München:Hohe Luft

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Mit ihrer Ausstellung "Pneuma" eignen sich die taiwanesischen Künstler Wang Te-Yu und Lin Wei-Lung den Sakralraum von St. Lukas auf sehr achtsame Weise an

Von Jutta Czeguhn

Aus dem Fenster der Tram sieht man einen jungen Mann die Maximilianstraße entlang laufen. Er geht zügig, aber konzentriert, ab und an dreht er den Kopf nach oben, vergewissert sich. Sind sie noch da? Ein weißer und fünf schwarze Ballons tanzen über ihm, hüpfen bei jedem seiner Schritte. Ein Kind in der Tram deutet auf den Mann. Als seine Mutter reagiert, ist der seltsame Spaziergänger nur mehr aus dem Rückfenster zu sehen. Er wird kleiner und kleiner.

Ausstieg am Tram-Halt Maxmonument, von dort geht es die paar Schritte zur St. Lukaskirche im Lehel. Man ist verabredet mit den beiden taiwanesischen Künstlern Wang Te-Yu und Lin Wei-Lung. Am Kirchenportal hat jemand eine Nähmaschine auf dem Steinboden abgestellt, sie hält nun eine der beiden Türflügel auf. "Am Anfang war das Wort" steht in weißen Buchstaben über dem Türgriff. Der andere, geschlossene Flügel ist mit einem lebensgroßen Martin Luther beklebt. Der Reformator schaut drein, als wollte er sagen: "Kommt's rein, hier passiert etwas Ungewöhnliches."

Wie ein System schwarzer Planeten werden die Ballons in der Kuppel von St. Lukas schweben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Papier-Luther hat nicht Unrecht. Die Nähmaschine ist das Arbeitsgerät von Wang Te-Yu. Seit einiger Zeit vernehmen Besucher des "Protestanten-Doms" ein leises Rattern. Es kommt von links neben dem Altar. Die Künstlerin, Kurzhaarschnitt, in Jeans und T-Shirt, bereitet dort ihre Ausstellung vor. Aus mehr als 500 Metern matt glänzender, weißer Ballonseide näht die 47-Jährige das zusammen, was sie selbst eine "air-sculpture" nennt. Für Wang Te-Yu ist Luft der wichtigste Mitarbeiter. Sie wird den gesamten Altar von St. Lukas - der ist immerhin über acht Meter hoch - in eine transparente, begehbare Stoffhülle kleiden. Vier Ventilatoren werden, wie riesige Föhns, den Super-Airbag in seiner weichen, runden Form halten.

Einen langen Atem braucht auch ihr Künstler-Kollege Lin Wei-Lung, der Mann mit den Luftballons von der Maximilianstraße. Mit ihr zusammen gestaltet er die Ausstellung "Pneuma", die vom 20. September bis 15. Oktober die Lukaskirche zu einem anderen Ort machen wird. Der 32-Jährige plant eine Marathon-Performance, durchgehend elf Tage lang wird er jede halbe Stunde einen schwarzen Helium-Ballon in die 46 Meter hohe Kirchenkuppel steigen lassen. Der erste soll am 4. Oktober um 9 Uhr hinaufgleiten, die Schnur, die den Ballon mit dem schwarz-weißen Karofußboden verbindet, ist aus echtem Menschenhaar.

Wang Te-Yu wird den Altar der Lukaskirche, hier ein Modell, in einen weißen Stoffballon hüllen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ganz behutsam wickelt Lin Wei-Lung den dunklen, dünnen Haarfaden von einer Spule. Insgesamt hat er fast 1700 Meter davon nach München mitgebracht, es ist Haar aus China, das er sich zudem hat flechten lassen. Dass dieses Material im Westen, zumal in Deutschland, wo Haare von KZ-Opfern einst industriell verwertet worden sind, zwiespältige Reaktionen auslösen kann, weiß Lin Wei-Lung. Für ihn aber ist das Haar, das mit den Ballons fliegen wird, etwas anderes. Er sieht darin den Menschen, den es zu einer höheren Ebene, dem Spirituellen, zieht, mag man dies nun Gott nennen. Er selbst hat keine Religion. Um so mehr fasziniert ihn, was in diesem Sakralraum möglich sein wird.

"Das Haar war ein Diskussionspunkt", sagt Lars Koepsel, Kurator der Schau. Der Künstler betreibt an der Schönfeldstraße das "Apartment der Kunst", eine Galerie, in der viele zeitgenössische Arbeiten aus Taiwan zu sehen sind. Koepsel nennt Taiwan seine "zweite Heimat", seine Frau stammt von dort. Wang Te-Yu kennt er seit 20 Jahren, 2016 hat sie bei ihm ausgestellt, seinen Galerieraum mit ihren weichen, begehbaren Luftwerken gefüllt. Auch Lin Wei-Lung war vergangenes Jahr bei ihm zu Gast, ebenfalls mit einer die Grenzen seiner Physis auslotenden Performance.

Lin Wei-Lung lässt schwarze Ballons an Schnüren aus Menschenhaar aufsteigen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Lars Koepsel sieht in den Arbeiten beider Künstler viel Spiritualität, "nicht unbedingt im religiösen Sinn". Das wollte er unbedingt zusammenbringen. Die Lukaskirche, dieser imposante Bau mit seiner klaren Architektur und Symmetrie schien ihm der perfekte Ort dafür zu sein. Zumal die Gemeinde sich seit Jahren unerschrocken auf zeitgenössische Kunst einlässt. Pfarrerin Beate Frankenberger konnte Koepsel schnell überzeugen. Sie wiederum musste ihre Gemeindemitglieder auf die sanfte Invasion ihrer Kirche durch die beiden Taiwanesen vorbereiten. "Aber natürlich wird es für viele eine Überraschung sein, wie sich der Raum, besonders der Altarraum verändern wird", sagt Frankenberger. Durch "Pneuma" werde der Altar als Ort erfahren, "an dem etwas Lebendiges, Dynamisches geschieht. Stoff und Materie verändern sich. Der Betrachter tritt in Beziehung zu diesem Geschehen und vielleicht kann er dabei sogar die Gegenwart Gottes für sich spüren."

Auch Wang Te-Yu ist neugierig, wie sich der vorgefundene Ort und seine Menschen zu dem verhalten werden, was sie und Lin Wei-Lung hineinbringen. Es ist ihre erste Ausstellung in einem Gotteshaus. Sie selbst ist Buddhistin beziehungsweise Anhängerin des Daoismus, der geistige Weite in der Leere sucht, was in der eleganten Schlichtheit ihrer stillen, buchstäblich einnehmenden Luftkunst Ausdruck findet. Hinter ihrer weißen Stoffblase werden alle äußerlichen Symbole der Religion verschwinden. Nicht nötig seien sie, sagt Wang Te-Yu. Jeder Mensch könne aus sich heraus den direkten Weg zu Gott finden, zu welchem Gott auch immer.

Hinter der weißen Stoffblase würden alle äußerlichen Symbole der Religion verschwinden, sagt Wang Te-Yu. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Pneuma", Vernissage am 20. September, 19.30 Uhr, in der St. Lukaskirche, Mariannenplatz 3. Öffnungszeiten: 9 bis 17 Uhr.

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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