München:Am Ende verlieren alle

München: Platz für drei, aber nur gleichzeitig: 2011 gaben BR-Symphonieorchester, Philharmoniker und Staatsorchester ein Benefiz-Konzert in der Philharmonie.

Platz für drei, aber nur gleichzeitig: 2011 gaben BR-Symphonieorchester, Philharmoniker und Staatsorchester ein Benefiz-Konzert in der Philharmonie.

(Foto: Stefan Prager/imago)

Gutachter raten vom Gasteig-Plan ab, weil die Lage für Orchester und Zuhörer schlechter werden würde

Von Christian Krügel

Die Begeisterung bei Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) über diese Idee war Anfang Februar groß: Freistaat und Stadt könnten ja gemeinsam die Philharmonie am Gasteig umbauen, das BR-Symphonieorchester (BRSO) und die Münchner Philharmoniker sich den Saal dann teilen und ab und zu in den Herkulessaal ausweichen. Einen weiteren, neuen Konzertsaal könnte man sich somit sparen. So groß die Empörung in der Musikszene über diese Idee war, so zuversichtlich waren die politisch Verantwortlichen. Eine Arbeitsgruppe mit den Orchestern sollte die Details, ein Gutachten die technische Machbarkeit überprüfen. Und insgeheim rechnete jeder damit, dass die Gutachter dem politischen Wunsch schon folgen würden.

Doch ausgerechnet diese von Stadt und Freistaat in Auftrag gegebene Expertise kommt nun zu dem Schluss, dass man die "Zwillingslösung", die Horst Seehofer so interessant fand, partout nicht anstreben sollte. "Eine Umsetzung ist grundsätzlich realisierbar, sie ist allerdings für die Orchester mit erheblichen finanziellen und qualitativen Konsequenzen verbunden", heißt es in der Management-Zusammenfassung der Expertise, die von der Unternehmensberatung Actori angefertigt wurde. Und: "Actori kann daher zusammenfassend den Orchestern eine 'Zwillingsnutzung' nicht empfehlen."

Zwar ließe sich die Zahl an Konzerten und Proben ähnlich wie bisher im Konzertjahr verteilen, aber die Klangkörper hätten nur noch eine "stark eingeschränkte Planungsflexibiliät". Heute gehören die beiden Orchester mit zu den besten weltweit. Um diese Position fürchten die Gutachter. Die Lösung könne "einen Qualitätsverlust oder gar den Ausfall von Konzertprojekten zur Folge" haben und "bedeutet de facto einen Wettbewerbsnachteil im Orchestermarkt". Den Münchner Philharmonikern drohten zudem Einkommensverluste von bis zu 700 000 Euro, weil sie künftig Konzerte in den Herkulessaal verlegen müssten und damit deutlich Sitzplatzkapazitäten verlören. Zudem würde das ständige Umziehen der beiden Orchester zwischen Haidhausen und Hofgarten viel Geld kosten: rund 110 000 bis 180 000 Euro das Symphonieorchester, die Philharmoniker sogar 190000 bis 230 000 Euro im Jahr.

Aber auch für die Konzertbesucher, insbesondere die Abonnenten, hätte die "Zwillingslösung" erhebliche Nachteile. Das BRSO könnte zwar im Gasteig ein neues Abo mit rund 2000 Plätzen anbieten, die Philharmoniker müssten aber zumindest zwei von zehn Abo-Reihen in den Herkulessaal verlegen. Dadurch könnten insgesamt sieben bis neun Prozent aller Abonnenten dauerhaft verloren gehen.

Zudem sehen die Gutachter ein Problem in der qualitativen Diskrepanz der Säle: Aus der Philharmonie würde nach dem Totalumbau ein "Saal von Weltrang", so hatte es Ministerpräsident Horst Seehofer gewünscht. Im Herkulessaal sollten aber nur die sanitären Anlagen und die Räume für die Musiker renoviert werden. Das führe aber dazu, dass sich "die Wahrnehmung auf Künstler- und Besucherseite beider Säle stark verändern" würde. Kurz: Wer will dann schon noch im Herkulessaal spielen oder zuhören?

Für die freien Musikveranstalter würde sich die Situation bei der neuen Lösung gar nicht grundlegend gegenüber heute ändern. Allerdings gäbe es deutlich mehr Probleme bei mehrtägigen Veranstaltungen - etwa den überaus beliebten Kinopräsentationen mit Live-Musik. Denn da BRSO und Philharmoniker den Gasteig gleichberechtigt bespielen würden, reduziert sich die Zahl der komplett orchesterfreien Wochen im Gasteig. "Die erforderlichen Aufbauzeiten und Möglichkeiten einer längerfristigen Nutzung mit derselben Produktion werden so beschränkt", heißt es. Und mehr Konzerte und Projekte, die die freien Veranstalter eigentlich schon jetzt gerne organisieren möchten, seien nur noch "in den unattraktiveren Randzeiten einer Saison im Herkulessaal unterzubringen".

Die Gutachter raten aber nicht nur dezidiert von der "Zwillingslösung" ab, sondern plädieren indirekt für einen weiteren Saal. Denn sie untersuchten auch, die "Rahmenbedingungen des Klassikmarkts". Erstes Fazit: BRSO und Philharmoniker planen ihre Konzerte und Projekte, Solisten- und Dirigentenauftritte in Wochenzyklen - so wie alle anderen großen Orchester weltweit. Sollten die Münchner aus diesem Rhythmus ausscheren, würde das "vom Künstlermarkt eher nicht akzeptiert". Heißt: Münchens Musikfreunde müssten wohl auf etliche große Namen verzichten. Für den Wunsch des BRSO nach einem eigenen Saal haben die Gutachter viel Verständnis. 90 Prozent der weltweit führenden Orchester hätten einen solchen eigenen Saal. "Dies zeigt, dass die Verfügbarkeit eines Konzertsaals mit Erstzugriffsrecht für Spitzenorchester marktüblich ist", heißt es.

Das Actori-Gutachten ist in seinen Aussagen so deutlich, dass die Idee einer "Zwillingslösung" sich wohl damit erledigt haben dürfte und die Befürworter eines neuen Konzertsaals Aufwind bekommen werden. Dennoch schwiegen am Freitag alle Mitglieder der Arbeitsgruppe eisern. Erst am Dienstag wollen sie ihren Abschlussbericht an Reiter und Seehofer geben und ihn dann öffentlich vorstellen.

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