München:Lyrik muss in die Welt

Weil ihr Poesiebriefkasten überquillt, eröffnet Katharina Schweissguth in Giesing eine Gedichte-Galerie

Von Julian Raff

Vorne braust die Stadtautobahn, hinten trifft altes, graues Giesing auf neue Schachtelbauten - der Ort könnte nicht prosaischer sein und doch hat er der Lyriksammlerin Katharina Schweissguth den Namen für ihr Mini-Museum geliefert, das sie am kommenden Donnerstag, 7. Dezember eröffnet: "Spix" klingt exotisch, akademisch oder futuristisch-hip und drängte sich auf, nachdem Schweissguth Freunden und Interessierten zum x-ten Mal den Weg zur Gedichte-Galerie beschrieben hatte, die zeigen wird, was sie seit gut vier Jahren im Giesinger "Poesiebriefkasten" sammelt.

München: Etliches wird davon in der neuen Poesie-Galerie zu sehen sein.

Etliches wird davon in der neuen Poesie-Galerie zu sehen sein.

(Foto: Robert Haas)

Postalisch liegt das kleine Ladenlokal an der Tegernseer Landstraße, mit der es, was Lärm, Dreck, Tristesse und unpassende Benennung angeht, höchstens noch die Landshuter Allee aufnehmen kann. Zu erreichen ist der Laden jedoch seitlich über die Spixstraße, benannt nach einem bayerischen Naturforscher, dessen Erbe im Museum gar ein Altar gewidmet ist. Doch der Reihe nach: Ihre Liebe zur Lyrik verbindet die freischaffende Grafikerin aus Giesing schon seit jeher mit dem Glauben an das poetische Potenzial ganz gewöhnlicher Menschen und Orte. Im September 2013 stellte sie daher den damals deutschlandweit ersten Poesiebriefkasten am Hans-Mielich-Platz in Untergiesing auf - nicht bloß als Einwurfbox für Gedichtetes aus der Nachbarschaft, sondern mit Postadresse und ausdrücklicher Bitte um Einsendungen von woher auch immer, in welcher Sprache und Form auch immer. Es gibt für die Postwurf-Poesie nur eine Bedingung: Die Gedichte müssen in Papierform eingereicht werden.

München: Es gibt für die Postwurf-Poesie nur eine Bedingung: Die Gedichte müssen in Papierform eingereicht werden.

Es gibt für die Postwurf-Poesie nur eine Bedingung: Die Gedichte müssen in Papierform eingereicht werden.

(Foto: Robert Haas)

"Papier bringt Entschleunigung", sagt Schweissguth aus gegebenem Anlass. Sie habe von einem eifrig und gut dichtenden Küchenmonteur aus ihrer Nachbarschaft auch schon einen USB-Stick mit 800 Werken angeboten bekommen, könne aber den schieren Umfang solcher elektronischen Gesamtausgaben nicht in ihrer Freizeit bewältigen. Außerdem stehe für sie als beruflich visuell ausgerichteten Menschen das gedruckte, handgeschriebene, getippte oder gemalte Werk für sich, jenseits des reinen Textes. Ausdrücklich ermuntert Schweissguth ihre Poeten daher, Gedichte optisch aufzubereiten, mit Fotos, Collagen, als Text-Bild im Stil der konkreten Poesie oder als typografisches Experiment, gerne auch am PC erstellt, nur eben ausgedruckt.

München: Mit dem Poesiebriefkasten hat alles begonnen.

Mit dem Poesiebriefkasten hat alles begonnen.

(Foto: Robert Haas)

Der Briefkasten füllte sich schnell und wurde zu einer über Stadtteil-, bald auch über Stadtgrenzen hinaus beliebten Adresse, auch nach seinem Umzug von Unter- nach Obergiesing, in die Wirtstraße. Die Trennung vom Hans-Mielich-Platz und der dortigen Bürgerinitiative, samt Disput um die geistige Urheberschaft, hätte im 19. Jahrhundert vermutlich einen schönen Balladenstoff geliefert, Doppelgängermotiv inklusive. Im nüchternen Hier und Jetzt hat man sich aber längst arrangiert, offenbar ist ja auch genug Poesie für alle da: Obwohl in Untergiesing nun ein separater Kasten hängt, ist Schweissguths Archiv auf rund 1000 Werke angewachsen, einige davon haben in einer kleinen Anthologie namens "München schillert" Platz gefunden, aber eigentlich lautet das Credo der Sammlerin: "Ein Gedicht muss nicht ins Buch, sondern in die Welt".

