München:Bunte Menschenkette

Im Kulturhaus Milbertshofen bemalen Kinder und Erwachsene gemeinsam große Holzfiguren, die einander die Hände reichen - "Zusammenkommen" nennt der Künstler Walter Kuhn sein Projekt

Von Nicole Graner

Pink, rot und gold. Diese Farben hat sich Keira aus zahlreichen Flaschen und Tuben ausgesucht. Und nur die. "Ich will viel Gold", sagt sie und zupft ihren Papa ungeduldig am Ärmel. "Noch mehr! Viel mehr." Papa drückt die drei Farben in kleinen Häufchen auf einen Pappteller. Dann marschiert die Fünfjährige, ihre lockigen Haare wie eine kleine Diva nach hinten werfend, recht selbstbewusst davon. Zu einem Tisch, auf dem eine kleine, aus Grobspanplatten herausgeschnittene, flache Figur liegt. Das Glas Wasser steht bereit, einen Pinsel hat Keira schon in der Hand. Los geht's. Mit Gold natürlich. Der Kopf bekommt glänzende Haare und die Augen malt sie golden. Ein Fantasiewesen? Eine Prinzessin? "Nein, nein", sagt Keira, "in Afrika habe ich eine Frau gesehen, die war ganz in Gold". Fest steht für sie auch schon, dass die Hose der Holzfrau auf jeden Fall rot werden soll.

Nicht nur Keiras Figur, sondern viele weitere Menschen aus Holz liegen auf Tischen im Saal des Kulturhauses Milbertshofen. Manche nur weiß grundiert, manche schon bunt bemalt. Der Fußboden ist mit dünnem Malervlies ausgelegt, damit er keine Farbspritzer abbekommt. Viele sind zum letzten von drei Workshops gekommen, um den Figurinen ganz nach eigenen Vorstellungen Gesichter zu verleihen, sie in Farbe zu tauchen, mit Schmuck zu behängen oder gar mit Schuhen oder Schallplatten. 27 Milbertshofener - jung und alt, mit Migrationshintergrund und ohne - machen mit, um das Projekt "Zusammenkommen" zu verwirklichen. Am Ende wird eine bunte Menschenkette entstehen, die dann bei der Vernissage am 25. November zu sehen ist. Aus diesem Grund hat Künstler Walter Kuhn, der das Projekt betreut, die Holzfiguren so entworfen, dass sie die Arme freudig ausstrecken und sich - stellt man sie nebeneinander - an den Händen berühren. 43 Figurinen hat er aus Holzplatten aussägen lassen.

Das Einfache wirken lassen, indem man es dupliziert, also immer und immer wieder wiederholt, das ist ein künstlerischer Ansatz, dem Kuhn schon Jahre folgt. "Ein einzelnes Stück", sagt er, "ist eben unwichtig. Aber in der Gesamtheit wird es sehr wichtig." Und vor allem wirksam. Viele seiner Kunstprojekte beschäftigen sich mit dem Figurativen. So kletterten in einem Projekt in Frankreich bunte Figuren einen 25 Meter hohen Turm nach oben, oder Schafe aus Holz weideten auf den Wiesen des Münchner Olympiaparks. Die Wirklichkeit wird verfremdet oder vorgetäuscht. Etwas, das ganz natürlich sein könnte, wird künstlich. Und am Ende wieder Wirklichkeit, weil sich die Figuren in das Alltägliche mischen. Das sollen auch die Milbertshofener Figuren tun. Nach der Ausstellung werden die Holz-Menschen an vielen Orten im Viertel zu sehen sein: in Schaufenstern, an Gartenzäunen, an Fassaden oder Balkonen. Drei blaue Figuren an der Fassade des Kulturhauses sind schon mal die Vorreiter.

"Ich finde diese Idee einfach schön", sagt Gabi Demmel vom Künstlernetzwerk und blickt auf ihre "Zentangle-Frau". So nennt sie ihre Figur, die sie in der besonderen Zeichentechnik mit unzähligen strukturierten Mustern versehen hat. Jetzt füllt sie die Zwischenräume mit Farbe. Ganz vorsichtig und konzentriert. Zusammenkommen heißt an diesen Workshop-Tagen wohl auch, miteinander konzentriert zu arbeiten, sich leise auszutauschen und einem gemeinsamen Thema Raum zu geben. "Dieses Vertieftsein, dieses Arbeiten an einem Thema, das miteinander verbindet, so empfindet es Demmel, seien die "schönsten Momente". Und die Gespräche.

Auch die fünfzehnjährige Jessica Beiner-Coello ist konzentriert dabei. Ihre Figur - ein Mensch, der aus den Wurzeln eines Baumes erwächst und über und über mit bunten Schmetterlingen verziert ist - soll die Einheit des Menschen mit der Natur beschwören. "Schöne Orte auf der Welt müssen einfach bewahrt werden", sagt Jessica. Dann übermalt sie das eine Bein plötzlich wieder weiß. "Eine neue Idee", sagt sie und drückt den Pinsel ins Holz. Die faserige Maserung frisst viel Farbe. Neben Jessica bemalt ihre Mutter eine Figurine. Sie kommt aus Ecuador und lebt seit dem Jahr 2000 in Milbertshofen. Sie hat ihre weibliche Figur längs zweigeteilt. Die eine Hälfte trägt ein Dirndl, die andere die Tracht aus ihrer Heimet. "Ich habe eben zwei Heimaten", sagt sie, und sie sei "glücklich darüber".

Keira ist übrigens auch begeistert. Beim Pinsel auswaschen entdeckt sie nämlich, wie das viele Gold das Wasser magisch werden lässt. "Guckt mal", ruft sie, "Glitzerwasser!" Immer und immer wieder rührt sie mit dem Pinsel im Wasser herum und staunt, wie die Pigmente im Glas schimmern. Das Gesicht ihrer Figur ist mittlerweile eine einzige goldene Fläche. Denn sie hat die Augen einfach gleich ganz übermalt. Fertig werden an diesem Abend nicht alle "Zusammengekommenen". Sie klemmen dann eben ihre Holzmenschen unter den Arm und machen Zuhause weiter.

Ob kleine oder große Figuren, fertig oder noch im Werden - schon jetzt ist sichtbar, was die Figuren am Ende sind: Botschafter. Für Gefühle, für Erlebtes und eine gemeinsam erlebte Zeit.

"Zusammenkommen": Vernissage am Freitag, 25. November, 19 Uhr, Kulturhaus Milbertshofen, Curt-Mezger-Platz 1. Informationen: 3506 36 39 oder www.kulturhaus-milbertshofen.de.

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