Moscheen:Muslime haben in München kaum Platz zum Beten

Moscheen: Weil es so wenige Möglichkeiten in der Innenstadt gibt, sitzen die Gläubigen zum Beten in der Hotterstraße im Treppenhaus und auf der Strasse.

Weil es so wenige Möglichkeiten in der Innenstadt gibt, sitzen die Gläubigen zum Beten in der Hotterstraße im Treppenhaus und auf der Strasse.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Mit der Kuba-Moschee in der Landwehrstraße ist die letzte Moschee aus dem südlichen Bahnhofsviertel verschwunden.
  • Der Vermieter sagt, der Andrang sei zu groß geworden. Auflagen für den Brandschutz seien nicht beachtet worden.
  • Der Bedarf an Moscheen ist auch wegen der vielen Geflüchteten in der Stadt stark gestiegen. Viele Muslime fühlen sich nun vernachlässigt.

Von Jakob Wetzel

Sechs Stufen auf einer Metalltreppe führen in die zerstörte Welt von Bilal Durmaz. Ein rotblauer Teppich war hier früher verlegt, Kalligrafien zierten die Wände. Gleich neben der Eingangstür stand die Gebetsnische, und freitags predigte der Imam von einer Kanzel aus Walnussholz. 36 Jahre lang haben hier, in einem Hinterhof an der Landwehrstraße, Muslime gebetet, haben ihren Kindern den Koran nahegebracht, die Älteren haben sich in der Küche hinter dem Gebetsraum auf ein Glas Tee getroffen. Jahrzehntelang war die Kuba-Moschee, benannt nach dem Ort, an dem Mohammed die erste Moschee gegründet haben soll, ein beliebter Treffpunkt für Münchner Muslime. Sie war eine von acht, neun Moscheen im südlichen Bahnhofsviertel. Doch das ist vorbei.

In der Gegenwart liegt der Teppich herausgerissen vor der Tür, zurückgeblieben ist ein löchriger Fliesenboden. Die Bücherregale stehen leer, die frühere Küche ebenso, nur ein Bild der Blauen Moschee in Istanbul hängt noch an der Wand. Im Hof vor der Tür stapeln sich Schränke, Regale, Sitzmöbel, sie warten auf den Entrümpler. In dieser Woche wurde die Moschee ausgeräumt. Bilal Durmaz, der Präsident des Moscheevereins, ringt mit den Worten. Er habe die Leitung des Vereins einst von seinem Vater übernommen, sagt er. Nun wolle er in die Türkei zurück. Und immer wieder kommen ältere muslimische Münchner in den Hof, bleiben in der Tür stehen, starren in den Raum und weinen.

Denn die Kuba-Moschee wird nicht mehr öffnen. Der Vermieter, die Theatergemeinde München, hat dem Moscheeverein fristlos gekündigt. Und damit endet nicht nur die Geschichte der Hinterhofmoschee von Bilal Durmaz; der Schritt vollendet auch eine Zäsur im südlichen Bahnhofsviertel. Denn hier, wo sich türkische und arabische Imbisse, Hotels und Läden aneinanderreihen, wo die Stadt so orientalisch ist wie an kaum einem anderen Ort, gibt es jetzt keine einzige Moschee mehr. Wer die einschlägigen Adressen aufsucht, der findet Hotels, Kanzleien, Büro-Lofts oder auch eine Baugrube, aus der Wohnungen im laut Reklame "neuen In-Viertel Münchens" wachsen sollen. Eine Moschee nach der anderen ist dafür verschwunden. Die Kuba-Moschee war die letzte.

Warum an der Landwehrstraße das Ende kam, darüber machen Moscheeverein und Vermieter unterschiedliche Angaben. Im Kern war das Problem: Der Bedarf war zu groß. Die Moschee war in den letzten Monaten hoffnungslos überlaufen. Fluchtwege und Notausstiege waren für maximal 90 Personen ausgelegt. Doch am Freitag, wenn nach traditioneller Lesart des Korans vor allem männliche Muslime mit dem Imam beten müssen, wurde es eng.

