Mode in München:Gamsbock & Alpenrock

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Die Tracht ist gar nicht so festgelegt, wie viele meinen. Vier Münchner beweisen: Es geht traditionell, aber auch ausgeflippt.

Von Birgit Lutz-Temsch

Es gibt ein paar Sachen, die macht Ursula Fröhmer einfach nicht. Kurze Dirndl zum Beispiel. Gemäß einer alten bayerischen Regel darf der Rocksaum nämlich höchstens eine Maßkrughöhe überm Boden enden. Bei ihr gibt es auch keine Reißverschlüsse, alles wird geknöpft oder gehakt.

Bei "Tracht und Heimat" orientiert man sich an historischen Modellen. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Und wenn Männer nach Hemd-Applikationen oder Stickereien in Form von Gockeln, Schafen oder Gartenzäunen fragen, dann sind sie bei "Tracht und Heimat" ebenfalls falsch.

Seit mehr als 25 Jahren schneidert Ursula Fröhmer in ihrem Laden am Oberanger Trachten und traditionelle städtische Bürgerkleidung. Ihr Vater war Schneidermeister, die Großmutter Schneiderin, und sie folgte deren Beispiel.

Bevor Fröhmer ihre ersten Trachten anfertigte, fuhr sie mit dem damaligen Kreisheimatpfleger Volker Laturell zur Leonhardikapelle nach Siegertsbrunn. Dort studierten sie alte Darstellungen der Münchner Kellnerinnen, und rekonstruierten so das Münchner Miedergewand: schwarz, mit silbernen Haken.

So wie Fröhmers erste Entwürfe entsteht alles in ihrem Laden: Immer wird nach historischen Vorlagen gearbeitet. Wie sie dabei genau vorgeht? "Entweder du spürst es, oder du spürst es nicht." Sie fertigt eine eigene Kollektion an; meist werden die Mieder, Westen und Gehröcke dann noch exakt auf den Leib angepasst.

Bei der Anprobe ist Geduld nötig

Für die Anproben braucht es einiges an Geduld. Fröhmer berät mit ihren Mitarbeiterinnen ausführlich, wie ein Abnäher genau gesetzt werden sollte, wo die Knopfleisten verlaufen müssen, welcher Stoff der passende ist.

Fünf Trachten gibt es in München: das Münchner Miedergewand, das Münchner Spenzergewand, die Starnberger und Dachauer Tracht und die des Münchner Osten. Für deren Veränderungen brauche man viel Gespür, weil in der Tracht die Seele eines Volkes zum Ausdruck komme: "Wenn man an ihr etwas verändert, muss man aufpassen, dass man nicht ins Seelenlose abgleitet", erklärt Ursula Fröhmer.

Die tieferen Bedeutungen der Tracht zu kennen, sei für eine Trachtenschneiderin ebenso wichtig wie das handwerkliche Knowhow. Zum Beispiel die Stoffauswahl: Für festliche Anlässe kommen ausschließlich Samt und Seide in Frage. "War man auf eine Hochzeit eingeladen, zog man zu Ehren des Feiernden das Schönste an, was man hatte", sagt Fröhmer. Heute gehen junge Mädchen im Baumwolldirndl, unter Umständen sogar mit Bergstiefeln auf Hochzeiten - früher wäre das eine Beleidigung gewesen.

Die Länge signalisiert den Familienstand des Trägers

Manchmal zeigt die Kleidung auch die Lebensumstände des Trägers an: Bei der Dachauer Tracht zum Beispiel signalisiert eine kurze Jacke den Junggesellen, und ein längerer Gehrock - der so genannte Gevatterrock - einen verheirateten Mann.

Bei den Frauen gilt allgemein: Ist der Dirndlschurz rechts geschnürt, hat die Trägerin bereits einen Ehemann; ist die Schleife links gebunden, ist sie ledig.

"Dieser Zeichencharakter ist typisch für Trachten", sagt Rainer Wehse, Volkskundler an der Ludwig-Maximilians-Universität. Es habe etwas Willkürliches, in die Vergangenheit zurückzugehen und eine bestimmte Kleidung als für immer gültige Tracht festzulegen. "Es ist auch nicht natürlich, denn Kleidung entwickelt sich weiter."

So sei es nur konsequent, dass Frauen heute auch Lederhosen tragen - schließlich hätten sie auch im täglichen Leben vorwiegend Hosen an. Eine zeitgemäße Weiterentwicklung von Trachten sieht er in der Landhausmode und stimmt damit mit der Linie von Münchner Traditionshäusern überein.

