München:Aufwachsen auf der Straße

Flüchtlinge am Busbahnhof in München, 2015

Etwa 550 Menschen sollen in München auf der Straße schlafen.

(Foto: Florian Peljak)

Mehr als 1600 Minderjährige leben in Haushalten wohnungsloser Eltern. Eine Studie soll jetzt klären, wie viele Menschen tatsächlich ohne Obdach sind

Von Thomas Anlauf

Als Miriam Z. nach vielen Jahren im Ausland wieder in ihre Geburtsstadt München zurückkehrt, ist sie eine Fremde in der alten Heimat. Die junge Frau hat hier keine Bekannten mehr, bei denen sie fürs Erste unterkommen könnte. Geld hat sie auch keines, zuletzt hatte sie in Paris sogar in Parks schlafen müssen. München war der letzte Ausweg. Doch auch hier findet die 24-Jährige zunächst keinen Halt. Sie schläft mal in der Bahnhofsmission, im Winter im Kälteschutz der Stadt. Sie zählt zu den vielen Tausend jungen Obdachlosen in Deutschland. Wie viele es sind, weiß niemand genau. Eine aktuelle Studie des Deutschen Jugendinstituts ist jedoch alarmierend: Demnach sind in Deutschland etwa 37 000 junge Menschen unter 27 Jahren ohne festen Wohnsitz, 7400 sind noch minderjährig.

Die Befragung des Deutschen Jugendinstituts unter 300 Fachleuten und Betreuern in ganz Deutschland und 300 jungen obdach- oder wohnungslosen Menschen in Berlin, Hamburg und Köln ergab lediglich eine Schätzung. Dabei zeigte sich, dass die meisten jungen Leute, die auf der Straße landen, 16 Jahre oder älter sind. Die größte Gruppe ist die der 18-Jährigen, hat die Projektleiterin der Studie "Straßenjugendliche in Deutschland - eine Erhebung zum Ausmaß des Problems", Carolin Hoch, herausgefunden. Mit 18 endet offiziell die Zuständigkeit des Jugendamts - das ist auch in München so.

Verlässliche Zahlen hat das Sozialreferat nur für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die akut wohnungslos sind. Die hohe Zahl klingt besorgniserregend: Im Februar lebten demnach 1635 Minderjährige in Beherbergungsbetrieben, Notquartieren und Clearinghäusern (BNC). In der Zahl sind noch nicht die Kinder und Jugendlichen enthalten, die in Einrichtungen der Verbände zur Sofortunterbringung leben. Nach den jüngsten Erhebungen des Sozialreferats leben derzeit 840 Familien mit Kindern in den BNC-Einrichtungen der Stadt. Die meisten Kinder sind unter 15 Jahren: 47 Prozent oder 746 Kinder sind maximal sechs Jahre alt, 39 Prozent oder 643 sind Sieben- bis 14-Jährige.

In den vergangenen Jahren hat sich die Gesamtzahl der akut wohnungslosen Menschen in München mehr als verdoppelt: Waren es im Jahr 2011 erst 2438, die in BNC-Unterkünften lebten, sind es derzeit 5090 Menschen in Notsituationen. Dabei ist gar nicht genau bekannt, wie viele Menschen in München gar kein Dach über dem Kopf haben und unter Brücken, in Parks oder in manchmal selbst gezimmerten Baracken am Rand der Stadt hausen. Das Sozialreferat schätzt, dass es sich um etwa 550 Obdachlose handelt - doch die Zahl könnte auch deutlich höher liegen. Denn aktuelle Untersuchungen dazu gibt es nicht. Das soll sich nun ändern.

Voraussichtlich im Mai will sich Sozialreferentin Dorothee Schiwy eine Studie vom Stadtrat genehmigen lassen, die untersuchen soll, wie viele Menschen wirklich zeitweise oder dauerhaft auf der Straße leben. Denn seit 1. Januar 2014, seit die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänien und Bulgarien gilt, dürften deutlich mehr Menschen vor allem aus den beiden Balkanstaaten in München ohne festen Wohnsitz leben. Darunter könnten sich auch einige Jugendliche oder junge Erwachsene befinden, die hier versuchen, etwas Geld zu verdienen. "Es sind wohl tatsächlich am ehesten einige junge Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die in München obdachlos sind", sagt Christof Lochner, stellvertretender Leiter der Streetworker-Stelle "Teestube komm". Eine regelrechte Szene von obdachlosen Jugendlichen haben die Streetworker, die zum Evangelischen Hilfswerk der Inneren Mission gehören, nicht beobachtet. Zwar seien tagsüber rund um den Hauptbahnhof Jugendliche anzutreffen, "aber die meisten gehen dann wohl abends in ihre Unterkünfte oder Wohnheime", sagt Lochner.

Die Studie könnte kompliziert werden. Die Zahl derer, die vor allem aus Südosteuropa kommen, schwankt jahreszeitlich. Im Sommer sind es nach Schätzungen etwa 500 Menschen, die versuchen, kurzfristig Jobs zu bekommen, im Winter und über den Jahreswechsel sind es deutlich weniger. Aufschluss über die Zahl junger Arbeitsmigranten könnte möglicherweise auch die Agentur für Arbeit geben. Sie arbeitet mittlerweile mit dem "Infozentrum Migration und Arbeit" der Arbeiterwohlfahrt zusammen. In dem Beratungscafé an der Sonnenstraße, das im Herbst 2015 für Tagelöhner eingerichtet wurde, sind nun auch regelmäßig Mitarbeiter der Arbeitsagentur, um den Migranten zu regulären Jobs zu verhelfen, auch jungen Obdachlosen.

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