Kulturetat 2022 für München:Liste der Grausamkeiten

Kulturetat 2022 für München: Die Münchner Kammerspiele müssen in diesem Jahr mit zwei Millionen Euro weniger an Geld auskommen. Auch andere Kultureinrichtungen sind von den Sparmaßnahmen der Stadt betroffen.

Die Münchner Kammerspiele müssen in diesem Jahr mit zwei Millionen Euro weniger an Geld auskommen. Auch andere Kultureinrichtungen sind von den Sparmaßnahmen der Stadt betroffen.

(Foto: Stephan Rumpf/SZ Photo)

Kulturreferent Anton Biebl muss im laufenden Jahr 12,8 Millionen Euro einsparen, 239 Millionen darf er ausgeben. Wen es trifft - und wer verschont wird.

Von Michael Zirnstein

Zwei Mal trat Anton Biebl am Donnerstag vor die Kamera. In beiden Reden benutzte Münchens Kulturreferent den Begriff "Game-Changer". Einmal bei der Präsentation des von seinem Referat betreuten Jubiläumsprogramms zur 50. Jährung der Olympischen Spiele, dann bei der Vorstellung des Kulturetats für das Jahr 2022 in Höhe von 239,4 Millionen Euro. Biebl sehnt sich also nach einem Wandel im Corona-Marathon: "Ich hoffe, dass 2022 ein Game-Changer-Jahr wird, wie es 1972 zu den Olympischen Spielen in München der Fall war." Er wünsche sich "einen ähnlichen Aufbruch".

Dass diese Hoffnung mehr ein Bangen ist, zeigt sich an den akuten Problemfeldern, die Biebl vor dem virtuell versammelten Kulturausschuss benannte: Das ist zum einen die "gesellschaftliche Verfasstheit", also die Gefahr für die Demokratie, die ihn an die Zeit vor Aufkommen der Nazis erinnert und der gerade eine Kultur des Miteinanders, der Bildung und der Nachhaltigkeit entgegenwirken müsse. Zum anderen schlägt weiter die Pandemie zu.

Um sie endlich einzudämmen, wird die Veranstaltungswelt derzeit abermals durch Beschränkungen nahezu lahmgelegt ("Wir sind so weit wie letztes Jahr um diese Zeit."). Und wegen der Corona-Löcher im Stadtsäckel, fordere der Münchner Kämmerer wie in den anderen Ressorts auch von der Kultur "drastische" (Biebl) Einsparungen in Höhe von 12,8 Millionen Euro und Mehreinnahmen von 1,8 Millionen.

Münchens Kulturinstitutionen sollen mehr verdienen, aber weniger ausgeben. "Der Kulturreferent müsste über Zauberkräfte und hellseherische Fähigkeiten verfügen, um unter diesen Vorzeichen belastbare Planungen und einen soliden Kulturhaushalt zu entwickeln", sagte Biebl, der diese Herausforderung aber "mit einer guten Portion Zuversicht und Ermöglichungswillen" angehe.

Die Zuversicht gründet bei ihm auch in den Erfahrungen, wie man das Krisenjahr 2021 gemeistert hat. Die Eröffnungen des Schwere Reiter, des neuen Volkstheaters, der Stadtteilzentren Luise und Trafo II und des Gasteig-Interims mit Isarphilharmonie und Stadtbibliothek seien "Lichtblicke" gewesen.

Man habe in der Notlage auch neue Ideen und Programme entwickelt und Räume für die Kultur erobert, von den "Kollektivgärten" der jungen Techno-Teams bis zu "Bayern spielt!" im Englischen Garten. "Ohne Corona wären manche Aktionen an vielen Bedenken gescheitert. Dabei war das großartig! Wir sollten den Mut haben, einige dieser neuen Errungenschaften zu verstetigen!", findet Biebl.

Zwei Millionen Euro weniger für die Kammerspiele

Mit Mut und Engagement allein ist der Kulturbetrieb nicht zu stemmen. Es braucht Geld, und davon gibt es 2022 weniger. Biebl verlas also eine Liste der "Grausamkeiten", wer wieviel wird einsparen müssen:

Die Kammerspiele zwei Millionen Euro, die Städtischen Museen 1,1 (Stadtmuseum 312 000, Villa Stuck 194 000, Lenbachhaus 404 000, NS-Dokuzentrum 121 000, Jüdisches Museum 58 000, Valentin-Karlstadt-Musäum 13 000), 707 000 Euro die Münchner Volkshochschule (die schon 2021 auf die Insolvenz zuschlingerte), 453 000 die Stadtbibliothek, 412 000 die Philharmoniker, 150 000 das Deutsche Theater, 31 000 die Pasinger Fabrik, 15 000 die Villa Waldberta (die Künstlerstipendien sind nicht betroffen), 83 000 das Volkstheater, dessen Budget allerdings aufgrund des Mehrbedarfs im neuen Haus um 5,4 auf 10 Millionen Euro aufgestockt wurde.

730 000 Euro knapst Biebl in der Referats- und Geschäftsleitung ab. Das zeige, dass die großen städtischen Kulturinstitutionen wieder überdurchschnittlich viel zur Konsolidierung des Kulturhaushalts beigetragen. Diese machen allerdings auch die größten Einzelposten im Etat aus, etwa 38 Millionen für die Kammerspiele, 27 Millionen für die Philharmoniker, 47 Millionen für die Stadtbibliothek, 35 Millionen für die Museen und 5 Millionen fürs NS-Dokuzentrum.

Die Freie Szene würde wie im Vorjahr "weitgehend geschont", betonte Biebl. Was auch dadurch erreicht wurde, wie Stadtrat Florian Roth von den Grünen anmerkte, dass die Stadt den Zuschuss von 5,4 Millionen Euro an die staatlichen Bühnen (Oper und Gärtnerplatz) gestrichen habe. Doch auch im "Förderbereich" gibt es 1,2 Millionen Euro weniger (etwa 50 000 Euro für das Backstage), womit hier noch 39 Millionen Euro verteilt werden können, davon 19 Millionen an die freie Szene (Künstler, Stadtteilkultur, kulturelle Bildung ...).

Ein neues Preissystem für die Kammerspiele wurde auf den Weg gebracht, die Philharmoniker werden folgen. Dass aber das Kulturreferat wie gefordert viel mehr Einnahmen erzielen kann, ist nahezu unmöglich, da durch die Pandemie Besucher im drastischen Umfang ausbleiben. Außerdem würden erhöhte Eintrittspreise das Ziel, allen Bevölkerungsschichten Kultur niederschwellig zugänglich zu machen, gefährden.

Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden zeigte sich "stolz auf das Kulturreferat", auch Stadträte quer durch die Fraktionen lobten das Engagement. Mit diesem "Rückenwind" aus dem Ausschuss können Biebl und sein Team die großen Aufgaben 2022 wie das Betriebskonzept für die Jutier- und Tonnenhalle, neue Experimentierräume wie Pixel, KÜR oder Kopfbau in Riem sowie das Olympiajubiläum "mit viel Power" angehen.

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