München bewegt sich:Wie München mein Zuhause wurde

München: Au-Haidhausen, Schmuckfoto, Symbolfoto: Regenbogentunnel an der Isar, Radfahrer.

Und dann ist plötzlich der Regenbogen da, dort, wo man es am wenigsten erwartet. Wie hier in einem Fahrradtunnel an der Isar.

(Foto: Stefanie Preuin)

Unsere Autorin zog vor eineinhalb Jahren von Dresden nach München. Woran merkt man, dass der neue Ort wirklich zum Zuhause geworden ist? Über das Heimischwerden in München.

Von Anna Hoben

Es war Sommer, an einer Bushaltestelle im Münchner Osten standen zwei Typen, ungefähr Mitte 20, der eine trug einen Sechserpack Bier. "Ist dir Freiburg eigentlich nicht zu klein?", fragte er den anderen, der offenbar zu Besuch in der Stadt war. "Nö", sagte der, er fände, dass Freiburg genau die richtige Größe habe. Der erste ließ nicht locker. "Könnte aber schon ein bisschen größer sein, oder?" Dann hielt der Bus, und die beiden stiegen ein.

Mit einer Stadt ist es wie mit einer Beziehung. Es hat wenig Sinn, den Partner grundsätzlich ändern zu wollen. Trotzdem hört man von Städtern oft, dass sie "niemals" in Stadt X oder Y oder Z leben könnten. Es sei ihnen dort wahlweise zu dreckig, zu sauber, zu provinziell oder zu hip. Dass es genau die eine Stadt gibt, die zu einem passt, diese Vorstellung passt wiederum sehr in eine Zeit, in der viele nur glauben, total individuell zu sein. Ist es in Wirklichkeit nicht eher so, dass der Zufall eine große Rolle dabei spielt, wohin es einen verschlägt? Der Zufall, also: das Leben, der Job, die Liebe? Man zieht nach Freiburg. Nach Berlin. Oder nach München.

U-Bahn-Fahrer schaffen es, einen mit ihren Sprüchen aus dem Januarblues zu holen

Auch wenn immer wieder darüber geklagt wird, dass, grob gesagt, München nicht Berlin ist (zu sehr Dorf, zu viel Schickimicki, zu wenig kreative Freiräume), kann man nicht behaupten, dass München ein Akzeptanzproblem hätte. Im Gegenteil, alle wollen nach München. Oder jedenfalls sehr viele. Zieht man von Dresden nach München, wie die Autorin dieses Textes vor einem Jahr und vier Monaten, heißt das, dass man von einer schönen Stadt in eine andere schöne Stadt zieht. Beide Städte wissen um ihre Schönheit und unterscheiden sich doch in ihrem Selbstverständnis. Über Dresden hat Umberto Eco einmal geschrieben: "Die Dresdner fragen einen gar nicht, ob einem die Stadt gefällt. Sie sagen es einem." Was ihn auf den Gedanken brachte, Städte in zwei Kategorien einzuteilen: die selbstsicheren und die anderen.

Die Selbstsicherheit Dresdens ist in den vergangenen Jahren durch die Pegida-Bewegung angekratzt worden. Die Selbstsicherheit Münchens wirkt dagegen stabiler, weniger erschütterbar. Die Münchner fragen einen ebenfalls nicht, ob einem die Stadt gefällt. Aber sie sagen es einem auch nicht. Sie wissen es. Mittlerweile wünschen sich sogar viele, die Stadt würde den Menschen zumindest nicht so sehr gefallen, dass sie herziehen wollen.

Es soll hier nicht zum tausendsten Mal um den Irrwitz der Wohnungssuche gehen; spätestens nachdem man zum ersten Mal "Monaco Franze" gesehen hat, weiß man, dass das ein alter Hut ist, dass es schon vor 35 Jahren 200 Bewerber auf eine Wohnung gegeben hat. Das Praktische an der Wohnungsnot ist, dass man immer ein Gesprächsthema hat. "Hast du eine Wohnung gefunden?" So beginnt jedes Gespräch, in dem man sich als neu zugezogen outet.

Es soll auch nicht um den Kulturschock beim ersten Oktoberfest gehen, um das obligatorische Reservieren in dieser boomenden Stadt, wenn man einen Platz im Restaurant oder in der Bar bekommen will, oder um Menschenschlangen vor dem Bürgerbüro. Es soll um die Frage gehen, wie man sich eine neue Stadt aneignet. Wie kommt man an in München?

