München:Die großen Projekte des Hans-Jochen Vogel

Olympische Spiele, das öffentliche Nahverkehrsnetz und eine Fußgängerzone: Als Bürgermeister hat Hans-Jochen Vogel in München viele Akzente gesetzt.

Von Dominik Hutter, Wolfgang Görl und Alfred Dürr

Am Stadtrand entstanden riesige Siedlungen wie Neuperlach

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Auf das Hasenbergl lässt der SPD-Politiker bis heute nichts kommen. Die Planung stammt noch aus der Zeit seines Vorgängers Thomas Wimmer, den Grundstein aber hat Hans-Jochen Vogel gelegt. Die großen Wohnblöcke aus den Sechzigerjahren genießen oftmals einen schlechten Ruf: wenig Einkaufsmöglichkeiten, eine einseitige Sozialstruktur, viel Beton. Die Bewohner lieben ihre Quartiere oft trotzdem, sei es nun das Hasenbergl, Fürstenried, die Blumenau oder auch Neuperlach, dessen Bau Vogel 1967 offiziell einleitete. Zaghafte Planer, denen die Qualität von Architektur und Stadtgestaltung wichtiger ist als der Bau von Wohnungen, würden derlei heute zu verhindern versuchen. Vogel aber ging es vor allem um eines: Die Menschen brauchten bezahlbare Wohnungen, und sie sollten sie bekommen. Damals wuchs München wie heute um rund 25 000 Einwohner pro Jahr. Die Situation war trotzdem eine andere: Geschätzt 150 000 Wohnungssuchende soll es damals gegeben haben, und die neuen Blöcke versprachen den Münchnern nicht nur ein Dach, sondern auch modernen Komfort. Bäder, Zentralheizung, viel Licht - das war nicht selbstverständlich in den zum Teil heillos überfüllten Altbauquartieren von Haidhausen bis zum Glockenbachviertel. Die heute begehrtesten Wohnlagen der Stadt waren in den Sechzigerjahren (und teilweise sogar bis in die Achtzigerjahre) weitgehend unsaniert. Ebenfalls aus der Ära Vogel stammen die Pläne fürs Olympiadorf sowie für die Gründung einer "Entlastungsstadt" im Münchner Westen. Letztere wird gerade gebaut: Freiham.

U-Bahn und S-Bahntunnel verhinderten den Verkehrsinfarkt

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(Foto: Robert Haas)

Es ist eine bis heute sorgsam gepflegte Legende, dass der Bau der Münchner U- und S-Bahnstrecken erst durch die Olympischen Spiele angestoßen wurde. Nun, diese öffentlichen Verkehrsmittel wären auch ohne Olympia errichtet worden, nur hätte die Umsetzung der Pläne in einzelnen Bereichen gewiss länger gedauert. Zweifellos aber fällt der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrsnetzes in und um München in die Ära Hans-Jochen Vogels. Neben der Wohnungsnot war in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die Verkehrsproblematik ein zentrales Thema der Münchner Kommunalpolitik. Die Stadt ächzte unter dem Autoverkehr, Staus und Abgase zählten zur täglichen Erfahrung der Bürger. Abhilfe versprach der öffentliche Nahverkehr, die Frage war nur, welches Konzept man verfolgen solle. Die Bundesbahn schlug vor, die östlichen und westlichen Vorortslinien per Tunnel zwischen Haupt- und Ostbahnhof zu verbinden. Daneben gab es städtische Pläne, das Straßenbahnnetz der Innenstadt in den Untergrund zu verlegen. Nach längerem Hin und Her gelangte der Stadtrat zur Überzeugung, dass eine U-Bahn besser wäre als eine unterirdische Trambahn. Im Januar 1964 billigte das Gremium den Bau einer Nord-Süd-U-Bahnlinie. Gut ein Jahr später erfolgte der erste Spatenstich für die Münchner U-Bahn. Die Arbeiten für die S-Bahnstrecke begannen im März 1967, und zweifellos wurden sie durch die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele beschleunigt. Dem war ein längeres Hickhack um die Finanzierung vorausgegangen. Letztlich ist es Vogel gelungen, Bund und Freistaat zur Übernahme der S-Bahn-Kosten zu bewegen.

