München-Besuch:"Ich bin Fan von Putin - er macht unser Land mächtiger"

Offiziell leben nur 5237 russische Staatsbürger in München - doch das ist genug für eine Miss Russia-Wahl.

Astrid Becker, Anne Goebel und Claudia Wessel

"Sie achten mehr auf ihr Äußeres." "Sie sind etwas femininer, nicht ganz so emanzipiert, dafür weiblicher." Auf jeden Fall aber, darüber herrschte Einigkeit an jenem Abend im Mai 2004 in der russischen Diskothek "Kalinka", seien die Osteuropäerinnen schöner als die deutschen Frauen. Deshalb wurde auch zum ersten Mal die "schönste Russin Münchens" gekürt. Damals wurde es die 24-jährige Helena Schwarzkopf.

München-Besuch: Natascha Schmidt kauft in den russischen Läden nicht nur Spezialitäten wie Dorschleber ein - es wird hier auch über Politik debattiert.

Natascha Schmidt kauft in den russischen Läden nicht nur Spezialitäten wie Dorschleber ein - es wird hier auch über Politik debattiert.

(Foto: Foto: SZ/Hess)

Auch heuer, bei der dritten Wahl dieser Art, warten viele schöne junge Russinnen auf den großen Tag. Am Samstag kommender Woche werden Ekaterina, Olga, Olechka, Larisa, Julia, Alina, Ljuba, Alexa und Marina im Kleid und im Badeanzug im "Kalinka" über den Laufsteg schreiten. Schon jetzt kann man sie auf der Homepage bewundern und bereits abstimmen.

Die Marktlücke der "schönsten Russin" hat Sergej Schwindt entdeckt, der die "natürlichere, ursprünglichere Schönheit" der "oft wie Dorfmädchen" wirkenden Mädels lobt. Rüdiger Runge, Betreiber des "Kalinka" und selbst in eine Russin verliebt, war sofort dabei.

Küche, Kinder, Studium

Doch Schönheit allein ist es nicht, was die russische Frau "so stark macht", wie Natascha Schmidt meint. "Sie muss sehr gut kochen können, Kinder kriegen und studiert haben." 80 Prozent der Frauen in ihrer Heimat Moskau hätten die Universität besucht: "Das gehört zum guten Ton", erzählt sie. Eine Frau, die nicht über all diese Attribute verfügt, gelte sogar unter ihren Geschlechtsgenossinnen als "arm".

Soweit Natascha Schmidt. Sie ist vor fünf Jahren nach München gekommen, weil sie einen deutschen Mann geheiratet hat. Sie ist eine von 5237 russischen Staatsbürgern, die nach Angaben des Kreisverwaltungsreferats in München leben.

Das Konsulat - auch für die Pflege wirtschaftlicher Beziehungen zuständig - ist in einem modernen Bau an der Seidlstraße untergebracht, oft sieht man dort schon morgens die Menschen Schlange stehen: Ein Visum für Reisen in die Heimat zu bekommen, ist immer noch ziemlich aufwändig.

Religion war verboten

Wenngleich sich in der Ära Wladimir Putin vieles erleichtert hat: Die einstige Pflicht, bei der Antragstellung eine Einladung vorzulegen, ist entfallen. Und auch sonst, so Schmidt, sei "alles viel offener geworden." Da sei zum Beispiel die Sache mit der Religion.

"Wenn ein Kind früher nachgefragt hat, ob Gott wirklich nicht existiert, haben die Mütter strikt mit nein geantwortet - auch wenn sie selbst anders darüber dachten. Religion war ja verboten." Wie viele ihrer Landleute pflegt auch sie heute die Nähe zur Kirche. So feiert die orthodoxe Christi-Auferstehungs-Gemeinde mit ihrem Priester Nikolai Zabelitch ihre Gottesdienste im Kolpinghaus.

Aber auch in der Israelitischen Kultusgemeinde sind die Gläubigen aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion stark vertreten: Viele der etwa 9300 Gemeindemitglieder sind Zuwanderer aus der früheren UdSSR. Auch sonst stehen die in München lebenden Russen in engem Kontakt zueinander.