Die städtischen Kontrolleure zählten einmal 450 Betende, einmal noch mehr als 300. Im Frühjahr 2016 mahnten sie, die Brandschutzauflagen einzuhalten. Durmaz beauftragte direkt einen Architekten, der Vermieter dagegen wollte erst ein behördlich geprüftes Konzept sehen. Voran ging nichts. Im Februar 2017 setzte das Planungsreferat ein Zwangsgeld fest. Die Theatergemeinde teilt mit, sie habe am Ende die Notbremse ziehen müssen.

Er habe sich freitags zuletzt persönlich an das Eingangstor zur Moschee gestellt, um den Gläubigen zu sagen, dass kein Platz mehr sei, sagt Durmaz. Doch der Andrang wurde eher größer als kleiner. Es kamen nicht nur die alteingesessenen türkischen Geschäftsleute, sondern auch Zuwanderer und Geflohene aus dem Nahen Osten, aus Afghanistan und Nordafrika. Und wo sollte er sie hinschicken? Die früheren Moscheen in der Nachbarschaft gab es nicht mehr.

Moscheen: Die Kuba-Moschee war die letzte im südlichen Bahnhofsviertel. Nun wartet sie auf die Entrümpler.

Die Kuba-Moschee war die letzte im südlichen Bahnhofsviertel. Nun wartet sie auf die Entrümpler.

(Foto: Catherina Hess)

Ein Schild an der Tür verweist jetzt auf Gebetsräume unter anderem in Milbertshofen, Pasing und Berg am Laim. Am nächsten liegen ein Gebetsraum an der Karlstraße in der Maxvorstadt und das "Münchner Forum für Islam" (MFI) an der Hotterstraße. Die nächste türkische Moschee liegt an der Schanzenbachstraße in Sendling. Doch für die Geschäftsleute im Viertel ist all das keine Alternative.

"So viel Zeit habe ich einfach nicht", sagt etwa Mehmet Can. Der 32-Jährige ist Miteigentümer eines Supermarkts an der Goethestraße, gleich gegenüber der Baugrube, wo es früher eine Moschee gab. Zuletzt sei es auch in der Kuba-Moschee an der Landwehrstraße schwierig gewesen, einen Platz zu bekommen, sagt Can. Aber nach Sendling fahren? Wer solle in der Zwischenzeit den Laden führen?

Ähnlich ergeht es Ismail Öcalan. Der Metzgermeister arbeitet im "Verdi Süpermarket" an der Landwehrstraße, unmittelbar neben der Kuba-Moschee. Er und seine Kollegen hätten sich freitags bisher immer abgewechselt, sagt er: Der eine blieb hinter der Theke, der andere ging zum Beten nach nebenan. Und heute? "Jetzt bete ich gar nicht", sagt Öcalan. Wo auch?

"Wir reden immer von Freiheit, aber beten kann ich hier nicht"

Sie bete zu Gott, dass er ihnen einen Weg zeige, wie sie vielleicht wieder eine Moschee bekommen könnten, sagt eine ältere Frau, die sich dazugesellt. Ihr Mann sei krank und nicht gut zu Fuß, er könne nicht bis zur Hotterstraße marschieren. Sie will wissen, warum ihnen keiner helfe. Seit 37 Jahren lebten sie in München. Früher habe sie als Altenpflegerin gearbeitet, ihr Mann sei bei der Stadt angestellt gewesen. Mit ihren Kindern hätten sie eine Firma aufgebaut. "Wir sind keine schlimmen Leute", sagt sie. "Wir sind fleißig, wir zahlen Steuern, wir betteln nicht. Aber wir brauchen doch einen Raum zum Beten."

Es sei nicht nur das Fehlen einer Moschee, sagt Ender Beyhan-Bilgin. Sie ist im Bahnhofsviertel aufgewachsen, kennt einige Geschäftsleute noch aus gemeinsamen Kindheitstagen. Heute führt sie ein Lokal am Sendlinger Tor und sitzt im Münchner Migrationsbeirat. Viele Muslime fühlten sich allein gelassen, sagt sie. Besonders unter den Türken rund um Goethe- und Landwehrstraße sei die Stimmung gedrückt. Viele spürten Vorbehalte, fühlten sich als Muslime nicht mehr gewollt. "Dass es hier jetzt keine Moschee mehr gibt und die Stadt nicht reagiert, das ist dabei nur ein Element." Vieles spiele eine Rolle: die Islamfeindlichkeit, die gescheiterten Versuche, in München eine Moschee zu bauen, und auch die Debatte um das Referendum in der Türkei.

