Adventszeit in München:Die große Almhüttenplage

Adventszeit in München: "The Hut" im Innenhof des Hotels Le Meridien.

"The Hut" im Innenhof des Hotels Le Meridien.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Was früher in den Bergen als Apres-Ski-Scheune Schrecken verbreitete, ist nun in der Stadt angekommen. So ein Gaudi-Stadl passt nirgendwo hin, trotzdem hat er in der Adventszeit Hochkonjunktur.

Von Franz Kotteder

Eigentlich ist sie ja Kunst, hätte aber trotzdem weggekonnt. Im Innenhof des Gasteig-Kulturzentrums steht seit ein paar Wochen eine Almhütte. Nirgendwo passt so ein Ding weniger hin als hier auf das Celibidache-Forum, wie der Vorplatz nach dem berühmten Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker offiziell heißt. Sie war anfangs Bestandteil des Theaterfestivals Spielart, das offizielle Festivalzentrum nämlich.

"Bei Spielart ging es in diesem Jahr viel um Klischees und ihre Wirkung", sagt Festivalleiter Tilmann Broszat, "wir hatten viele Gruppen aus Afrika und Asien da, und da dachten wir uns: Wir bringen unsere eigenen Klischees auch gleich mit ein!" Bei der Dekoration des Alpenkitsch-Fertighausmonstrums setzten die Spielart-Leute dann auch auf asiatische und afrikanische Volkskunst-Versatzstücke, gewissermaßen als subversive Attacke gegen Volkstümelndes aus dem Alpenraum.

Adventszeit in München: Die "Gasteiger Winteralm"im Celibidache-Forum.

Die "Gasteiger Winteralm"im Celibidache-Forum.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

So weit, so ironisch. Dummerweise fand die Gasteig-Geschäftsführung, man könne die Almhütte doch auch nach dem Festivalende weiter nutzen - als zusätzliches gastronomisches Angebot. Und so steht also jetzt die "Gasteiger Winteralm" im Celibidache-Forum herum. Man kann sie ziemlich unironisch für Weihnachtsfeiern mieten - das heißt: man konnte - denn inzwischen ist sie restlos ausgebucht. Dafür gibt's morgens um halb acht Yoga in der Alm und gelegentlich Jazz und andere Konzerte, alles bei freiem Eintritt.

Weniger schön: die Speisekarte. Da ist dem Koch wohl der eine oder andere Jagatee zu Kopf gestiegen. Nicht nur, dass er diverse Vor- und Nachspeisen ins neobayerische "Foodglas" packt, er kreierte auch noch absonderliche Gerichte wie "Zimt-Vitello-Tonnato mit mariniertem Kürbis" oder einen "Baumkuchen, gefüllt mit Geflügelleberpastete", dazu Salat mit Glühweindressing. Ist das ein satirischer Einwurf aus der Küche? Jeder gestandene Gebirgler, der ein bisschen was auf sich hält, würde so etwas doch aus tiefstem Herzen mit einem kraftvollen "Pfuideifi!" kommentieren.

Die Gasteiger Winteralm steht in vieler Hinsicht exemplarisch für eine Entwicklung, die in diesem Jahr mit besonderer Wucht über die Stadt hereingebrochen ist. Was dem Rosenzüchter der Mehltau ist und dem Biergartenfreund und Kastanienliebhaber die Miniermotte, das ist für den Anhänger bayerischer Lebensart die grassierende Almhüttenpest. Vor knapp zehn Jahren hatte alles angefangen, da hatte Michael Käfer die Idee, auf der Galopprennbahn in Riem eine Almhütte aufzustellen, für die Weihnachtsfeiern von Firmen, die sich so etwas leisten wollten.

Immerhin, das war weitab vom Schuss, normale Menschen blieben vom Anblick dieser Eventlocation verschont. Doch es kamen die Nachzügler, das Luxushotel Mandarin Oriental baute sich zeitweise gar eine Almhütte aufs Dach, bald gab es hölzerne Ungetüme in Biergärten wie dem Augustiner- und Hofbräukeller, im Paulaner Bräuhaus und sogar beim Alten Wirt von Moosach. Hotels wie das Leonardo Royal zogen nach, um sich draußen in Münchens Norden, wo nichts an ein Isarmärchen erinnert, zumindest einen Hauch von Bavarität zu verleihen.

