Coronavirus in München:Eine Stadt im Katastrophenmodus

Coronavirus in München: Die Buden sind aufgebaut, der Weihnachtsschmuck hängt. Nun geht es nur noch um die Frage, ob der Christkindlmarkt auf dem Marienplatz überhaupt stattfinden kann.

Die Buden sind aufgebaut, der Weihnachtsschmuck hängt. Nun geht es nur noch um die Frage, ob der Christkindlmarkt auf dem Marienplatz überhaupt stattfinden kann.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Inzidenz in München ist noch einmal sprunghaft angestiegen, OB Reiter nennt die Lage dramatisch. Nur mit Mühe und Not können auf den Intensivstationen noch Patienten aufgenommen werden, manchmal erst nach einer Odyssee.

Von Thomas Anlauf, Heiner Effern, Ingrid Fuchs, Stephan Handel und Joachim Mölter

Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt dem Robert-Koch-Institut (RKI) zufolge bei fast 335, in Wahrheit wegen Verzugs bei der Registrierung aber wohl zwischen 500 und 600. Die Zahl der Betten ist auf Intensivstationen deutlich ausgebaut und schon wieder so knapp, dass sich laut Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) jeden Tag die Frage stellt: Wer kann noch behandelt werden, wie viele Betten gibt es noch?

Tag für Tag wird die Corona-Situation in München brenzliger, nur die Ausrufung des Katastrophenfalls verhinderte, dass schwer kranke Patienten in großer Zahl aus der Stadt in andere Krankenhäuser verlegt werden mussten. "Hier geht es täglich um Leben und Tod", sagte OB Reiter am Montag im Münchner Presseclub. "Nicht einmal die schlimmsten Pessimisten hätten sich diese Zahlen vorstellen können."

"Am heutigen Tag gibt es 455 Intensivbetten in München, vor fünf Tagen waren es noch 380", erklärte OB Reiter. Der Katastrophenfall ermögliche diese sogenannte Belegungssteuerung, "das heißt, man kann andere Krankenhäuser dazu bringen, Intensivkapazitäten zu schaffen". Allerdings: Von den nun 455 vorhandenen Intensivbetten in den Münchner Kliniken sind Reiter zufolge an diesem Montag bereits 422 belegt. Anders ausgedrückt: Ohne den Katastrophenfall würden in München schon mehr als 40 Betten fehlen.

Der Notarzt-Wagen fuhr das Klinikum Schwabing an, dort war aber keine Intensivbett frei

Die Münchner Krankenhäuser bestätigten Reiters Einschätzung, dass die Situation dramatisch sei: "Normalerweise wäre überhaupt kein Intensivbett frei", sagt Axel Fischer, Geschäftsführer der München Klinik mit ihren fünf Häusern. Nur weil planbare Operationen verschoben werden, können Kapazitäten freigehalten werden. "Wenn jetzt zum Beispiel ein Schwerverletzter von einem Autounfall hereinkommt", so Fischer, "dann bekommen wir den schon noch unter. Aber irgendwann ist einfach Schluss." 90 Covid-Patienten werden derzeit in den Häusern der München Klinik behandelt, 30 davon auf den Intensivstationen. 15 Patienten werden als Verdachtsfälle beobachtet.

"Die Lage ist extremst angespannt und deutlich dramatischer als vor einem Jahr", sagt Fischer. Er berichtet von einer Patienten-Odyssee vor wenigen Tagen: Der Notarzt-Wagen fuhr das Klinikum Schwabing an, dort war aber kein Intensivbett frei. Also ging's zunächst nach Rosenheim, aber auch dort wurde der Transport abgewiesen. Schließlich die Meldung: In Großhadern ist was frei - aber bis die Strecke zurückgelegt war, war auch dieses Bett an einen anderen Patienten vergeben. "So sind sie schließlich doch wieder bei uns gelandet", sagt Axel Fischer, "und dieses Mal konnten wir den Patienten aufnehmen."

Bernhard Zwißler ist Direktor der Klinik für Anästhesiologie am LMU-Klinikum Großhadern und damit auch Chef über die dortige Notaufnahme und die Intensivstation. "Ein freies Intensivbett", sagt er, "bedeutet nicht: Das Bett ist leer, das Pflegepersonal steht drum rum und wartet, bis ein Patient auftaucht." Vielmehr wird an jedem Morgen geschaut, wie viele Patienten die Intensivstation an diesem Tag voraussichtlich verlassen werden - danach wird dann das Programm geplant, zum Beispiel, welche Operationen angesetzt werden. Dabei werden aber sowieso schon nur 70 Prozent der Betten eingesetzt, wohl wissend, dass Notfälle versorgt werden müssen oder dass eine Organtransplantation sofort geschehen muss.

Das Covid-Geschehen auf den LMU-Intensivstationen geht laut Zwißler "dynamisch nach oben": Mitte vergangener Woche waren es neun Patienten, am Samstag 14, am Sonntagmorgen dann schon 19. "Wenn das so weitergeht", sagt der Arzt, "wird uns nichts anderes übrigbleiben: Personal aus den OP-Sälen abziehen, alle nicht dringenden Operationen absagen." So war es im Frühjahr 2020 schon einmal - damals allerdings auf Anordnung der Regierung. Dieses Mal müsste die Klinik so reagieren, weil es nicht anders geht.

