München:"Das ist doch kein normales Verhältnis"

  • Ein Mann sticht auf seine Freundin ein, weil sie ihn jahrelang unterdrückt hat.
  • Er gesteht die Tat umgehend und freut sich, im Gefängnis zu sein. Er nennt das einen "Erholungsurlaub".

Von Christian Rost

Er nennt seine Lebensgefährtin "Prinzessin" und sie nennt ihn "Stink". Diese im Grad ihrer Liebenswürdigkeit doch sehr unterschiedlichen Kosenamen zeigen bereits, dass etwas nicht stimmte in der Beziehung des 52-jährigen Ralf H. und seiner gleichaltrigen Freundin.

Über Jahre hinweg soll sie ihn dominiert und schikaniert haben. Am 11. November 2015 setzte H. einen vorläufigen Schlusspunkt unter diese ungleiche Partnerschaft. Mit einem Messer stach er auf die Frau ein. Seit Dienstag muss er sich am Münchner Schwurgericht für die Tat verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord vor.

Der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann und auch die anderen Prozessbeteiligten kommen kaum aus dem Staunen heraus, umso mehr sie über die Beziehung dieses Paares erfahren. "Ich habe in 26 Jahren viel erlebt vor Gericht, das aber ist ein spezieller Fall", merkt Riedmann an. Seine Worte sind mehr auf das Opfer gemünzt als auf den Angeklagten, der schmächtig und devot vor seiner Anwältin Heidi Pioch im Gerichtssaal sitzt und sagt, er sei froh, jetzt im Gefängnis zu sein: "Das ist für mich wie ein Erholungsurlaub."

Rundweg hat er eingeräumt, mit einem Küchenmesser seiner Lebensgefährtin zweimal in rascher Abfolge von hinten in den Rücken gestochen haben. Das Messer drang laut Anklage jeweils nur vier Zentimeter tief in die Fettschicht unter der Haut ein und das Opfer meinte, es habe lediglich zweimal ein "Piksen" gespürt. Dennoch sei es nur glücklichen Umständen zu verdanken, "dass die Geschädigte nicht schwerst oder tödlich verletzt wurde", so die Anklage. Die Verteidigung geht indes nicht von einem versuchten Tötungsdelikt aus.

Einen eigenen Schlüssel hatte er schon lange nicht mehr

Der Messerangriff hat eine lange Vorgeschichte, seit sechs Jahren lebte das Paar zusammen in einer Wohnung in Berg am Laim. Zuletzt waren beide arbeitslos, er hatte nach dem Abitur Elektrotechnik studiert. Der Alltag gestaltete sich nach den Angaben des Angeklagten so, dass er sich - abgesehen vom Kochen, was seine Freundin gern übernahm - um den gesamten Haushalt kümmerte. Er erledigte Einkäufe und Behördengänge, während seine Partnerin über ein Jahr die Wohnung nicht verließ.

Sie habe vor dem Fernseher oder dem Computer gesessen, gechattet und gespielt. Geld habe er nur zum Einkaufen bekommen, wobei er auch ständig losgeschickt worden sei, um Bier, Wein oder Schnaps für seine Freundin zu besorgen. Er selbst, sagt H., habe nur wenig Alkohol getrunken. Er habe ja auch kein eigenes Geld zur Verfügung gehabt. Und wenn sie ihn wieder einmal aus der Wohnung rausgeworfen hatte nach einem Streit, was öfter vorkam, habe er im Fahrradkeller geschlafen und nichts zum Essen gehabt. "Ich bin dann Flaschen sammeln gegangen, um mir Brot kaufen zu können", so H.

Einen eigenen Wohnungsschlüssel hatte er schon seit eineinhalb Jahren nicht mehr. Auch am Tattag wurde er morgens wieder der Wohnung verwiesen. Da nahm er sich das Messer und stach zu. Die Freundin hatte es eigenen Angaben noch vor der Attacke gesehen, dem Mann aber trotzdem den Rücken zugekehrt. Danach rief sie die Polizei, während Ralf H. am Küchentisch hockte und ergeben auf sein Schicksal wartete.

"Er hätte ja gehen können"

Vor Gericht scheint es zunächst so, als wolle der Angeklagte seine Lebensgefährtin in ein möglichst schlechtes Licht rücken, um sich für die Tat zu rechtfertigen. Die Vernehmung des Opfers zeigt aber, dass ihn die Frau tatsächlich rauswarf, wann es ihr passte. "Tut er so blöd oder ist er so", habe sie sich oft gedacht, sagt die 52-Jährige im Zeugenstand und beschwert sich darüber, dass H. sich keinen Job gesucht habe.

Richter Riedmann meint dazu: "Sie waren doch auch arbeitslos", was die Frau unkommentiert stehen lässt. Sie verteidigt ihre dominante Art gegenüber ihrem Freund und findet es nach wie vor richtig, dass allein sie über Geldfragen in der Beziehung bestimmte. "Das ist doch kein normales Verhältnis", entfährt es dem Richter. Die Frau meint dazu nur: "Er hätte ja gehen können."

Das aber wollte Ralf H. nicht, und er hängt nach wie vor an seiner "Prinzessin". Wenn er wieder aus dem Gefängnis raus ist, will er zu ihr zurück - "aber mit getrennten Wohnungen".

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