"Wir reden immer von Freiheit, aber beten kann ich hier nicht", sagt etwa Memduh Zeytinoğlu. Er führt einen Laden für Teppiche, Textilien, Geschirr und andere Dinge an der Goethestraße, er ging regelmäßig in die Kuba-Moschee, und er ist wütend. "Mein Glaube ist gesperrt!", ruft er. Seit 40 Jahren lebe er in München, die Stadt sei seine Heimat. "Ich bin Deutscher mit islamischem Glauben, in der Türkei bin ich fremder als hier!" Aber wenn dort Kirchen zugesperrt würden, dann würde man in Deutschland mit Fingern auf das Land zeigen, schimpft Zeytinoğlu. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist für ihn einer, der zeigt, dass man Türken nicht mit Füßen treten könne. Anders, so schwingt mit, als in München.

Womöglich aber ergibt sich eine Perspektive an der Landwehrstraße, wo die Kuba-Moschee gerade verschwunden ist. Ihn treibe auch die Frage um, wie man einen guten Ort für Münchens Muslime finden könne, sagt Michael Grill, der Chef der Theatergemeinde; er sitzt im Kuratorium des MFI. Zunächst müsse er nur "diese Zustände" beenden, sagt er. Wie es dann weitergehe, sei aber offen. Dass Muslime hier wieder einen Platz finden, sei denkbar. "Alle Optionen liegen auf dem Tisch."

Es ist Freitagmittag. Im MFI an der Hotterstraße bereitet sich Imam Benjamin Idriz auf das Freitagsgebet vor. Die kleine Moschee ist der einzige Ort in der Altstadt, an dem es muslimische Gottesdienste gibt - zumindest noch. Sie ist ein Provisorium, zuletzt wurde der Mietvertrag immerhin bis Ende 2018 verlängert. Doch auch hier ist kaum Platz. Aus Sicherheitsgründen können nur maximal 120 Menschen beten. Idriz sagt, zuletzt seien regelmäßig etwa 400 gekommen. "Seit Wochen können wir nicht mehr alle Gläubigen, die zu uns kommen, willkommen heißen." Die Überzähligen bleiben draußen, manche stellen sich unter das Fenster, wo sie den Imam hören, und beten auf der Straße.

Ein knappes Jahr ist vergangen, seitdem Idriz' Projekt, eine repräsentative Moschee an der Dachauer Straße zu bauen, gescheitert ist; es fehlte das Geld, und es fehlte auch der Zusammenhalt der oft landsmannschaftlich organisierten Muslime. Idriz dagegen wollte eine Stätte für Muslime jeder Nationalität, einen Ort der Aufklärung und der Begegnung mit der übrigen Stadtgesellschaft, und eine ausgestreckte Hand nicht zuletzt für Zuwanderer und Flüchtlinge. Diesen Traum hat er nicht aufgegeben.

An diesem Sonntag wolle man Arbeitsgruppen bilden, auch um eine Stiftung zu gründen, die den Moscheebau neu aufgreifen solle. Erst in dieser Woche hat Idriz einen Brief an den Muslimrat und an Oberbürgermeister Dieter Reiter geschrieben. Die Situation sei dramatisch, heißt es darin; man müsse gemeinsam nach Lösungen suchen und so bald wie möglich reagieren. Man wolle nicht nur etwas von der Stadt haben, sagt Idriz, sondern auch etwas zurückgeben: Die Moschee würde einen Beitrag leisten zur Integration und zum Miteinander.

Das Architekturmodell der früher geplanten Moschee, das zuletzt lädiert in einer Ecke des MFI stand, hat Idriz reparieren lassen. Illusionen macht er sich aber nicht mehr. "Wir haben gelernt, dass es für einen Moscheebau einen langen Atem braucht", sagt Idriz. Die kurzen Fristen hätten damals Spender abgeschreckt. "Solange der Bedarf so groß ist, darf die Initiative nicht sterben", sagt Idriz.

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