München im Netz:"Vier Finga für Minga"

Gangster-Rap gibt es nur in Berlin? In München singt man höchstens Wiesn-Lieder? Mitnichten! Ein Blick ins Internet offenbart eine interessante Subkultur - und einen großen Lokalpatriotismus.

Beate Wild

Der muskulöse Oberkörper kommt durch das weiße Feinripp-Shirt richtig gut zur Geltung. Um den Hals hängen mehrere, verschieden große Goldketten. Auf dem Kopf trägt der Mann mit der milchkaffee-braunen Haut kleine geflochtene Zöpfe und darüber eine Bademütze. "Großes K", so nennt er sich, er ist ein veritabler Rapper - schon auf den ersten Blick.

München im Netz: Rapper aus Neuperlach - und stolz drauf: Großes K.

Rapper aus Neuperlach - und stolz drauf: Großes K.

(Foto: Foto: SZ)

Auch die Posen stimmen. In dem Clip "Willst du ein Gangster sein?", den man im Internet auf der Video-Plattform Youtube sehen kann, präsentiert sich Großes K., der selbsternannte "Bürgermeister von Neuperlach", zusammen mit dem Rapper-Kollegen Semi B. wie alte Hip-Hop-Hasen. Die beiden gehören zu den wenigen Vertretern der Münchner Rap-Szene - ja, eine solche Szene gibt es tatsächlich in München. Sie sind Teil der Hip-Hop-Kolchose "Der neue Süden", die seit ein paar Jahren versucht, den Sprechgesang aus dem Untergrund auch im schicken München zu etablieren.

Damit wir uns richtig verstehen: Die Jungs, von denen hier die Rede ist, sehen sich nicht etwa als legitime Nachfolger der Soft-Hip-Hop-Combo "Blumentopf", sondern eher in der Tradition der verdorbenen und schmutzigen Rapper von "Feinkost Paranoia", die während der neunziger Jahre in München aktiv waren und als Pioniere des deutschsprachigen Battleraps gelten.

Großes K. wurde 1974 in Neuperlach geboren. Der ersten Kontakt mit Rap hatte er 1990 in einem Münchner Hip-Hop-Wettbewerb, erfährt man auf seinem My-Space-Profil. Zusammen mit Semi B., Pretty Mo und Ali A$, allesamt Münchner mit Migrationshintergrund, ist er "Der neue Süden". Die vier Jungs singen Songs über die Stadt und das Leben hier. "München" etwa ist ein Rap auf der Melodie von "Skandal im Sperrbezirk" der Spider Murphy Gang.

Abhängen mit Münchner Gsindl

"Du kannst jeden fragen, denn ich bin ein Münchner Kindl. Hast du Style, Baby? Ich häng nur ab mit Münchner Gsindl" - der Text dreht sich um München und wie cool die Stadt ist. Die Zeilen triefen vor Klischees und Lokalpatriotismus, doch es macht Spaß dieser gerappten Coverversion zu lauschen: "Lederhosn, Haferlschua und a Gamsbart, für einen echten Bayern ist das Standard. Überwachungsstaat, Alter, macht uns hart, und ich lad dich gerne ein zu einer Stadtrundfahrt."

Bandkollege Semi B. hat sogar einen Wiesn-Song aufgenommen. In "Ein Prosit" rappt er zu knalligen Beats eine Aufzählung von Oktoberfest-Symbolen: "Hippodrom, Schottenhamel, Ochsenbraterei. Augustiner, Bräurosl - oh mein Gott, ich bin so high." Und besingt auch die Abgründe der Wiesn: "Es gibt tausende Lagen, in denen du dich in Gefahr begibst. Obwohl es um dich 'rum eigentlich nur Party ist."

Semi B. greift in seinen Songs gerne auch mal zu derben Ausdrücken, zum Teil so unflätig, dass man sie hier nicht aufschreiben kann. Aber das gehört wohl zum Image eines Gangsterrappers - die Berliner Kollegen, von Bushido über Fler bis hin zu Sido, machen es vor.

Dass er auch Humor hat, beweist Semi B. in einem Clip auf Myvideo. Dort erklärt er, wie man am besten einen Gangster-Rap schreibt: "Es reicht nicht, sich eine Bomberjacke zu kaufen und seine Banklehre zu schmeißen." Er empfiehlt, sich ein paar Schlüsselbegriffe mittels Brainstorming auf ein Blatt zu schreiben und danach die Reime zu dichten. "Das könnt ihr nachmachen und euren Eltern mal vorrappen. Mal schauen, was die so dazu sagen", rät er.

"Vier Finga für Minga"

Tristesse pur im Münchner Ghetto

Da nimmt Mic Burner seinen Job als Rapper schon ernster. Zumindest drehen sich seine Texte nicht um Saufen, Frauen und Angeberei, sondern um die Problematik im Ghetto, um Obdachlose und schwererziehbare Kinder. "Das ist München, das ist meine Stadt. Jeder kämpft für was, was ihm zu schaffen macht. Egal, ob Schwabing, Allach oder Neuperlach", singt der 23-Jährige aus Allach in seinem Song "Münchnerschaft". In dem Clip zu "4 Finga für Minga" sieht man sämtliche Hochhäuser und Plattenbauten, die die Stadt zu bieten hat - Tristesse pur.