Der Begriff Landhausmode ist in den vergangenen Jahren allerdings stark missbraucht worden - so sieht es jedenfalls Tamara Hafner von Loden Frey. Es habe unansehnliche Auswüchse gegeben, von denen sich das Angebot des Kaufhauses in der Maffeistraße bewusst absetze. "Unter Landhausmode verstehen wir tragbare Mode: zum Beispiel die Abwandlung des Dirndls zu einem Kleid ohne Schurz, aber mit einer angerüschten Bluse und einem angereihten Rock."

Designerin Lola Paltinger mag es kitschig-verspielt. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Um jüngere Menschen überhaupt noch für traditionelle Kleidung zu interessieren, müssten die strengen Vorgaben abgemildert werden, findet Tamara Hafner. Der Schnitt der Dirndl bleibt dabei im Wesentlichen immer gleich, nur die Rocklänge variiert, sichtbar an den wieder hippen knielangen Röcken der Siebziger.

Zum Oktoberfest hat Loden Frey ein günstiges Wasch-Dirndl aus Baumwolle entworfen: Der Rock ist lang, die Farben aber sind modern, vor allem Rosa und Himmelblau, es ist mit kleinen Motiven aus der Trachtenwelt bedruckt und strahlt eine Leichtigkeit aus, die man bei den traditionellen Modellen tatsächlich oft vergebens sucht.

Richtig jung wird es bei einer Modemacherin, die im Tal 27 residiert. Wenn sie oben im sechsten Stock die Tür ihrer Wohnung aufreißt, die zugleich Atelier und Schneiderstube ist, kann man ins Grübeln kommen: Tochter der Designerin? Kundin? Auszubildende? Aber sie ist es schon selbst.

Der Shooting Star am Münchner Trachtenhimmel

Groß, dünn und hübsch, schwärmerische Kulleraugen im Porzellangesicht: Lola Paltinger, Shooting Star am Münchner Trachtenhimmel. Mit 32 Jahren hat sie eine beachtliche Karriere hinter sich. Sie beliefert Boutiquen in Italien und der Scheiz, kleidet Moderatorinnen und Society-Frauen ein, bekommt Preise; eines ihrer Modelle steht im Kunstmuseum von Kobe. Alle Achtung, Frau Paltinger! "Danke, aber im Moment bin ich einfach nur geschafft."

Die überhaupt nicht müde aussehende Lola steht inmitten ihrer aktuellen Kollektion, die einem Schwarm exotischer Riesenschmetterlinge ähnelt. "Lollipop und Alpenrock" heißt ihr Label, Untertitel: "Heidi goes to Hollywood". Das passt. Wenn sich ein Hollywood-Produzent mal in den Kopf setzen sollte, einen Kostümfilm made in bavaria zu drehen: Hier hängt die Ausstattung.

Die Kleider sind eine unverschämte Mischung aus Loden und Lackleder, Edelweiß und Edelkitsch, bayerischen Schnitten und asiatischem Schnickschnack. Schillernde Oraganzaschürzen bauschen sich über giftgrünem Brokat, bemalte Mieder prangen auf durchsichtigen Spitzenblüschen, die Puffärmel sind mit Pailletten bestreut. 2500 Euro kostet ein Paltinger-Dirndl. Ihre Kundinnen schwören: Lola rockt.

Leicht und spielerisch geht auch eine Boutique im Zentrum mit dem Thema Tracht um: "Servus Heimat" in der Ledererstraße spielt mit Münchner Motiven und bayerischen Symbolen. Babette Mack und ihre drei Mit-Inhaber machen "tragbare Andenken"; die bekanntesten Teile aus ihrer Kollektion sind die pastellfarbenen T-Shirts. Für Männer schmal, für Frauen tailliert geschnitten tragen sie Aufdrucke wie "servus", "heimat", "Münchner Kindl" oder "Spatzl".

Als durchgängiges Symbol wählten sie die historische Darstellung einer Gams - "ein Hirsch war uns zu abgedroschen", sagt Mack. Seitdem ziert die Bergziege Shirts, Janker und rot-weiß-karierte Blusen, die allerdings schmaler ausfallen als die üblichen Wanderhemden: mit längerem Kragen und bei dem Modell für Frauen mit verdeckter Knopfleiste. Als Accessoires dazu gibt es Filztäschchen, Flachmänner mit Gamsmotiv oder Filzkalender mit dem Kini auf dem Einband.

Bei ihren Entwürfen richten sich die Servus-Heimat-Leute zwar nicht nach historischen Vorlagen - aber diskutiert wird über jeden einzelnen Entwurf. Für eine Servus-Heimat-Lederhose konnten sie sich deshalb immer noch nicht entscheiden, genauso wenig wie für ein Dirndl. Und haben mit den Traditionalisten unter den Trachtlern damit immerhin eines gemeinsam: Es gibt da ein paar Sachen, die machen sie einfach nicht.

© SZ vom 10.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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