MS Utting:"Das Schiff neu zu bauen, wäre billiger"

  • Am Dienstag und Mittwoch wurde der Ausflugsdampfer MS Utting in zwei Teilen vom Ammersee auf eine ehemalige Bahnbrücke nach Sendling transportiert.
  • Sowohl Taucher, Kranführer als auch Schwertranportfahrer waren am Umzug beteiligt, wegen dem auch Straßen in München gesperrt werden mussten.
  • Vom Sommer an sollen dort Kulturveranstaltungen stattfinden.

Von Michael Berzl und Günther Knoll

Es ist exakt 11.11 Uhr an diesem Mittwoch, doch es ist kein Faschingsscherz: Die MS Utting, als Ausflugsdampfer auf dem Ammersee ausrangiert, wird tatsächlich zum Luftschiff. Zwei Schwerlastkräne heben den rund 80 Tonnen schweren Rumpf von einem Spezialtieflader hinauf auf die kleine Eisenbahnbrücke, die über die Lagerhausstraße verläuft. Fehlt nur, dass das Publikum, das seit sieben Uhr morgens hier am Rande des Großmarktgeländes ausharrt, dieses Spektakel beklatscht.

Das wäre sie nämlich wert, diese Zentimeter- oder sogar Millimeterarbeit, doch noch ist sie viel zu spannend. Vorne die Brücke, rechts und links der schmalen Straße mit Bäumen und Buschwerk bestandene Böschungen, darüber das zwischen den zwei Kranarmen schwebende Schiffsunterteil, von dem immer noch das Ammersee-Wasser herabtropft.

Vorher hatte noch ein Baum dran glauben müssen, der dem Rangieren im Weg gestanden wäre. Tatsächlich kommt Sturm auf, als ob die Utting jetzt auf ihre alten Tage auch noch ihre Tauglichkeit in der Luft beweisen müsste. Doch akribisch haben die Männer der Spezialfirma Schmidbauer das schwere Teil so befestigt, dass es ruhig in der Luft hängt. Ketten und Trossen waren bereits am Dienstag in Stegen unter Wasser von Tauchern montiert worden, um den Rumpf aus dem Ammersee zu hieven.

Vorher hatten der neue Eigentümer Daniel Hahn und seine Freiwilligen-Crew von "Wannda" das Oberdeck abgeflext, das jetzt auf einem zweiten Tieflader darauf wartet, ebenfalls den Weg zu seinem neuen Bestimmungsort anzutreten. Ein ausgedientes Schiff auf dem Abstellgleis - Hahn möchte daraus einen Ort für Kunst und Vergnügen machen.

An diesem Vormittag könnte er wohl ganz gut verdienen, denn es sind doch einige Hundert, die vorbeischauen, um dieses ganz spezielle Unterhaltungsprogramm mitzuerleben. Sogar eine Kindergartengruppe ist da, die "Isarkiesel" aus der Dreimühlenstraße sind die Böschung hoch geklettert. Die Kinder stehen da, halten sich an den Händen und teilen sich ihre Beobachtungen mit: "Siehst du den Propeller?" "Das ist die Schiffsschraube." "Da sollte unser Kindergarten drin sein!"

Was für die Zuschauer vielleicht kinderleicht aussieht, erfordert Kraft - manche Schraubenmuttern sind handtellergroß -, Genauigkeit und viel Zeit. Juniorchef Stefan Schmidbauer dirigiert die beiden Kranführer, die über Funk verbunden sind. Kein Kippen, kein Anschrammen - der Rumpf landet exakt in dem auf der Brücke vorbereiteten Gerüst aus Beton und Holz.

Solche Arbeit dauert, Seniorchef Heinz Schmidbauer hatte seine Männer eigentlich zum Weißwurstessen einladen wollen, wie er sagt, doch die machen weiter. Das Heben des Oberdecks werde einfacher sein, das sei keine 50 Tonnen schwer, und die Hebevorrichtungen seien besser zu befestigen. Dafür müsse dann aber das Aufsetzen auf den Rumpf ganz besonders exakt geschehen. Es wird noch bis zum Abend dauern, ehe das dann auch geschafft ist.

