München:Die Bergorchidee

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In Japan hat Ingrid Büchs einst Sumie, die Kunst der Tuschemalerei, erlernt. Sie praktiziert sie bis heute

Von Franziska Gerlach

Eigentlich ist der Dezember ja nicht der Monat, in dem die Magnolien ihre Knospen aufspringen lassen. Ein Japaner, sagt Ingrid Büchs, käme deshalb nie auf die Idee, bei diesen frostigen Temperaturen ein Bild mit einer Magnolie aufzuhängen. Macht man so nicht, auch Ingrid Büchs nicht, immerhin hat sie viele Jahre in Japan gelebt, erst in Kobe, ein zweiter Aufenthalt führte sie nach Tokio: In Japan wechseln die Motive der Bilder in den Wohnungen mit den Jahreszeiten, und richtigerweise gehörten diese auch in die Tokonoma, in eine Nische.

Doch wer über die 89 Jahre alte Wahlmünchnerin und ihre Kunst schreibt, der soll auch möglichst viel von ihren Bildern sehen. Also hat Büchs in ihrer Wohnung in Solln an diesem Tag gleich mehrere Arbeiten aufgehängt, ausnahmsweise. Sumie nennt man die Kunst der Tuschemalerei, die auf dem Prinzip der Sparsamkeit basiert. Im Fall von Ingrid Büchs führt diese Rückbesinnung auf das Wesentliche zu einer Eleganz, die ihren Reiz gerade aus der Einfachheit der Motive zieht: Da ist etwa das Fischerboot, das über ruhiges Wasser gleitet. Über der Sitzecke mit dem Couchtisch, der einst ein japanischer Kohleofen war, ragt der Fuji in den Himmel. Nur ganz selten habe der "Sensei", ihr Lehrer, sie diesen majestätischen Berg überhaupt malen lassen, der in Japan als heilig verehrt wird. Büchs zieht die Augenbrauen über den blauen Augen zusammen, als sie das sagt. Die Gelassenheit eines langen Lebens ruht darin, aber auch der Respekt vor der fernöstlichen Lebensweise, die Außenstehende vor Rätsel stellen kann.

Über der Sitzecke mit dem Couchtisch, der einst ein japanischer Kohleofen war, ragt der Fuji in den Himmel. (Foto: Robert Haas)

Doch Ingrid Büchs und Japan, die beiden kamen immer miteinander klar. Mitte der Fünfzigerjahre wird Wolfgang Büchs von einer Hamburger Firma nach Kobe geschickt, ein Jahr später holt er seine damalige Verlobte nach, mit dem Schiff. Mit dem Flugzeug dauerte die Reise seinerzeit noch 40 Stunden, erzählt Wolfgang Büchs in seinem Sessel, und das habe er seiner Verlobten schlicht nicht zumuten wollen. Das Paar heiratet in Kobe, Ingrid Büchs ist 27 Jahre alt. Sie bekommt drei Kinder, 1956 einen Sohn, ein Jahr später die Zwillingsmädchen. Die Familie bezieht ein Haus mit Garten. Na ja, und ganz in der Nähe dieses Hauses befand sich jener Tempel, der mit seinen bemalten Schiebetüren ihre Liebe zur japanischen Kunst wachküssen sollte. "Irgendwie", sagt Ingrid Büchs, "hat mich das damals sehr berührt".

In den frühen Sechzigerjahren kauft sie sich ihren ersten Pinsel, beginnt zu malen, zunächst nimmt sie Stunden bei einer jungen Lehrerin, die ihr aber nicht viel beibringen kann. Erst bei ihrem zweiten Aufenthalt in Tokio, nach dem Abitur der Kinder in Deutschland, von 1977 an, lernt Büchs den bekannten Sumie-Maler Seiūn Koyama kennen. Jede Woche besucht sie den "Sensei", manchmal entstehen fünf Bilder in diesen Stunden. Auch zu Hause übt Ingrid Büchs, malt Bergorchideen noch und nöcher, will sich verbessern, vor dem strengen Auge ihres Lehrers bestehen. Die Tusche verzeiht keine Ausrutscher, binnen Sekunden saugt sich das dünne Papier aus Naturfasern daran satt, ein kleiner Fehler, und man muss von vorne beginnen.

