München:Lustvolles Zwischenreich

Bis die "Pappschachtel" am Pasinger Marienplatz einem neuen Geschäftshaus weichen muss, überraschen in den Läden des Flachbaus Künstler und Musiker das Publikum. Nach der Sommerpause soll mit dem Abriss des Gebäudes aus den Zwanzigerjahren begonnen werden

Von Andrea Schlaier

Auch das ist Pasing, zumindest für zwei Monate: In einer ehemaligen Frisierstube, in der vor Jahresfrist noch "Damen ab 12 Euro" bedient wurden, drängt sich an einem schneehellen Wochentag eine illustre Runde und gibt, genötigt vom Chef-Dirigenten der Bayerischen Philharmonie, "Frère Jacques" als Stand-up-Kanon zum Besten. Im Chor erheben sich die Stimmen eines "Schlüsselbereich"-Investors, ebenso dabei ist eine bayerische Hackbrett-Virtuosin und aus Syrien ein Oud-Meister, in den Ecken drängen sich eine Gastronomin und drumherum eine bunte Melange aus Künstlern. "Ding-ding-dong" schallt's durchs schlecht isolierte Schaufenster nach draußen. Durchaus munter klingt das letzte Stündlein, das der sogenannten Pappschachtel am Pasinger Marienplatz geschlagen hat. Der zweistöckige Behelfsbau aus den Zwanzigerjahren muss Platz machen für ein neues Geschäftshaus, doch bis Ende April wird hier noch lustvoll ein Zwischenreich errichtet. In die ehemaligen fünf Läden des Flachbaus hat die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS) kreative Menschen gelassen, um das Viertel bis zum finalen Gongschlag zu bespielen.

Seit ein paar Tagen gehen hier die Türen zu unterschiedlichen Zeiten auf, es wird genäht, gedichtet, getafelt, gedruckt, gemalt, gespielt, gestreamt und auch gesungen. "Ich begleite die Idee gern", sagt Martin Bucher von der Bucher Properties GmbH beim Rundgang durch den kleinen Kosmos. Er stellt die Fläche mietfrei zur Verfügung, bis der "Anziehungspunkt" aus Einzelhandel, Hotel und Appartements hochgezogen wird. Die Architekten von Auer und Weber haben einen stattlichen Baukörper mit Kalkmörtel-geschlämmter Fassade entwickelt. "Wir wollen den Bauantrag Ende April stellen, und damit endet hier dann auch die Nutzung", erklärt Bucher dem versammelten Publikum. Baubeginn ist voraussichtlich nach der Sommerpause - "wenn alles gut läuft", ist der Komplex voraussichtlich im Spätherbst 2018 fertig.

Für die Pasinger ist entscheidend, wer dann dort einzieht und ob dieser Platz, wie städtebaulich angestrebt, Qualität widerspiegelt. Bucher verrät so viel: "Es gibt einen Nutzer-Mix, wir sind intensiv im Gespräch". Ins Erdgeschoss des Haupthauses soll auch Gastronomie einziehen, im Unter-, Erd- und ersten Obergeschoss könnten sich auf 5000 Quadratmetern Fläche drei bis vier Einzelhändler ausbreiten. Darüber dann Hotel und Wohnen.

Die Abriss-Bagger werden in einigen Monaten als erstes in die "Pelz Bar" im ehemaligen Pelzmodengeschäft Schweisz beißen, dem Herz des Zwischenreichs. Bevor es soweit ist, bieten Barbara Holzherr und Stefan Hertle, die auch Geschäftsführer der Camatti-Bar sind, den Pasingern Turntable-Sound und Club-Feeling. Bei der Vernissage zur Eröffnung des temporären Kreativquartiers war die Bude rappelvoll. Die Gäste ließen sich durch den ganzen Bau treiben, warfen einen Blick ins Hinterzimmer, in dem Ursula Kern auf großen Bahnen ein "Malspiel" anbietet. Nebenan lockt Ursula Ambach mit kleinen Ungetümen ins ehemalige Nagelstudio, in dem sie am 13. März und 10. April Kindern Monster malen lässt und sie nachnäht - kostenlos. Wer daheim die Küche sauber halten will, kocht bei Andreas Hantschke im alten "Backshop" und lässt sich anschließend für ein Pasinger Kochbuch ablichten.

Manch einer, der vor der Pappschachtel auf den Bus wartet, stolpert einfach rein in eines der Pappschachtel-Fächer. Ein Magnet muss nicht glänzen. Höchstens künstlerisch, wie in der Galerie "Zeitlang" mit Verpackungs-Drucken von Irina Schicketanz oder simulierten Tunnel-Radtouren samt Fahrtwind von Timur Dizdar. Hetti Schubert-Schwall liest im ersten Stock Einwort-Gedichte wie "Bärenvogelwolke".

Am 20. März übernimmt der Kultur- und Heimatpflegeverein die Fläche und zeigt alte und neue Bilder aus dem Viertel. Im Ex-Flohmarktladen gibt es montags fotografische Montagen und Donnerstagabend Tischtennis samt Licht- und Soundspiel des Künstlernetzwerks Tam Tam. Nicht zu vergessen: In der alten Frisierstube ist die Bayerische Philharmonie - manchmal auch Menschen, die spontan "Frère Jacques" anstimmen.

Wer den Kosmos erkunden will, kommt einfach vorbei oder informiert sich im Internet über die Termine: www.facebook.com/PasingerPappschachtel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: