München:Bedrohte Störenfriede

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Weil die Zahl der Insekten massiv zurückgeht, fordern Naturschützer ein Umdenken

Von Bernhard Lohr, München

Sie sind laut und können nerven. Wenn jetzt im Herbst Gartenbesitzer ihre Laubbläser und Laubsauger anwerfen, dann fragen sich viele: Muss das sein? Für ungezählte Kleinlebewesen machen diese Geräte den Laubhaufen, in dem sie Schutz suchen und überwintern wollen, sogar zur tödlichen Falle. Insekten und Spinnen werden in Saugrohren und Häckslern zerrissen und zerstückelt. Dass das, neben vielem anderem natürlich, ein Problem sein könnte, hat nun schlaglichtartig eine Studie gezeigt, die belegt, dass in Teilen Deutschlands die Zahl der Fluginsekten um 75 Prozent zurückgegangen ist.

Es ist jedenfalls eine Beobachtung, die Insektenkundler, Imker und interessierte Laien auch für die Stadt und den Landkreis München bestätigen. Dabei bleibt jemandem wie Markus Bräu, der als Entomologe den Heideflächenverein berät, zunächst auch erst einmal die eigene Beobachtung. Alle ihm bekannten Entomologen registrierten diesen Rückgang an Insekten auch im Raum München. Imker Alexander Möller, Vorsitzender des Kreisverbands der Imker München Stadt und Land, pflichtet da schlicht bei: "Ich glaube das auch", sagt er.

Die Studie niederländischer Wissenschaftler sieht in einer ganzen Reihe möglicher Ursachen die Landwirtschaft und deren Einsatz von Pestiziden an erster Stelle. Im boomenden Raum München werden zudem Flächen im großen Stil versiegelt und viele Gärtner machen Dinge, die sie zum Wohl der Artenvielfalt vielleicht besser lassen sollten. Insektenkundler Bräu glaubt an einen Mix an Gründen. Er ist sich mit Imker Alexander Möller einig darin, dass es Insekten in der Stadt sogar noch besser haben als auf dem Land. Sie fänden in der Stadt mehr Nahrung als draußen, sagt Möller. Wenn an Ackerrändern nichts mehr blüht, weniger Raps angebaut und auf Zwischenkulturen wie Klee verzichtet wird, hungern die Bienen.

Dabei ist gerade das Münchner Umland mit den Isarauen und den Heideflächen eine über Jahrtausende entstandene Kulturlandschaft, in der viele Insektenarten heimisch sind. Seltene Käfer leben in Steilhangbereichen oder an Bachquellen. In lichten Kiefernwälder wie dem Berglwald in Oberschleißheim fühlen sich der Gelblingfalter und etliche Perlmuttfalter wohl. Der kiesige, kalkreiche Schotterboden bietet einen idealen Lebensraum für viele Pflanzen und Insekten. Bräu schwärmt, wenn er beschreibt, was für seltene Arten hier heimisch sind. 174 Wildbienen- und 69 Tagfalterarten seien seit dem Jahr 2000 alleine für die Stadt gesichert.

Dennoch ist die Zahl der heimischen Insekten rückläufig; kein Trost ist Bräu dabei, dass die Artenvielfalt insgesamt sogar steigt. Denn die Tatsache, dass viele Arten aus südlichen, wärmeren Regionen heute im Raum München zu finden sind, ist für ihn nur ein weiterer Beleg für den Klimawandel, den er für viele Probleme verantwortlich macht. Selbst wenn Insekten allen Laubbläsern zum Trotz im Laub bleiben und dort überwintern könnten, kann es durchaus passieren, dass die Bestände durch einen Pilz befallen werden und so kaputt gehen.

Aber es wächst auch ein Bewusstsein, dass Insekten nicht nur lästige Störenfriede sind, um die es nicht schade ist. Verbände wie der Landesbund für Vogelschutz (LBV) weisen darauf hin, dass zwischen 1998 und 2008 die Zahl der Brutpaare an Vögeln in Bayern um 15 Prozent zurückgegangen sei. Viel weniger Stare, Haussperlinge, Wintergoldhähnchen und Buchfinken würden beobachtet.

Auch Imker wie Alexander Möller und Jörg Lämmer, der mit seinem Verein in Oberschleißheim einen Lehrbienenstand betreibt, versuchen komplizierte Zusammenhänge in der Natur den Menschen zu vermitteln. Das Interesse an der Imkerei sei groß, sagt Lämmer. Viele schauten gar nicht auf die Honigproduktion, sondern sagten: "Ich will etwas für die Umwelt tun." Das Beste ist oft, nichts zu tun. Die nährstoffarmen Böden der Schotterebene sind ein Geschenk. Es ist wichtig, gezielt Wiesen zu schaffen, auf denen es blüht, damit Käfer, Hummeln und Schmetterlinge Nahrung finden.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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