Fische, Vögel und Melonen hat Ingrid Büchs mit geschmeidigen Pinselstrichen in Grau-Nuancen zu Papier gebracht, von ganz hell bis ganz dunkel. (Foto: Robert Haas)

Manchmal habe der Sensei auch gleich weggeworfen, was ihm nicht gefiel, erzählt Büchs und hievt eine Mappe auf den Tisch. Darin: noch mehr Bilder, eines schöner als das andere. Fische, Vögel und Melonen hat sie mit geschmeidigen Pinselstrichen in Grau-Nuancen zu Papier gebracht, von ganz hell bis ganz dunkel. Bunter als das pudrige Rosa eines Kirschblütenstängels soll es dann auch nicht werden. Büchs, in ihrem silbergrauen Twin-Set und der massiven Silberkette eine überaus stilvolle Erscheinung, hat nur selten in Farbe gemalt. Schwarz habe einfach mehr Aussagekraft, und der Begriff "Malen" treffe die Sache ebenfalls nicht ganz. "Das ist nicht Malen und nicht Zeichnen, es ist eher eine Art Wischen", sagt sie. Auch sitze man dabei nicht, man stehe. Wie soll der Pinsel sonst das obere Drittel eines hochformatigen Blattes erreichen, da brauche es doch einen entsprechenden Radius?

Dann legt sie los, mit Bewegungen aus dem Handgelenk lässt sie den Pinsel schweben, vor und zurück - wie ein Cellospieler, der den Bogen über die Saiten führt. Nur etwas langsamer, denn so ganz schnell geht es im Alter freilich nicht mehr. Die Ruhe aber, die dieser konzentrierten Tätigkeit innewohne, das sei ihr immer ein schöner Ausgleich gewesen zu dem Trubel auf den Straßen, der Hektik, die die japanischen Großstädte damals schon überzog. Ingrid Büchs und ihr Mann waren Expats, also von einer Firma in der Heimat für einige Zeit ins Ausland Entsandte, als dieses Wort noch nicht dazu diente, auf After-Work-Partys die eigene Weltläufigkeit zu demonstrieren. Ein mutiger Schritt, denn von Japan hatte Ingrid Büchs als junge Frau freilich nur vage Vorstellungen. "Um Gottes Willen, hast du denn auch eine Rückfahrkarte", habe eine Freundin sie gefragt. Nein, das hatte sie nicht, und sie sollte auch keine benötigen. Heute werden die Leute auf die kulturellen Gepflogenheiten des Landes vorbereitet. Ingrid Büchs konnte auf Japanisch nur "Ja" und "Nein" sagen. Trotzdem sei sie sicher gewesen, dass dies der Ort sein sollte, an dem sie leben würde.

"Das ist nicht Malen und nicht Zeichnen, es ist eher eine Art Wischen", sagt Ingrid Büchs über die Sumie-Technik. Die Tusche verzeihe keine Ausrutscher. (Foto: Robert Haas)

Ihre Kindheit war schwer, ihr Vater kehrte 1943 nicht aus Stalingrad zurück, ihre Mutter starb kurz nach Kriegsende an Krebs. Büchs wuchs bei einer Tante auf, die sie gut behandelte, das schon, später absolvierte sie eine Ausbildung zur Gewerbelehrerin. Innere Ruhe und Ausgeglichenheit, die sollte sie aber erst später erlangen. "Ich habe viel Glück gehabt im Leben", sagt Büchs, mit ihrem Mann, mit der Kunst und mit Japan, überhaupt sei die Zeit dort die glücklichste ihres Lebens gewesen. Sie weiß nur zu gut, dass eine solche Erfahrung nicht jedem vergönnt ist. Und vielleicht baut ihre Faszination für das Japanische, die sie augenscheinlich all die Jahre bewahrt hat, gerade auf dieser Dankbarkeit auf. Sie schenkt Tee ein, bietet Kekse dazu an, die leichte Schärfe prickelt auf der Zunge. Nur die "Herumstehchens", die verzierten Holzschatullen, der kleine Buddha, die wunderschönen Schalen, die sind dann doch eher deutsch als japanisch, wo man bekanntermaßen einen reduzierten Einrichtungsstil pflegt. Aber Ingrid Büchs bringt es einfach nicht übers Herz, diese in eine Kiste zu packen. Es sind doch ihre Erinnerungen.

Die Ausstellung "Japanische Malerei" von Ingrid Büchs ist bis zum 28. April im ASZ Obermenzing, Packenreiterstraße 48, zu sehen.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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