Mordfall Schindlbeck:Spurensuche unter Wasser

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Das einzig Gute ist, man sieht die Toten nicht: Polizeitaucher suchen im Inn weiter nach dem Kopf von Markus Schindlbeck. Ein harter Job.

M. Maier-Albang

Malediven, Sharm El Sheik, bunte Fische, klares Wasser. Man kenne das ja von den Prospekten, frotzelt Polizeihauptkommissar Christian Reichel: "Tauchen ist ein Genuss!" Wo er taucht, ist das Wasser meist so trüb, dass er einen Hecht selbst dann nicht sehen könnte, wenn der einen halben Meter vor ihm im Schilf stünde.

"Eine außergewöhliche Zunft" nennt Christian Reichel seinen Berufsstand: Polizeitaucher sind auch seine Kollegen Christian Ertle und Harald Lechner (von links). (Foto: Foto: ales)

Und was den Genuss anbelangt: Ertle ist es sogar lieber, wenn es ganz dunkel ist und er sich seinem Ziel tastend nähert. Wer mag das schon, wenn die Hand eines Toten plötzlich zehn Zentimeter vor dem eigenen Gesicht auftaucht?

Christian Reichel leitet die "TEE", die Technische Einsatzeinheit bei der Bayerischen Bereitschaftspolizei. Zu ihr gehören jene rund 30 Beamte, die Reichel "multifunktional" nennt: Sie müssen mit dem Unimog zurechtkommen oder einen Wasserwerfer bedienen können.

An die Öffentlichkeit aber dringt meist der Teil ihrer Arbeit, bei dem sie unter Wasser gehen. Wenn sie Ertrunkene suchen, ein vermisstes Flugzeug, wie kürzlich im Chiemsee, Diebesgut, Waffen oder Munition, die jemand loswerden wollte, Autos, die als gestohlen galten. Oder eben, wenn sie, wie gerade, den Kopf eines Mordopfers aufzuspüren versuchen.

Seit zwei Tagen suchen die Polizeitaucher im Inn nach dem Kopf von Markus Schindlbeck. Der frühere Arbeitskollege des Koches, Heiko K. hatte zwar schon länger gestanden, den Sendlinger getötet und zerstückelt zu haben. Doch erst am Mittwoch führte K. die Ermittler zu jener Stelle, von wo aus er den Schädel in den Inn geworfen hatte: die Marienbrücke westlich von Neuötting. Seitdem gleiten Taucher durchs Wasser.

Fündig geworden sind sie bislang nicht. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Kopf je finden werden, ist eher gering. Der Fluss ist an dieser Stelle 160 Meter breit. Bis zum nächsten Wehr sind es zwei Kilometer. K. hatte von der Mitte der Brücke aus geworfen; also hat man die Flugbahn berechnet und versucht zu bestimmen, wie weit die Strömung das Körperteil mitgerissen hat. Der Kopf könnte sich auch an einem Ast verhakt haben. Es ist eine grausige Gleichung mit vielen Unbekannten. Und eine Arbeit, bei der man nicht schwermütig sein darf.

Einmal pro Woche rücken die Tauscher im Schnitt aus. Und es sind die schwierigsten und belastendsten Einsätze, wenn es Tote zu bergen gilt. Vor allem, wenn ein Kind ertrunken ist. Ihm habe sich das Bild ins Gedächtnis gebrannt, wie ein Kollege mit einem toten Mädchen auf dem Arm aus dem Wasser kommt, erzählt Reichel.

Bei einem anderen ist es der 18-jährige Kanufahrer, neben dessen Leichnam am Ufer der Pfarrer betet. Beim Dritten ist es ein Junge, kaum zwei Jahre alt, der noch seine Lederhose trägt und ein kleines Goldkreuz um den Hals.

Natürlich haben sie Psychologen oder Seelsorger, auf die sie zurückgreifen können. Doch die beste Hilfe, sagen sie, seien die Kollegen, das Team. Eben die, die wissen, wie einem nach solch einem Einsatz zumute ist. Die das Gefühl kennen, wenn man mit vor Kälte tauben Fingern Gegenstände abtastet und dabei gegen die Strömung ankämpft. "Diese Anspannung verliert sich auch nach Jahren nicht", sagt Reichel.

Und doch scheinen alle Taucher fasziniert von ihrer Arbeit. Beim Auswahlverfahren wird nicht nur darauf geachtet, dass jemand körperlich fit ist. Auch die Seele muss so einem Job gewachsen sein. Trainiert werden die Taucher zunächst im hauseigenen Hallenbad der Bereitschaftspolizei an der Rosenheimer Straße. Dann geht es für sechs Wochen zum Outdoor-Training, in der Regel an den Starnberger See. Dort üben sie noch mit Dummies. Dann beginnt das echte Leben mit dem Tod.

Was sie unter Wasser genau erwartet, "das versuchen wir uns vorher nicht näher auszumalen", sagt Hauptkommissar Harald Lechner, der stellvertretende Leiter der TEE. Die Taucher steigen vom Ufer oder vom Boot aus ins Wasser, sie sind angeleint, wobei die Leine nicht nur Sicherheit bietet, sondern via Körperschallmikrophon und Ohrstöpsel auch die Kommunikation mit der Überwasserwelt ermöglicht.

Will der Taucher voran, gibt der "Leinenführer" ihm langsam mehr Leine. Der Taucher durchpflügt das Wasser im Halbkreis. So wird eine lückenlose Absuche sichergestellt. Maximal 50 Meter tief tauchen die Polizisten, maximal 45 Minuten können sie unter Wasser bleiben. Danach wird das komplette Team ausgewechselt. Hat das Wasser wie jetzt nur zwei Grad, sind 45 Minuten eine verdammt lange Zeit, weiß Polizeioberkommissar Christian Ertle, der die Tauchergruppe leitet. Wenn es schneit und weht, frieren die Beamten draußen sogar noch mehr.

Werden die Taucher bei einer Leichensuche fündig, müssen sie den Toten fotografieren, die Fundstelle vermessen, müssen, wenn ein Verbrechen im Raum steht, Proben nehmen vom Boden und vom Wasser und über Kopf und Hände der Leiche Tüten ziehen. Spurensicherung eben, nur diesmal unter Wasser. Die Bergung mit Seilen oder Rettungsweste geht dann relativ rasch. Oben wird der Leichnam einem Bestatter übergeben. Oft warten am Ufer aber auch die Angehörigen.

Hart sei das, sagt Ertle. Aber fast immer gibt es auch ein Dankeschön. Weil die Unsicherheit ein Ende hat. Und vielleicht ist es ja gerade dieses Gefühl, etwas Sinnvolles geleistet zu haben, das den Tauchern weiter Auftrieb gibt.

© SZ vom 21.02.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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