München:Lieder des Lebens

Wenn Balz und Brut vorüber sind, zwitschern die Singvögel im Nymphenburger Schlosspark weniger. Und dennoch zaubern sie auch im Sommer ein beeindruckendes Konzert in die Luft

Von Günther Knoll

Diese Ruhe - manchen ist sie offenbar verdächtig. Sie rufen dann die Geschäftsstelle des Landesbunds für Vogelschutz in München an. Sophia Engel, dort als Projektleiterin für Vogelkunde und Vogelschutz zuständig, kann sie beruhigen: Dass das morgendliche Vogelkonzert jetzt im Hochsommer ausbleibt, ist normal, sagt sie. Niemand hat die Singvögel vertrieben oder vergiftet, sie haben nach Balz und Brut einfach keinen Grund mehr zum Flöten, Trällern und Zwitschern. Viele sind in der Mauser oder mit Fressen und Ausruhen beschäftigt, die ersten haben sogar schon den Rückflug in ihre Winterquartiere angetreten.

Allzu viel werde man wohl deshalb nicht hören können an diesem Augustmorgen im Nymphenburger Schlosspark, hatte die Biologin bei der Vereinbarung des Termins gesagt. Um 5.30 Uhr, kurz vor Sonnenaufgang, scheint sich das erst einmal zu bestätigen. Es ist ruhig beim Eintritt durch das soeben geöffnete Tor, so ruhig, dass die Ornithologin leicht beunruhigt wirkt. Der weitläufige, in großen Teilen waldähnliche Park ist umgeben von einer alten Schlossmauer, von draußen her schwappt Zuggeräusch herüber, weit entfernt, doch erstaunlich deutlich; etwas näher das Geratter von Tram-Rädern, die über Weichen quietschen.

Und die Natur? Hat noch Sendepause. Doch dann die ersten Rufe - halb piepsend, halb krächzend: ein Blässhuhn-Junges, das auf dem Brunnen nahe dem Schloss hinter der Mutter her schwimmt. Ein paar Schritte weiter im Schlosskanal dann helles Zirpen, das kaum erahnen lässt, dass daraus einmal Geschnatter werden soll: zwei Stockentenküken.

Sophia Engel ist beruhigt: Die Klangvorführung scheint doch zu klappen, ja, die ruhige Kulisse hat sogar den Vorteil, dass die wenigen Geräusche umso deutlicher zu hören sind. Am zarten Kratzen am Holz eines Baumstamms erkennt die promovierte Biologin sofort ein kletterndes Eichhörnchen. Ein sich näherndes Rascheln im hohen Gras - in zehn Metern Entfernung kommt ein Rehbock zum Stehen, beäugt kurz die frühmorgendlichen Störenfriede und beginnt dann unbeirrt zu äsen.

Als Henriette Adelaide dem Schloss, das sie als Geschenk für die Geburt des Thronfolgers Max Emanuel von ihrem Gatten, dem Kurfürsten Ferdinand Maria, erhielt, den Namen "borgo delle ninfe" gab, da hatte sie damit ihre Herkunft aus dem Haus Savoyen im Sinn, in dessen Tradition eine Nymphe als Spenderin eines Herrschaftsrings eine wichtige Rolle spielte.

Dass die Nymphen, diese anmutigen Fabelwesen aus der griechischen Götterwelt, sehr geräuschempfindlich sein sollen und menschlichen Lärm möglichst meiden, war der bayerischen Herrscherin vor gut 350 Jahren möglicherweise gar nicht bewusst; gleichwohl sind sie damit die idealen Namensgeberinnen für den Park. Er atmet ihren Geist - nicht nur zu dieser frühen Stunde. Busladungen voller asiatischer Touristen, Schulklassen, vielköpfige Familien mit Kindern - sie alle bewegen sich tagsüber erstaunlich brav und erstaunlich leise durch den Park wie Autos auf frischem Flüsterasphalt.

Das liegt nicht nur an den strengen Vorschriften für die Besucher. Die meisten verhalten sich von ganz alleine so, wie es früher "bei Hofe" wohl angemessen war: gesittet und vor allem - ruhig. Einzelne Jogger stören nicht, wie die Verwaltung mitteilt. Dass aber eine Zeitlang Nordic Walking für Gruppen kommerziell angeboten wurde, das missfiel anderen Parkbesuchern, nicht nur weil sie den Sportlerpulks ausweichen mussten, sondern auch weil der vereinte Einsatz der Stockspitzen auf den Kieswegen ganz schön Lärm machte. Damit ist inzwischen Schluss.

Ausnahmen sind erlaubt, etwa wenn im Winter der See vor der Badenburg so zufriert, dass man darauf Eislaufen kann. Das ist zwar theoretisch auch verboten, doch wenn schon ein Verstoß, dann macht offenbar die Musik nichts mehr aus, zu der sich die Eistänzer bewegen und die dann weithin durch den Park schallt.

Das ist selten genug, die Waldkäuze als Stammbewohner ziehen sich halt ein wenig tiefer in ihre Höhlen zurück. Sie selbst haben keinen Klamauk nötig, wie Sophia Engel beobachtet hat. Zu klar sind ihre Reviere und die Paarbeziehungen abgesteckt, als dass sie da noch viele Balzrufe bräuchten. So müssen sich die vielen Vogelbeobachter mit einem Blick durchs Fernglas oder das Teleobjektiv begnügen.

Zilpzalp! Trüüt!

