Mobilität:Kurs Zukunft

Harras, Goetheplatz, Glockenbachviertel, Zenettiplatz: Eine Projektgruppe forscht erstmals zentrumsnah, wie die Münchner in einigen Jahren auch ohne eigenes Auto mobil sein könnten - mit mehr Grün und besserer Luft

Interview von Birgit Lotze

Unter dem Dach des Forschungsprojektes "City2Share" werden in München erstmals in Innenstadtrandlage die Möglichkeiten für Elektromobilität ausgelotet. An dem Konsortium unter Leitung von BMW sind zehn Partner beteiligt, darunter die Stadtwerke München (SWM), die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), Siemens, der Paket-Dienstleister UPS, Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden und der Bundeswehrhochschule Neubiberg. Die Tests werden in der Ludwigs- und Isarvorstadt und in Sendling vorgenommen. Stadtwerke und MVG bauen dafür vier Elektromobilitätsstationen auf. Ein Gespräch mit MVG-Projektleiterin Sonja Rube.

SZ: Werden bald selbstfahrende Autos im Glockenbachviertel oder rund um den Gärtnerplatz unterwegs sein?

Sonja Rube: Das ist das Ziel, wir rechnen 2019 mit einem allerersten Feldversuch. Man darf sich nicht vorstellen, dass dann dort eine ganze Flotte unterwegs ist; es werden eher wenige Tests mit einem einzelnen Fahrzeug sein. Doch für die Stadt der Zukunft entsteht so das Bild, das man vor Auge haben muss. Man ruft sich ein Auto, es kommt ohne Fahrer und bringt einen dorthin, wo man hin möchte.

Warum wurden die Isarvorstadt und Sendling als Reallabor ausgewählt?

Uns war wichtig, die Forschungen in einem typischen Quartier der Gründerzeit zu machen: dicht bebaut, wenige Tiefgaragen, viele Anwohner, Autos stehen auf der Straße. Die Ergebnisse der Forschungen sollen ja in Zukunft auch auf andere Viertel übertragen werden. Noch ein Grund für uns war, dass diese beiden Viertel seitens der Stadtteilpolitiker und der Bürger sehr aufgeschlossen sind. In Sendling gibt es sogar eine Initiative namens "Sendling unterwegs". Sie wurde von Bürgern initiiert, die nachhaltige Lösungen suchen.

Stromtankstelle für Elektrofahrzeuge am Bremer Kennedyplatz Betreiber der Ladesäule sind der hier a

Es geht auch anders: Es muss nicht immer das eigene Auto sein, man kann es auch mieten - mit oder ohne Fahrer. Hauptsache, es fährt elektrisch.

(Foto: Imago)

Die selbstfahrenden Autos sind sozusagen der Hingucker in dem Projekt. Doch was ist sonst noch geplant?

Großes Thema ist der Lieferverkehr. Wir Stadtplaner sehen schon lange Zeit mit Sorge, was der Internethandel uns so bringt. Zunächst natürlich in Sorge um den Einzelhandel, aber auch über den zunehmenden Lieferverkehr in Wohngebieten. Deshalb bin ich froh, dass wir dort etwas machen können.

Wie sieht der Versuch aus?

Der Projektpartner UPS will die Pakete mit Pedelecs ausliefern. Es wird eine zentrale Stelle - keine Halle, sondern eher ein kleinerer Transporter - eingerichtet, an die wird geliefert. Von dort aus werden die Pakete mit Lastenrädern umweltverträglich und ohne Belästigung für die Bewohner weitergeliefert.

Als sichtbare und fixe Punkte im Viertel werden vier Mobilitätsstationen aufgebaut: am Harras, Goetheplatz, am Glockenbach, am Zenettiplatz. Warum wurden diese Standorte ausgesucht?