So nahm das Unglück seinen Lauf. Was früher hoch oben in den Bergen als krachlederne Apres-Ski- und Hochgebirgs-Gaudi-Scheune Schrecken verbreitete, ist nun unten in der Stadt angekommen - als Nieder-Tracht-Tempel. So als hätten infolge des Klimawandels schmelzende Gletscher die wunderlichen Artefakte alpenländischer Unterhaltungskunst ins Flachland gespült. So sehen sie aus, die Almhütten von der Stange. Dabei kommen sie fast alle aus einem Münchner Vorort.

Adventszeit in München: In "The Hut" gibt es "Glühbier" vom Fass.

In "The Hut" gibt es "Glühbier" vom Fass.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Denn gefertigt werden sie ja meist von einer Firma aus dem Gewerbegebiet von Dornach mit dem schönen Namen "Von Alm das Beste GmbH & Co. KG". Zur Grundausstattung gehören hölzerne Skier mit verrosteten Bindungen aus den Anfangsjahren der Alpinistik, hölzerne Sitzbänke, Lammfell-Sitzgarnituren wie im Proleten-Porsche und die Hits von Andreas Gabalier. Auf das originale Plumpsklo wird verzichtet.

Der wichtigste Daseinszweck einer solchen Hütte ist die Firmenweihnachtsfeier. Für die jeweilige Belegschaft ist das zugleich eine willkommene Gelegenheit, die Lederhosen- und Dirndlzeit vom Oktoberfest geradewegs in den Advent hinein zu verlängern. Wer betriebswirtschaftlich denkt, sieht den Vorteil auf den ersten Blick: Die Anschaffung eines solchen Folklorekostüms, auch wenn es sehr günstig in China produziert wurde, rechnet sich schließlich besser, wenn man es dann nicht nur an 16 bis maximal 18 Tagen im Jahr aufträgt. Diese Chance scheinen Jung-Controller, Superior Content Advisors, Junior Marketing Officers und wie sie alle heißen, selbstverständlich nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

So scheint das jedenfalls in "The Hut" zu sein, die im Innenhof des Top-Hotels Le Meridien gegenüber dem Hauptbahnhof steht. Von vier Seiten eingekreist durch ein Hotelgebäude, das auch als Versicherung durchgehen würde, findet man sie, indem man traulich funkelnden Lichtern am Boden durch die pflegeleichte Innenhofbegrünung folgt. Eine effektvoll knarzende Tür verleiht dann Zugang zur zünftigen Gebirglerseligkeit, inklusive Stimmungsmusik von den Wiesn-Buam oder vom DJ. Ein bisschen aufdringlich wirkt nur das mannshohe Werbebanner eines Dating-Internet-Portals, das verspricht, die zwischenmenschliche Begegnung "sustainable", also "nachhaltig" zu machen - schließlich ist man hier ja nicht in einem Stundenhotel.

Kulinarisch gesehen ist die Sache wenig aufregend. Es gibt beispielsweise "Glühbier", eine heiße Bier-Kirschsaft-Plörre nach belgischer Rezeptur, vermutlich mit Langzeitgarantie fürs Sodbrennen. Neben dem unvermeidlichen Jausenbrettl und dem Schnitzel ist das "Gletscherfondue" das Highlight der Karte, mit Käsesauce, Brotbröckerl, Kartoffeln und Mixed Pickles für 21 Euro pro Nase. Das ist nicht allzu teuer, schließlich kostet diese Luxus-Packerlsoße aus der Schweiz in Käfers Feinkostladen auch schon 29,90 Euro für die Zwei-Personen-Packung.

So bastelt sich halt jeder Beherbergungsbetrieb und das eine oder andere Großwirtshaus notdürftig eine eigene Alpenidylle zurecht. Wie "Things from outer space" tauchen die Almhütten an den unmöglichsten Orten auf, wie gestrandete Ufos - eine allzu heimelige Begegnung der dritten Art. Nur das Happy End, das man aus Hollywood kennt, fehlt nach wie vor noch: Auf jene Superhelden, welche die Menschheit von dieser Geißel wieder befreien, wartet man bislang vergeblich.

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