München: Katharina Schweissguth muntert ihre Poeten auf, Gedichte optisch aufzubereiten.

Katharina Schweissguth muntert ihre Poeten auf, Gedichte optisch aufzubereiten.

(Foto: Robert Haas)

Als geeigneten Ort hatte Katharina Schweissguth den leer stehenden Laden am Rand der heruntergekommenen Zeile Spix-/Ecke Tegernseer Landstraße schon seit geraumer Zeit im Blick. Als dann der Eigentümer schließlich überraschend zusagte, musste alles sehr schnell gehen. "Es gibt keinen Businessplan, alles ist erst einmal ein Experiment für ein Jahr", erzählt Katharina Schweissguth. Die Miete für die gerade mal 25 Quadratmeter, von denen rund die Hälfte als Ausstellungsraum genutzt werden kann, wird die Grafikerin zunächst aus eigener Tasche zahlen, allerdings in der Hoffnung auf Sponsoren und öffentliche Zuschüsse. Als Untermieter außerhalb der Öffnungszeiten hat sich bereits ein Gitarrenlehrer gefunden. Auch andere kulturelle Nutzer könnten sich eventuell an den Kosten beteiligen, so ihr Plan. Im Mittelpunkt stehen aber die eigenen regelmäßigen Ausstellungen, angefangen mit der Schau "Treibgut Poesie".

Zusammen mit Michaela Hug-Szajer und anderen Helfern vom Verein "Poesieboten" drapiert die Ausstellungsmacherin gerade Gedichte auf allerlei lokale Fundstücke, vom Isar-Treibholz über einen alten Matratzen-Federkern bis hin zu einem voll funktionstüchtigen Mini-Motorrad. Die Stücke werden zur Finissage im Februar versteigert, auch das ein Beitrag zur Finanzierung. Nicht verkäuflich bleibt natürlich, was die Besucher auf einem "Altar der Achtsamkeit" hinterlassen sollen, den Katharina Schweissguth dem Namenspatron gewidmet hat. Der "bayerische Humboldt" Johann Baptist von Spix entdeckte vor 200 Jahren in Brasilien viele heute bedrohte oder ausgerottete Arten.

Nicht nur mit der Gedenkstätte für Naturforscher Spix (1781-1826) schaffen Katharina Schweissguth und hunderte von Beteiligten assoziative, zufällige Zusammenhänge ohne kuratiertes, übergestülptes Konzept - Grundlage für ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Gelegenheitsdichtern und künstlerisch ambitionierteren Lyrikern. Das gilt auch fürs vorgetragene Wort: Mit der "offenen Poetenbühne", einer wettbewerbsfreien Alternative zur Slam-Szene, haben die Poesieboten im Gasteig oder im "Einstein" auch schon ein Publikum gefunden, das den beengten Raum des Spix sprengen würde. Kleinere Lesungen und Vortragsabende aber, kündigt die Poesiesammlerin an, sollen auch in ihrer Gedichte-Galerie einen Platz finden.

Die Eröffnung des Spix an der Tegernseer Landstraße 155, Eingang Spixstraße, beginnt am Donnerstag, 7. Dezember, um 17 Uhr. Kunsthistorikerin und Autorin Ingrid Gardill führt in ein dreistündiges Programm aus Gedichtvorträgen und brasilianischer Musik ein. Ein "poetisches Vorglühen" auf offener Bühne findet bereits an diesem Samstag, 2. Dezember, Beginn 16 Uhr, beim Adventszauber auf dem Giesinger Grünspitz statt (Tegernseer Landstraße 100). Die Ausstellungen im Spix sind jeweils am Donnerstag und Freitag, von 15 bis 19 Uhr geöffnet, oder nach Vereinbarung unter info@poetenbriefkasten.de Der Eintritt ist frei. Die Adresse für poetische Post lautet nach wie vor: Poesie-Briefkasten, Wirtstraße 17, 81539 München.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: