München:Ambitioniertes Allerlei

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Je nach Tageszeit wechselt in der Brasserie Schwabing die Atmosphäre - die Qualität des Essens schwankt

Von Carolus Hecht

Am Kurfürstenplatz in Schwabing kreuzen sich so viele Lebenslinien dieser seltsamen Stadtwelt. Hier ein Lokal zu betreiben, kann allein schon als Garantie für reichlich zahlungskräftiges, flüchtiges wie sesshaftes Publikum gelten. Der Platz schien irgendwie unbehaust, solange die Lokalität, in der nun die Brasserie Schwabing den Spagat zwischen Speisehaus, Café und Bar wagt, umgebaut wurde. Als wäre dem Schutt ein gewaltiger weißer Phönix entstiegen, dominieren eine geflügelte Skulptur das tagsüber helle neue Innere des Ecklokals, sowie Glaslinsen als Beleuchtungs-Ufos, groß wie Kinderpools. Reproduktionen von Toulouse-Lautrec und Renoir verschwimmen im Laufe des Abends im Dämmerlicht. Das Lokal wirkt dann wie eine Bar-Höhle.

Hauptsächlich verbreitet eine muntere Schar freundlicher Bedienungen die angenehme Grundatmosphäre. Wäre nicht die laute Hintergrundbeschallung - ein ganztägiges Elend - könnte man diesen Versuch tageszeitlich wechselnder Lokalcharaktere für gelungen halten. Einer Videoinstallation gleich kreist dazu die Trambahn unablässig vor den Riesenfenstern und umkurvt draußen die vielen Trottoirtische. Die Belüftung, die manchmal schwallweise Fischgeruch oder anderes durchs Lokal treibt, wird man wohl noch in den Griff bekommen.

Bartechnisch schien uns alles am besten gelungen, lappt doch deren größte Tugend ins Speisehaus über: der Wein. Die Flaschenkarte ist originell sortiert. Zwar von in München üblich unverschämten Preisen von sechs bis acht Euro fürs 0,2-Glas, präsentieren sich anderthalb Dutzend wechselnde offene Sorten respektabler Herkunft, wobei uns die Franzosen - ein delikater Muscadet von der Loire etwa - am besten gefielen. Selbst der Moselriesling ist einigermaßen trocken, beim Roten sei der portugiesische Colheite Tinto "A Descoberta" hervorgehoben. Nur der Rosé vom Nero d'Avola: Sizilien hat zwar überraschend den Rosé entdeckt, aber ohne ihm Delikatesse mitzugeben, was bislang generell gilt.

Der mit einem werktäglichen Mittagsmenü ergänzte Speisenkanon irritiert im Widersprüchlichen. Die obligatorischen Appetitanreger - etwa Frischkäse mit karamellisiertem Speck, Linsen und Wurzelgemüse oder mild-sauer eingelegte Sardellen - mundeten trefflich, so man sie bekam. Denn Amuse Gueules oder Brot blieben manchmal aus, was wohl weniger dem sympathischen Personal denn einem seltsam komplizierten internen Bedienungssystem geschuldet ist. Fast immer lecker waren die Suppen: Sellerie, Grießnockerl, geräucherte Kartoffelsuppe mit Kalbspraline und Wachtelei. Die Bauernenten-Consommé mit Schweinskinn und Chili geriet allerdings viel zu fett. Die Letzteren kennzeichnen den unguten Hang, Gerichte weit zu überfrachten, als strebten die Prinzipale und der aus dem Dunstkreis des Schuhbeck-Imperiums stammende Chefkoch nach Originalität um jeden Preis.

Leckere Suppen, eine Atmosphäre, die sich je nach Beleuchtung ändert, und ein guter Service zeichnen die Brasserie Schwabing aus. (Foto: Robert Haas)

Um jeden Preis? Das Milchkalb mit Morcheln und Erbsenpüree war in seinem zarten Flor die stolzen 32 Euro wahrhaft wert. Tadellos die Kalbsleber (19 Euro). Die 16 Euro für Großmutters Gulasch waren rausgeschmissen Geld angesichts der Dörrfleischtrümmer in einer zwar akzeptablen Soße, die das Wichtigste beim Gulasch ist. Doch gab es nichts zum Auftunken, nicht einmal schlichte Kartoffeln. Statt dessen reicht man in der Brasserie Schnittlauchbrote, geschmacklich passend, aber nichts für die Soße. Immerhin gab es extra einen Löffel, damit sie nicht ganz überbleiben muss. Kartoffelsalat ist als häufige Beilage extrem zitronensauer, was Carolus erfrischend fand, andere Gäste aber für recht befremdlich hielten. Einmal mussten wir die Kalbfleischpflanzl wegen unergründlicher Geschmacksirritationen zurückgehen lassen.

Der gelungene Sud der gemüselastigen Bouillabaisse (16 Euro) erblasste vor dem Gummifisch darin. Anderntags gelang der gebratene Kabeljau (16 Euro) tadellos. Die gebratene Makrele (statt des Thunfischs) wurde im kalten Bett des Salade niçoise tranig. Scampi in die Spaghetti Aglio Olio zu mengen und den großblättrig geschnittenen Parmesan mit in die Soßenpfanne zu hauen, ist schier abwegig. Genauso wie die marinierte Gänseleber mit Butterkeks und Gänseleber. Früher gab es zu Hause den "Kalten Hund" - das sind Butterkekse, geschichtet mit Palmin und Blockschokolade. Mit Verlaub, die Assoziation war eben diese und die Gänsestopfleber ging geschmacklich unter - ein guter Koch benötigt sie sowieso nicht, nicht nur aus ethischen Gründen. Beim Boudin, der gebratenen Blutwurst mit Kartoffeln, Zwiebeln und Apfel, ließ uns dann aber der köstlich deftige Zusammenstand die seltsame Bezeichnung "Budar" vergessen. Am Ende versüßten zweierlei Crème Brulée und die Tarte Tatin nochmals den Gesamteindruck, wobei bei Letzterer Puristen den Blätterteig bekritteln könnten.

Unentschieden, ob man mehr irritiert oder animiert sein sollte von dieser Örtlichkeit, wünschte sich der Gast: Weniger geblähte Ambition, mehr gediegenes Handwerk.

© SZ vom 30.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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