Einen Tag ist es zu diesem Zeitpunkt her, dass das Schiff aus dem Ammersee gehievt wurde und seine Reise von Stegen nach Sendling angetreten hat. Gleich an der ersten Kreuzung bei der Autobahnauffahrt bei Inning tauchen logistische Probleme auf. "Wo sind den eigentlich die ganzen Wurstsemmeln hin?", erkundigt sich Daniel Hahn. Und sein Freund Paul Dyckhoff, gelernter Schlosser und schon allein deswegen ein sehr wichtiger Mann bei diesem Unterfangen, vermisst Zigaretten. Da steht ihnen noch eine lange Nacht bevor.

Knifflig wird es gegen 3 Uhr

Mit einem riesigen Schraubenschlüssel montieren sie Verkehrsschilder ab. Ein Vorfahrtzeichen muss weg und ein weißer Pfeil auf blauem Grund. Sie stünden sonst den beiden Schwertransportern im Weg, die die MS Utting in der Nacht zum Mittwoch nach München bringen. Wie beim Zerlegen erledigt der 26-jährige Hahn auch jetzt möglichst viel selbst. "Auch um Geld zu sparen, das wir nicht haben", sagt er. Eine genaue Summe will er nicht nennen, aber einen sechsstelligen Betrag müsse er schon ausgeben für den Transport.

Das Schiff neu zu bauen, wäre billiger, sagt er. Und so schleppt der junge Schiffseigentümer Platten auf eine Verkehrsinsel, damit sie von den Reifen nicht völlig ramponiert wird, legt Holzbalken an den Randstein. Seit dem Aufbruch in der Werft in Stegen müssen die Fahrer Michael Weber und Friedrich Saam bei Inning zum ersten Mal rangieren. Für den geraden Weg über die Kreuzung bei der Autobahnauffahrt reicht der Platz zwischen den Ampeln nicht aus.

Die Fahrzeuge nehmen einen weiten Umweg, umrunden von Westen kommend auf dem Autobahnring die Stadt und kommen vom McGraw-Graben wieder herein. Dort wechselt die Polizei-Begleitung, die Fahrer haben eine Dreiviertelstunde Pause. Etwas knifflig wird es gegen 3 Uhr auf der Kreuzung von Schäftlarner Straße und Brudermühlstraße. Auch dort müssen die Fahrer rangieren. Ein Felsen auf einer Verkehrsinsel erweist sich als Hindernis. Die Hydraulikanlage neigt den gesamten Transport zur Seite, ein Metallrohr, das seitlich aus dem Schiffsaufbau heraus ragt, kratzt über den Stein. Auf der anderen Seite kommt die Reling einem Wegweiser zur Großmarkthalle sehr nahe. Metallisches Quietschen, Zischen, ruhige Kommandos via Funkgerät, dann ist ohne Schäden auch das letzte Hindernis gemeistert.

Gegen 4 Uhr stehen Schiffsrumpf und Aufbau am Zielort. "Ich freue mich, jetzt endlich ins Bett zu dürfen", sagt Hahn. Doch die Nacht wird kurz. Auf dem Gelände der Großmarkthalle neben dem neuen Standplatz der Utting beginnt nun das Leben. An den Zufahrten bilden sich Lastwagenschlangen. Die Techniker Karl Reischl und Rudolf Rieger dürfen die Ampel wieder aufstellen, die sie vier Stunden zuvor abgeschraubt haben.

Die Fahrer der Spedition aus Schwäbisch Hall können sich am Mittwoch auf den Heimweg machen. In ein paar Wochen kommen sie wieder nach Bayern. Dann bringen sie das neue Schiff für den Ammersee. Die Fahrt durch München bleibt ihnen dann aber erspart.

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