Der Zilpzalp singt so, wie er heißt. Diese in der Tonhöhe wechselnden Zilpzalp- zilpzalp-zilpzalp-Reihen sind ab Mitte März zu hören, wenn der Kurzstreckenzieher, der auch Weidenlaubsänger genannt wird, wieder im Schlosspark ankommt. Zwischendurch ist ein tiefes knarzendes Trr zu hören. Noch spät im Herbst ertönt sein Kontaktruf "huid", bis sich der kleine grünlich-graubraune Vogel wieder auf den Weg in den Süden macht.

Den Reviergesang des Amselmännchens lautmalerisch zu beschreiben, ist unmöglich. Mindestens 30 Motive in allen möglichen Variationen und Zusammensetzungen flötet der schwarze Vogel auch gerne in der Abenddämmerung. Für die menschliche Ohren enthalten die wohlklingenden Strophen auch bekannte Themen: Der eine meint den Anfang des Triumphmarschs aus Verdis Aida zu erkennen, der andere Melodien aus Mozarts Zauberflöte. Unverwechselbar sind die Warnrufe: Ein wiederholtes "Tix", wenn etwa eine Katze unterwegs ist, ein hohes dünnes "sihh" bei Luftalarm, etwa wenn sich ein Sperber nähert, und das Gezeter, das etwa wie "dackderrigigigi dugg dugg" klingt.

Das Rotkehlchen lässt seine Stimme früh im Jahr ertönen, der Gesang ist ähnlich schwer zu beschreiben wie derjenige der Amsel. Insgesamt ist er deutlich höher und feiner, charakteristisch sind perlende, lang anhaltende Tonreihen, die auch die Weibchen singen können. Dieser Gesang ist auch nachts zu hören. Typisch ist ein Ticksen oder Schnickern: Tiks tiks tiks.

An manchen Tagen im Frühling gehört der Schlosspark den Buchfinken, die ihre Balzstrophe, Finkenschlag genannt, in die Luft schmettern. "Bin ich nicht ein schöner Reiteroffizier?" oder "Kommst du nicht bald, mein lieber Bräutigam?" versuchte der Volksmund, den Gesang wiederzugeben. Vom Kontaktruf "pink" hat der Fink seinen Namen. Bekannt ist auch sein angeblicher Regenruf, ein rollendes "trüüt".

Nur neun Gramm wiegt der Zaunkönig, doch er schmettert los, dass sein ganzer kleiner Körper bebt. Die Strophe dauert etwa fünf Sekunden - eine Kaskade hoher Töne, der ein schneller Triller folgt. Unverkennbar ist das harte "tek" oder auch "trrrrrr", mit dem der Vogel Alarm schlägt. kg

In der jetzigen Form geht die Parkanlage auf Friedrich Ludwig von Sckell zurück. Der Gartenkünstler ersetzte im frühen 19. Jahrhundert die regelmäßigen Beet- und Heckenanlagen durch natürlich anmutende Gestaltungselemente, durch Gehölze mit naturhaften Wuchsformen, Wiesen mit Bodenmodellierungen, durch Seen und Bäche mit naturgetreu geformten Ufern und Inseln. Und er beließ die alten Bauminseln im Norden: So entstand ein Wald mitten in der Stadt. Ein Wald, der gefiederte Bewohner anzieht. 198 Vogelarten konnten fleißige Ornithologen in den vergangenen 120 Jahren nachweisen.

Sophia Engel möchte an diesem Morgen ein paar von ihnen akustisch vorführen. Das sei, sagt sie, im Frühling und Frühsommer einfacher. Da hallt es unter den Baumkronen des Parks wie in einer natürlichen Kathedrale, in der sich die Sänger gegenseitig übertreffen wollen. Jetzt sind nur vereinzelt Kontakt- und Warnrufe zu hören. Ein trockenes Tiks-Tiks-Tiks etwa: Gleich darauf zeigen sich die Urheber - nur einen Meter entfernt hüpfen zwei junge Rotkehlchen vom Weg ins Unterholz. Dass es auch weniger hektisch geht, beweist die Mönchsgrasmücke gleich daneben. Ihr Teck-Teck klingt, als schlügen zwei Kiesel aneinander. Der Wald mit seinen alten Bäumen sei ideal für Spechte, sagt Sophia Engel. Das Gickern, das an vielen Stellen zu hören ist, sei der Ruf des Buntspechts, weit weniger spektakulär als sein zur Balz eingesetztes Getrommel. Und immer wieder ist aus den Randbereichen auch die Stimme seines "Bruders" zu vernehmen: Ein mehrsilbiges Glucksen, so lacht nur ein Grünspecht. Dann doch leises Klopfen: Nein, keine Spechte - kleine gedrungene Vögel huschen von Stamm zu Stamm. Die Ornithologin weiß jetzt, dass das hohe leise Ziehen, das eben zu hören war, von einer Kleiberfamilie stammte. Schneller bestimmt sind die Urheber des Dä dä dä, dem ein explosives Pitscha folgt - das sind Sumpfmeisen.

Andere lieben es leise: Ein Habicht streicht ab, als sich die Menschen nähern, weicht geräuschlos dorthin aus, wo die Bäume dichter stehen. Hat er mit seinem Auffliegen den Knopf für den "Sound der Münchner Parks" gedrückt? Sophia Engel meint damit das hysterische, heisere Geschnatter der Graugänse. Sie fliegen so nah vorbei, dass auch das Rauschen ihrer Flügelschläge zu hören ist. Zum Schluss dann draußen vor dem Schloss doch noch fröhliches Gezwitscher hoch in der Luft: Rauchschwalben, die in Schlossdurchgängen nisten, begrüßen den Tag. Jetzt ist Sophia Engel zufrieden.

Am Donnerstag lesen Sie: Der Sound der Stadt auf der Galopprennbahn in Riem

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