München:Die Seebären vom Isarstrand

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Münchens Marinekameradschaft feiert am 11. Oktober das 125-jährige Bestehen. In ihrem Vereinsheim an der Lilienstraße pflegen die Männer und Frauen die Erinnerung an den Dienst auf Kriegs- und Handelsschiffen

Von Hubert Grundner, München

Verschlungen wie ein Stück Seemannsgarn verläuft die Geschichte der Marinekameradschaft München. Es ist eine Geschichte voller Wendungen und Brüche, an der nun seit 125 Jahren geschrieben wird. Sie beginnt am 11. Oktober 1890, als ehemalige Angehörige der kaiserlichen Marine den "Marine-Verein München von 1890" gründeten. Er war gedacht "zur Pflege kameradschaftlicher Interessen", diente aber nicht zuletzt der Unterstützung von in Not geratenen Seeleuten und deren Angehörigen. Der Verein beziehungsweise die Vereinigung aller deutschen Marine-Vereine ersetzte zum Teil die noch nicht existierenden Sozialversicherungen.

Allerdings schien bereits kurz nach der Gründung mit dem Untergang des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg sein Ende besiegelt zu sein. Doch wider Erwarten konnten ehemalige Marine-Angehörige das Vereinsleben fortführen. Zeitgleich vollzog sich der Aufstieg Hitlers. In der Folge wurde vom nationalsozialistischen Regime 1934 der "Reichsbund Deutscher Seegeltung" geschaffen. Ihm mussten sich auch die Münchner anschließen. Außerdem benannten die Nazis im Zuge ihrer Gleichschaltungspolitik den "Marine-Verein München von 1890" in "Marine-Kameradschaft München" um. Zugleich wurde sie für Hitlers zerstörerische Ziele eingespannt: "Neben den Kameradschaftsgedanken trat nun die Ausbildung für den Dienst in der neuen Kriegsmarine", heißt es dazu in der Chronik. Dieser Weg führte in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Am 8. Mai 1945, dem Tag, als die Wehrmacht ihre bedingungslose Kapitulation erklärte, löste sich auch die Marine-Kameradschaft München auf. 1950 wurde sie auf Betreiben der Siegermächte aus dem Vereinsregister gestrichen, so wie der Alliierte Kontrollrat in Deutschland überhaupt militärische Traditionsvereine verbot.

Im Heimathafen vor Anker gegangen. (Foto: Schellnegger)

Holprig wie die Rückkehr Deutschlands in den Kreis der zivilisierten Nationen vollzog sich dann auch der Neustart maritimer Zusammenschlüsse. Interessenvertretungen entstanden erst auf Landes- und Bundesebene, 1950 wurde der "Deutsche Seemannsverein", 1951 die "Deutsche Bundesvereinigung - Seefahrt ist Not" und 1952 der "Deutsche Marinebund e. V." (DMB) ins Leben gerufen. Der DMB bemühte sich, alle in der Bundesrepublik existierenden Marine-Vereine als Dachorganisation zu erfassen. Als einer dieser Ortsvereine wurde dann am 9. August 1955 die Marinekameradschaft München (MKM) aus der Taufe gehoben. Ehemalige Angehörige der kaiserlichen, der Kriegs- und der Handelsmarine fanden sich hier zusammen.

Lange Jahre verfügte die MKM über kein eigenes Vereinslokal, sondern ging in wechselnden Gaststätten vor Anker. Einen ersten festen Liegeplatz fand die MKM 1972 im Luftschutzbunker an der Quellenstraße, bevor man 1987 das derzeitige Vereinsheim an der Lilienstraße 20 bezog.

Was sich im Rückblick für Außenstehende nur schwer nachvollziehen lässt, sind die vereinsinternen Grabenkämpfe während der ersten Nachkriegsjahre. Seltsam ist zudem, dass die Mitglieder noch Anfang 1974 einstimmig beschlossen, den Vereinsnamen um den Zusatz "Großadmiral Dönitz" zu ergänzen. Bis zum August 2013 sollte es dauern, ehe diese Entscheidung revidiert und der Name von Hitlers Nachfolger wieder gestrichen wurde.

Mitglieder der Marinekameradschaft treffen sich regelmäßig im Vereinsheim an der Lilienstraße 20. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Heute sind die Männer und Frauen der Marinekameradschaft hingegen wieder mit sich im Reinen. Mehrfach betont ihr Vorsitzender Josef Motl, dass man sich im Verein nicht von rechtslastigen Polemikern missbrauchen lasse. Einige Mitglieder, die das offenbar nicht verstanden, wurden deshalb auch ausgeschlossen. "Wir stehen auf dem Boden des Grundgesetzes, und zwar mit beiden Beinen", sekundiert Winfried Huber, der Pressereferent des Vereins. Wer also glaubt, im Vereinsheim an der Lilienstraße auf verkappte Nazi-Nostalgiker zu treffen, hat sich sauber geschnitten. Weltoffen, interessiert und tolerant nach außen, hilfsbereit und verlässlich nach innen - dieses Bild von sich möchte der Verein vermitteln. Trotzdem geht der MKM mit ihren derzeit 44 Mitgliedern allmählich der Nachwuchs aus. Motl und Huber machen dafür hauptsächlich zwei Gründe verantwortlich: Zum einen sank mit der Abschaffung der Wehrpflicht auch die Truppenstärke der Bundeswehr. Zum anderen kann der Verein praktisch keine Jugendarbeit mehr leisten, seit ein Grundstück am Ammersee, wo man früher segelte, nach 1945 verloren ging.

Trotzdem lassen sich Motl und seine Mitstreiter nicht entmutigen. Jeden Freitag gibt es an der Lilienstraße 20 Kameradschaftsabende, zu denen Gäste willkommen sind. Ebenso regelmäßig finden Vorträge zu Themen der historischen wie der modernen Seefahrt statt. Ausflüge, Frühschoppen oder Hafenfest lassen das Zusammengehörigkeitsgefühl wachsen. Gleichwohl erfordert das Werben um neue Mitglieder große Geduld, weiß Motl, der sagt: "Unsere Arbeit ist in die Zukunft gerichtet." Im Moment freut er sich, dass Jürgen Weber und Bernhard Schüllein bei der MKM vorbeischauen. Auch sie fuhren zur See, wenngleich eine Etage tiefer: Weber und Schüllein sind Mitglieder der "U-Bootkameradschaft München 1926". Ungefähr 15 maritime Gruppen, inklusive Shanty-Chören, gebe es in und um München, schätzt Motl. Auch ehemalige italienische Marineangehörige haben sich in der Gruppo Marinai d'Italia (Monaco di Baviera) zusammengefunden. Zu ihnen allen hat er Kontakt hergestellt, gemeinsam hält man die Erinnerung an das Leben auf See hoch.

Warum aber hat es in der Vergangenheit so viele Bayern vom Alpenrand ans Meer gezogen? "Ohne uns Süddeutsche geht da oben gar nix", frotzelt Josef Motl und lacht dabei. Am Ende aber machen er und die anderen drei Fahrensleute das altmodische Fernweh dafür verantwortlich. Während heute ein Flug in die Karibik fast schon Normalität sei, stellte vor noch nicht allzu langer Zeit die Marine oft noch das einzige Tor zur Welt dar. Oder schlichter: Die Gegensätze von Bergen und Küsten ziehen sich wohl unwiderstehlich an.

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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