Zunächst mit einem Umzugswagen, aus dem man Kiste für Kiste herauswuchtet, die man mithilfe einer Menschenkette aus Freunden ohne Aufzug in den vierten Stock befördert. Nach den ersten Tagen zwischen Kistenauspacken und Jobbeginn fängt man an, die Stadt, die man von vielen Wochenendbesuchen kennt, genauer zu betrachten. Zu charakterisieren, zu überlegen, wie man sie eigentlich wirklich findet. Man lernt eine Stadt schließlich anders kennen, wenn man sie bewohnt, als wenn man zu Besuch ist. Man legt Vorurteile und romantische Vorstellungen ab und ersetzt sie durch Erfahrungen. Vor allem lernt man, sich zurechtzufinden. Denn ein Umzug von Dresden nach München bedeutet auch: Die Stadt, in der man nun lebt, ist dreimal so groß. Man fährt nun in erster Linie unter der Erde von A nach B.

Die Stadt, in der man lebt, bestimmt ganz erheblich das eigene Lebensgefühl mit. Nicht nur die Architektur, nicht nur Straßenzüge und Gebäude, Grünflächen und Parks, sondern vor allem die Menschen, die in ihr leben. Die Gelassenheit, die Lebensfreude, die Neugier der Münchner. Gelegentlich ein Hang zur genüsslichen Schwarzmalerei. Die S-Bahn war zum zweiten Mal in dieser Woche verspätet? In dieser Stadt funktioniert aber auch gar nichts!

Nach einer Weile stellt man fest, dass es immer die gleichen Menschen sind, die man trifft auf seinen Wegen. In der S-Bahn, beim Bäcker, im neuen Lieblingsimbiss, in der Bar, von der man eines Tages feierlich denkt: Das könnte die neue Stammbar sein. Vor allem diese Leute, denen man nur flüchtig begegnet, tragen viel zu dem Bild bei, das man sich macht von der Stadt. Die U-Bahn-Fahrer, die es schaffen, einen mit ihren Sprüchen aus dem Januarblues herausholen. Der Mann, der jeden Morgen in der gleichen Bahn sitzt, immer freundlich grüßt und eine Haltestelle früher aussteigt als man selbst. Mit der Zeit glaubt man, einem guten Bekannten zuzunicken. In Wirklichkeit weiß man natürlich gar nichts über ihn.

An manchen Tagen kommt einem die U-Bahn vor wie ein unterirdisches Wohnzimmer für zehn Minuten. Die Mitfahrer passen aufeinander auf, jeder findet noch ein paar Quadratzentimeter. Menschen in der Großstadt, das lernt man in München, können gut mit wenig Raum umgehen.

Es gibt aber auch andere Tage: jene, an denen man sich erdrückt fühlt von zu viel Nähe zu fremden Menschen, an denen man das Handygespräch über die beste Firmenstrategie nicht auch noch mit anhören möchte. Tage, an denen man am liebsten auf die U-Bahn verzichten würde.

Wenn man nicht gerade zur Arbeit fahren muss oder bei der Arbeit ist, kann man das ja auch. Es gibt kaum etwas Besseres, als sich eine Stadt im Gehen zu erschließen, egal ob im Sommer oder im Winter. Lange Spaziergänge durch das eigene und die umliegenden Viertel, dabei immer wieder neue Wege einschlagen, sich überraschen lassen. Oder irgendeinen Bus nehmen, an einer beliebigen Haltestelle aussteigen und sich dort umschauen. Kleine Reisen in der eigenen Stadt, abseits von Isar und Englischem Garten, lassen einen seinen Wohnort neu entdecken.

Wann man wirklich heimisch geworden ist, merkt man oft an Kleinigkeiten. Vielleicht hat es auch mit der Verkäuferin in der Stammbäckerei zu tun, die so streng schaut. In puncto Semmeln hat man sich beim Einkauf nicht umstellen müssen, so heißen Brötchen in Dresden auch. Als man also seit über einem Jahr dort einkauft, fehlen zum Bezahlen einmal ein paar Euro. "Dann zahlen Sie beim nächsten Mal", sagt die strenge Verkäuferin, ohne mit der Wimper zu zucken. Man ist verdutzt. Und weiß im nächsten Moment, dass man angekommen ist.

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