Die Orte bringen ganz unterschiedliche Qualitäten mit und uns an verschiedene Zielgruppen heran. Der Harras hat Anschluss an S- und U-Bahn, an Busse, an Taxis - ideal für verknüpfte intermodale Verkehre: ein Umstieg zwischen den Angeboten. Der Goetheplatz ist ähnlich und liegt ebenfalls an einer wichtigen Einfallstraße, aber ist noch zentraler gelegen, der Verkehr in Richtung Innenstadt orientiert. Der Zenettiplatz am Schlachthof ist wohl als Wohnort und als Ausgehviertel einzustufen. Die Gegend am Glockenbach liegt etwas abseits - ein fast reines Wohnquartier ohne Verknüpfung zum öffentlichen Verkehr. Vermutlich geht es dort mehr um die Versorgung der Anwohner.

Sonja Rube Firma USP München, Stadtplanerin Innenstadtkonzept Freising

Stadtplanerin Sonja Rube unterstützt als Projektleiterin SWM und MVG bei der Modernisierung und Erweiterung ihrer Geschäftsfelder.

(Foto: Privat)

Was kann man an den Mobilitätsstationen machen?

Die vier Mobilitätsstationen werden unterschiedlich gestaltet, um allein aus dieser Unterschiedlichkeit Erkenntnisse zu ziehen. Man kann Räder ausleihen, Pedelecs, E-Autos, man kann Strom tanken. Für den Zugang gibt es jetzt schon die App MVG-more. Dort kann man auch sehen, wo Ladestellen für E-Autos sind und ob die gerade frei sind. Die App soll zur Info-Plattform werden, die dann sämtliche Möglichkeiten und Fahrinfos über den Weg anzeigt - mit öffentlichen Verkehrsmitteln, per Rad, mit dem Leihauto, auch im Taxi. Dort sollte man auch buchen können.

Würden sie von einem besonders großen Fortschritt sprechen?

Absolut. Und die Entwicklung freut mich. Fünfzig Jahre dominierte die autogerechte Stadt die Stadtplanung. Erst seit ein paar Jahren haben wir die Möglichkeit für den öffentlichen Verkehr ergänzender nachhaltiger Mobilitätsformen, die vom Menschen ausgehen und wirklich die Stadt verbessern werden.

Was versprechen Sie sich letztlich von dem Projekt?

Die Menschen können durch die Nutzung nachhaltiger Mobilität auf ihr eigenes Auto verzichten. Damit wird Platz frei für Spielangebote, Sitzgelegenheiten, für Plätze und Grünanlagen. Der Straßenraum kann anders verteilt werden. Und die entstehenden Plätze sind gut sichtbar: Man merkt, dass man wirklich mehr Aufenthaltsqualität vor der eigenen Tür hat, wenn man sein Verhalten ändert, auf ein eigenes Auto verzichtet. Langfristig wird dann hoffentlich das Auto nicht mehr das bestimmende Bild in der Stadt sein.

Wie wichtig ist Bürgerbeteiligung?

Sehr wichtig. Wir wollen alles mit den Bürgern gemeinsam entwickeln, da ist viel vorgesehen. Denn die Angebote sollen ja die Bedürfnisse der Bürger erfüllen und auch Spaß machen.

Wie weitreichend ist das Projekt?

Das Projekt wird vom Bundesumweltministerium gefördert, es hat 2016 begonnen und endet im Frühjahr 2020. Inhaltlich sichtbar sollten die Fortschritte spätestens im Frühjahr 2018 sein. Dann sollten die Mobilitätsstationen stehen und das Liefermodell installiert sein, so dass es genutzt und im Dialog mit den Bürgern verbessert werden kann. Danach sollen die Erkenntnisse auf andere Stadtteile und auf Städte in ganz Europa übertragen werden, also Planungsstandards für die Zukunft entwickelt werden. Es gibt noch einige wenige Projekte, die mit ähnlichen Schwerpunkten arbeiten, mit denen wir uns austauschen. So installiert Hamburg parallel ein Projekt, in dem ähnliche Dinge probiert werden.

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