Die Autos wurden aus dem Zentrum verbannt

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(Foto: Fritz Neuwirth/SZ Photo)

Heute kocht bei der Debatte um die Umwandlung der Sendlinger Straße in einen autofreien Bereich ein Streit hoch, der zu Vogels OB-Zeit kaum vorstellbar gewesen wäre: Fußgängerzonen als städtebauliche Banalitäten, die dem Kommerz dienen, lautet der Vorwurf. Die Umgestaltung der Altstadt in einen Bereich, der nur den Fußgängern vorbehalten blieb, sei damals positiv aufgenommen worden, so Vogel. Die Lebensqualität habe sich spürbar erhöht. Die Fußgängerzone habe nur deshalb Wirklichkeit werden können, weil sich die Einstellung der Menschen zu ihrer Stadt und vor allem zu den Verkehrsfragen deutlich gewandelt habe. Der Bereich zwischen dem Marienplatz und dem Stachus als ein Beispiel dafür , "wie man sogar das Zentrum eines großen Verdichtungsgebietes wieder menschlich machen, ihm wieder menschliche Maßstäbe geben kann". Den Kern Münchens von Autos zu befreien, hatte freilich auch eine Kehrseite. Es ging um den Ausbau des Altstadtrings, um den motorisierten Verkehr zu bewältigen. Ende der Sechzigerjahre sorgte das Tunnelprojekt unter dem Prinz-Carl-Palais zwischen der Prinzregenten- und der Gabelsbergerstraße für ungewöhnlich harte Kritik von Bürgern und Medien. Vogel stand jedoch zum Tunnel, denn ohne den Ringausbau hätte es auch keine Fußgängerzone gegeben. Aber er unterstützte gleichzeitig eine "offene Planung" unter Einbeziehung der Bürger. Das hatte man bis dahin in dieser Form nicht gekannt. Aus der Auseinandersetzung um den Tunnel ging das "Münchner Forum" hervor, ein Verein, der sich bis heute kritisch mit Fragen der Stadtentwicklung auseinandersetzt.

Energisch setzte sich Vogel für die Olympischen Spiele ein

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(Foto: SVEN SIMON)

Als die Olympischen Sommerspiele am 26. August 1972 eröffnet wurden, war Hans-Jochen Vogel schon nicht mehr Oberbürgermeister. Das ist schade, denn ohne Vogels Einsatz hätte es die Münchner Spiele vermutlich nicht gegeben. Im Oktober 1965 hatte der damalige NOK-Chef Willi Daume die Idee einer Olympia-Bewerbung an Vogel herangetragen, und nach einigen Tagen Bedenkzeit war der OB überzeugt, dass die Spiele eine große Chance für die Stadt sein würden. Ausschlaggebend, so sagte Vogel später in einem Interview, waren zwei Gründe: "Natürlich würden die Spiele die Bekanntheit Münchens als Touristenstadt weltweit fördern und auch die Infrastruktur der Stadt verbessern. Eine Rolle spielte aber auch der Gedanke, ein Gegenbeispiel zu den Olympischen Spielen 1936 in Berlin zu setzen, die ja vom NS-Gewaltregime so außerordentlich missbraucht worden sind. Ein weltoffenes, ein friedliches, ein heiteres München, Bayern und Deutschland zu zeigen - das war ein wesentliches Motiv." Vogel und seine Mitstreiter krempelten die Ärmel hoch, für die Bewerbung hatte man nur 60 Tage Zeit - eine Frist, die so gut genutzt wurde, dass München den Zuschlag bekam. Und wer die heutige Verzagtheit bei Architekturprojekten im Blick hat, ist erstaunt, mit welchem Mut die damaligen Akteure die Planung betrieben. Günter Behnischs kühne Entwürfe bargen erhebliche finanzielle Risiken, auch in puncto Zeltdachstatik gab es Bedenken. Dennoch entschied man sich für das Konzept. Die Tragik der Geschichte ist, dass die Offenheit der Spiele von palästinensischen Terroristen genutzt wurde, israelische Sportler zu ermorden.

© SZ vom 02.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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