Der Wert wird sich Ende der Woche wohl zwischen 500 und 600 einpendeln

Wie ernst die Lage in München ist, hat sich in den vergangenen Wochen und Tagen abgezeichnet, die Ärzte schlugen bereits Alarm. In den Meldungen über Neuinfektionen zeigt es sich erst aktuell richtig, weil die Stadt nicht mit dem Zählen und Melden der positiven Corona-Fälle hinterher kam. Am Wochenende hat sich die Zahl der Fälle deshalb verdoppelt. Der OB erwartet, dass die Lücke beim Melden bis Ende der Woche geschlossen sein und der Wert zwischen 500 und 600 liegen wird.

Die wochenlange Panne bei den Zahlen, die laut Gesundheitsreferat einem akuten Personalengpass geschuldet war, hat eine heftige politische Kontroverse im Rathaus ausgelöst. Die CSU stellte in Frage, ob Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) ihrem Job noch gewachsen sei, und attestierte der Stadt ein "unglaubliches Organisationsversagen" bei der Pandemie-Bekämpfung.

Am Montag legte die Fraktion nach und griff auch die Stadtspitze massiv an, namentlich neben OB Reiter die Bürgermeisterinnen Katrin Habenschaden (Grüne) und Verena Dietl (SPD). Sie agiere seit eineinhalb Jahren viel zu passiv, hieß es von der CSU. "Der Oberbürgermeister und die beiden Bürgermeisterinnen müssen in der Corona-Pandemie endlich Flagge zeigen und mit dem Versteckspiel aufhören. Die vierte Welle wurde von der Stadtspitze doch gar nicht mehr ernstgenommen und die Bürgerinnen und Bürger müssen das jetzt ausbaden", sagte CSU-Fraktionsvize Hans Theiss.

OB Reiter konterte umgehend. "Ich würde mir wünschen, dass alle demokratischen Parteien im Münchner Rathaus die aktuelle Corona-Situation ernst nehmen und nicht versuchen, diese für parteipolitische Zwecke zu instrumentalisieren. Besser wäre es, sich mit konstruktiven Vorschlägen einzubringen." Er hatte bereits zuvor im Presseclub erklärt, dass die Pannen bei der Inzidenzmeldung ärgerlich und sofort abzustellen zu seien, aber die Bekämpfung der Pandemie in München nicht beeinträchtigt hätten. Viel könne die Stadt ohnehin nicht selbständig beschließen, er hoffe aber, dass sich das bald ändere.

Von Freitag- bis Montagmorgen gab es in München etwa 1125 Kontrollen

Die schärferen Regeln, die schon fürs Wochenende galten, wurden indes von der Polizei schon großflächig kontrolliert. Von Freitag- bis Montagmorgen (jeweils 6 Uhr) gab es in München etwa 1125 Kontrollen, um die Einhaltung von 3-G-, 3-G-plus- und 2-G-Regelungen sowie der Maskenpflicht zu überprüfen. Kontrolliert wurden Betreiber, Beschäftigte und Kunden; bei den Betrieben handelte es sich vor allem um Gastronomie, Beherbergung und körpernahe Dienstleistungen, auch in Fitnesscentern waren die Polizisten unterwegs. 41 Mal wurden Ordnungswidrigkeiten angezeigt, wenn zum Beispiel Gäste beim Zutritt nicht gewissenhaft um Impf-, Test- oder Personalausweis gebeten wurden oder wenn die Betreiber andere Vorschriften nicht einhielten.

Wenn es nach den Grünen geht, wären bald strengere Regeln zu kontrollieren. Die Fraktion präsentierte ein Programm zur Corona-Bekämpfung, in dem sie unter anderem eine Absage aller größeren Innenveranstaltungen im städtischen Einflussbereich und eine Ausweitung der 2-G-Regel fordert. Lieber wäre ihr noch ein Modellprojekt 2-G-plus, in dem sich Geimpfte und Genesene auch einem Schnelltest unterziehen. Modellhaft sollen PCR-Lollitests an Kitas versucht werden. Außenveranstaltungen wie Christkindlmärkte müssten, wenn sie stattfänden, strengste Vorkehrungen treffen.

Ob der Markt in der Fußgängerzone tatsächlich wie geplant öffnen kann, blieb am Montag noch offen. Die Standlbetreiber zumindest bauten unermüdlich auf, räumten ihre Waren in die Holzbuden. "Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf", sagte eine Händlerin, die nahe dem Fischbrunnen Adventsschmuck verkaufen will. Schon seit der vergangenen Woche stehen die städtischen Holzstandl rund um das Rathaus, am Sonntag rollten schwere Trucks aus ganz Deutschland an mit bunten Bretterbuden als Ladung. Der Aufwand, den die Beschicker betreiben, ist enorm - und das sind auch die Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen.

Andere haben bereits die Notbremse gezogen: "Schweren Herzens haben wir uns entschlossen, den traditionellen Pasinger Christkindlmarkt in diesem Jahr abzusagen", teilte die Betreibergemeinschaft mit. Sie kritisierte unter anderem "die unklare Aussage des Oberbürgermeisters sowie der Staatsregierung, den Markt kurzfristig wieder zu schließen, wenn es Covid erfordert".

Auch das Hygienekonzept für Weihnachtsmärkte hätte "Ausmaße angenommen, die nur mit erheblichem Aufwand realisierbar gewesen wären". Letztlich seien aber auch die exponentiellen Steigerungen der Infektionszahlen für den Entschluss ausschlaggebend gewesen, heißt es in einer Erklärung der Betreibergemeinschaft des Pasinger Christkindlmarkts.

Wegen des zentralen Markts am Marienplatz wollte sich OB Reiter am Montag noch mit den Kollegen aus Augsburg und Nürnberg abstimmen, damit die drei größten Veranstaltungen dieser Art in Bayern möglichst gleich gehandhabt würden. Die Entscheidung in München soll am Dienstag im Krisenstab fallen.

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