Grassl, Vorstand der Kassenärztlichen Vereingung.

Mit Nachdruck: Friederike Goschenhofer übergibt 1000 Unterschriften an Christoph Grassl, Vorstand der Kassenärztlichen Vereingung.

(Foto: Robert Haas)

Regsam hat beim KVB-Besuch speziell die Situation im Münchner Norden angemahnt. Wegen der schwierigen Lage hat Hebamme Sylvia Kloos, beim Klinikum Dritter Orden der Katholischen Erziehungsstätte eigentlich für Ausbildung zuständig, vor zwei Jahren eine Sprechstunde zweimal in der Woche eingeführt. "Die Lage wurde in den vergangenen Jahren schlimmer", sagt Kloos, 53, die mit weiteren Hebammen zum Beispiel die Nachsorge nach der Geburt ausführen. Zu der Sprechstunde kämen Münchnerinnen aus dem ganzen Stadtgebiet. Das sei alles andere als ideal, normalerweise besuchen die Hebammen die Mütter. Das Team betreut etwa drei bis sieben Frauen in einer Schicht, Kloos befürchtet, dass nicht alle Eltern im Bezirk von ihrem Angebot in der Not wissen.

Das Gesundheitsreferat will bei Neubaugebieten künftig gemeinsam mit der KVB untersuchen, welcher Bedarf an Versorgung in einem neuen Quartier besteht und welche Möglichkeiten es gibt, Ärzte anzusiedeln; so geht das Referat bereits in Freiham vor. In dieser Woche hat die Stadt laut dem Sprecher des Referates außerdem beim Deutschen Städtetag beantragt, dass die Kommunen bei der Bewertung der Versorgungssituation beteiligt werden - bisher übernehmen das Vertreter der Ärzteschaft und der Krankenkassen.

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