Modenschau:Leidenschaftlich und rachedürstend

Wohin man auch blickt, überall sieht man rot. Auch inhaltlich identifizieren sich Frauen in roten Roben mit den Figuren der Bayerischen Staatsoper - von Elektra bis Lulu

Von Rita Argauer

Es ist nur leichter Stoff, und doch fällt die Wahl oftmals schwer. Die Frage der Abendgarderobe entscheidet letztlich die Unterlage, auf der die Trägerin samt Kleid den Kunstgenuss begehen wird: Parkett-Stuhl drinnen oder Bordsteinkante draußen. Bei "Manon Lescaut", der letzten Vorstellung der Spielzeit, die als "Oper für alle" gleichzeitig auch noch auf den Max-Joseph-Platz vor dem Münchner Nationaltheater übertragen wird, zeigt sich die Mode noch einmal kontrastreicher. Drinnen und draußen, das sind zwei verschiedene Welten, auch was die Kleidungswahl betrifft.

Zunächst: Die Farbe dieses Sommers scheint Rot zu sein, auch wenn auch heuer das klassische Schwarz (etwa bei Schauspielerin Sunnyi Melles) zu entdecken ist. Wohin man auch blickt, überall sieht man rot: rote Roben, Röcke, Kostüme, wenn auch manche Besucherinnen wie etwa Katja Eichinger mit den Farbspektren experimentieren und sich für ein gewagtes Lila entscheiden. Auch inhaltlich identifizieren sich die vielen rottragenden Damen als kleidgewordene Solidarität mit den Frauenfiguren, die die Bayerische Staatsoper in dieser Spielzeit über die Bühne schickte - blut- und rachedürstend (von "Elektra" über "Lucia") und leidenschaftlich untergehend ("Lulu" und "Manon").

Doch sowohl in der Aussage eines Kleidungsstücks, als auch in den Temperatur-Entsprechungen haben die Frauen es da sowieso einfacher als das andere Geschlecht - das nackte Bein ist gesellschaftlich genauso akzeptiert wie freie Schultern. Anders bei den Herren: Hemd, Jackett, Krawatte, das hat wenig mit der Tragik auf der Bühne zu tun und sorgt auch nicht wegen dramatischer Erregung für Hitzewallungen. Denn gerade auf den Stufen vor dem Nationaltheater - die als gesellschaftlicher Drehpunkt genauso funktionieren wie als Laufsteg - ist es abends brüllend heiß. Die Sonne knallt das nach Westen gerichtete Portal unbarmherzig an. Doch Anzüge sind eben auch nur nötig, wenn man das Theater tatsächlich betritt; drinnen, im fensterlosen Publikumsraum, herrscht dann auch kühlere Luft.

Für die anderen, die sich draußen auf dem Max-Joseph-Platz niederlassen, und für Thomas Gottschalk (sein Outfit ganz in weiß erinnert an eine indische Kurta) heißt es hingegen Freiheit in der Klamotten-Wahl. Doch hier gilt es, andere Dinge zu beachten: Wie gut kann ich über den seltsam gepflasterten Platz laufen, auch wenn ich das Picknick schon mit ein wenig Wein genossen habe? Das erklärt zumindest die Wahl der Trekking-Sandalen mancher Besucher am vergangenen Freitag. Oder wie stilvoll kann ich auf dem Boden sitzen, ohne dass mein Beinkleid zu viel Bein zeigt und es womöglich kalt werden wird? Die "Oper-für-alle"-Besucher lösen das souverän, es gibt keine größeren Pannen - und am auffälligsten sind die verschiedenen Picknick-Decken. Noble Zurückhaltung durch gediegene Brit-Karos oder schriller Witz auf einer Flamingo-Decke, auf der ein Damen-Trio mit pinkfarbenen Sektgläsern anstößt.

Doch das Klamotten-Schauen drinnen ist spannender, draußen ist man legerer. Klar, denn wer würde sich auch mit einer sündhaft teuren Robe auf den Asphalt setzen?

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