Ein enges Netzwerk

Ihre kulturellen Treffpunkte sind neben der Tolstoi-Bibliothek in der Thierschstraße die Hand voll kleiner Läden in der Stadt, die neben süßsauer eingelegten Tomaten, getrockneten Salzfischen oder Dorschleber Reisen in die Heimat vermitteln, die neuesten russischen Kinofilme oder klassische Literatur verleihen, Eintrittskarten für russische Theaterstücke verkaufen oder kostenlos in München verlegte Wochenzeitungen in russischer Sprache bereithalten.

Wie im "Wolga" in der Mozartstraße oder im "Russische Spezialitäten"-Geschäft in der Humboldtstraße. Hier wird nicht nur eingekauft, hier wird philosophiert - über Politik ebenso wie über Kochrezepte oder die russische Wirtschaft.

"Ich bin Fan von Putin", sagt die auf Export spezialisierte Wahl-Starnbergerin und aus der Nähe von Moskau stammende Olga von Khaelsberg: "Mit ihm konnten wir alle unsere Schulden begleichen. Jetzt wird unser Land immer reicher und damit auch mächtiger."

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die Frau, die seit 15 Jahren in Deutschland lebt, Recht behalten könnte: Schon jetzt ist Russland für bayerische Unternehmen nach den USA und China der drittwichtigste Wirtschaftspartner außerhalb der EU. Bis Jahresende wird der bayerisch-russische Außenhandel ein neues Rekordniveau von mehr als acht Milliarden Euro erreichen.

Mehr Russen in Berlin

In München freilich sind russische Investoren und Geschäftsleute weiterhin eine Ausnahme, vor allem im Vergleich zu Berlin. Auch als Aufkäufer von Immobilien - eine beliebte neurussische Form der Geldanlage im Westen - treten sie hier nur begrenzt in Erscheinung. Dies liegt wohl vor allem daran, dass zu München wenig historisch gewachsene Kontakte bestehen.

Doch Putin wird nicht nur gelobt: "Früher war alles geordneter, es gab weniger Kriminalität und weniger Neid in unserem Land" - eine Aussage, die vielerorts zu hören ist, und die, wie Natascha Schmidt meint, typisch sei für die Mentalität ihres Volkes: "Wir haben mit dem Regime gelernt, die Dinge nicht nur von einer Seite zu betrachten."

Wer in München nach der vielzitierten russischen Seele sucht, kommt ihr in der Schellingstraße ziemlich nahe. Im fünften Stock eines Sechziger-Jahre-Baus lebt Tatjana Lukina - mit hunderten Mitbewohnern: Ihre Regale ächzen unter tonnenweise russischer Literatur.

Jedenfalls spricht Tatjana Lukina in einer Art von ihrer Bibliothek, die das nahe legt. "Mein Bulgakov", "mein Bunin", vor allem: "Unser geliebter Puschkin". Die Theaterwissenschaftlerin ist Gründerin und Vorsitzende des russischen Kulturvereins "Mir", seit 15 Jahren organisiert sie Lesungen, Theaterabende, Konzerte. Insofern sind die Dichter von Berufs wegen ihre Leidenschaft.

"Die russische Seele besteht aus ewiger Hoffnung"

Aus der Vehemenz, mit der Tatjana Lukina über ihre poetischen Landsleute redet, spricht aber weit mehr als Profession, oft geht es in ihren sympathischen Wortkaskaden um: die russische Seele. "Es geht um Hoffnung", sagt sie, "die russische Seele besteht aus ewiger Hoffnung."

In der wöchentlichen "Mir"-Sprechstunde leisten Tatjanas Mitarbeiter übrigens Hilfe über die Kultur-Betreuung hinaus. Viele Russen finden hier Unterstützung, wenn sie Probleme mit Ämtern, Formularen, Gepflogenheiten ihrer neuen Heimat haben. Tatjana sagt: "Oft findet mein Volk die Deutschen etwas kühl."

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