Einer, der nicht nur auf Gangster macht, sondern tatsächlich einer ist, nennt sich TZA, die Abkürzung für Trauer, Zorn, Allah. Bürgerlich heißt er eigentlich Morteza Faraji. Der 27-jährige gebürtige Iraner lebt in Milbertshofen, seit einigen Jahren macht er deutschen Sprechgesang. Sein erstes Album, das im April 2008 erschienen ist, heißt "Jenseits von Gut und Böse". Motiviert zum Rappen hat ihn die Wut, nicht dazuzugehören, wie er sagt. In seinem Videoclip "Wut" sieht man ihn, gekleidet mit T-Shirt und Baseballkappe, vor einer Plattenbaukulisse in Milbertshofen performen.

Womöglich war es die gleiche Wut, die ihm im vergangenen Jahr eine Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung einbrachte. Zusammen mit Kumpels verprügelte er einen jungen Münchner mit einem Baseballschläger in einer Filiale eines Schnellrestaurants in Milbertshofen. Sein Opfer war schwer verletzt und musste einige Zeit im Krankenhaus bleiben. TZA weiß, dass er mit der Bewährungsstrafe glimpflich davongekommen ist.

Auch ein anderer Münchner hat die große Rapper-Posen drauf. In seinen Videoclips streift Tilos im Kapuzenshirt durch München, rappt vor dem Siegestor, vor Plattenbauten und im Olympiapark. Er singt Loblieder auf seine Stadt und die hiesige Hip-Hop-Szene: "Jetzt wird München neu definiert. Heute weht ein neuer Wind, ich will für München neuen Respekt." Seine Songs heißen "089 meine Stadt" und "Münchner Respekt".

Auf keinen Fall vergessen im Münchner Rap-Zirkel darf man Roger Rekless, der als DJ, Produzent und MC (= "Master of Celebration", also Rapper) zu Gange ist. Er rappt auf Deutsch und Englisch - und der Song "Hundskrüppel" ist sogar auf Bairisch. Rekless ist bereits ein etablierter Künstler, der auch in den Clubs der Stadt auflegt. Wie es bei seinen Auftritten war, kann man dann auf seiner Webseite rogerrekless.com nachlesen, auf der er beispielsweise schreibt: "Gestern im Atomic: A Traum wars von Anfang bis Ende."

"Vier Finga für Minga"

Die Zugehörigkeit scheint Identität bildend zu sein

Surft man auf den üblichen Musik-Webseiten wie Youtube, Myspace oder Myvideo und sucht nach Münchner Hip-Hop-Kultur, fällt auf, dass die Szene sich nach Stadtteilen aufsplittert. Da gibt es natürlich Neuperlach, Milbertshofen und Hasenbergl, aber auch Moosach, Allach, Kieferngarten und Harthof. Die Interpreten singen von ihrer "hood", ihrem Viertel, ihrem Kiez. Die Zugehörigkeit zu einer Gegend scheint immens wichtig, sie bildet Identität.

Es versteht sich fast von selbst, dass hier Wohlstandsviertel wie Schwabing oder das Glockenbach nicht vertreten sind. Freilich gibt es noch die "Stehkrägen" von Aggro Grünwald, die vor zwei Jahren die Republik mit ihrem Song "Eure Armut kotzt uns an" provozierten. Doch inzwischen dürfte klar sein, dass sich diese Jungs als Spaß-Combo verstehen und mit ihrer vorgeblich dekadenten Art und Songzeilen wie "mit dem Geld von meinem Daddy schmeiß ich die dicksten Partys" lediglich die selbst ernannten Berliner Gangster-Rapper provozieren wollten.

Das Image des klassischen Ghettorappers pflegt dagegen auch Ömer K. In Neuperlach als Sohn einer türkischen Einwandererfamilie geboren, taugt seine Biographie dazu perfekt. In seinem Song "Türkenland Flavour" beschreibt er die Lebenssituation von Türken in Deutschland. "Bei uns tragen Goldketten sogar unsere Väter. Wir sind Türken, keine Skater - das ist Türkenland Flavour", heißt es im Refrain.

Ömer K. ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, doch er hat es geschafft, das Ghetto hinter sich zu lassen. Nach seinem Abitur ("Ich war in der Oberstufe der einzige Ausländer") hat er Maschinenbau studiert und seine Liebe zur Musik entdeckt. Songs schreibt er, wie er sagt, "zur Entspannung zwischendurch". In einer Doku auf Myvideo erzählt er über seinen Werdegang und wie er sich Zeitlebens durchkämpfen musste. Sein größter Wunsch sei immer gewesen, zu studieren. In der Schule hatte er gute Noten, deswegen habe er es dann auch gepackt. Die deutschen Mitschüler hätten ihn "hochgezogen", sagt er. Und dann verkündet er noch sein Lebensmotto: "Ich beiß' mich durch, bis zum bitteren Ende."

Im Song "Munich City" besingt Ömer K. seine Gang, seine Wurzeln, sein Ghetto und seine Stadt. Die Liebe zu München ist bei allen lokalen Rappern zu spüren. Man ist stolz, von hier zu sein, und will München mit dem HipHop zu Respekt verhelfen. Oder wie Großes K. sagt: "München ist wieder Gespräch auf den Straßen Deutschlands. Und es geht gerade erst los."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: