Mobbing unter Jugendlichen:Albtraum Mitschüler

Cybermobbing

Das Mobbing geht auch nach der Schule weiter: im Cyberspace.

(Foto: dpa)

Jeder vierte Jugendliche wird von seinen Schulkameraden schikaniert. Doch mit der Quälerei auf dem Schulweg oder dem Pausenhof ist das Mobbing nicht vorbei - im Internet geht es oft weiter.

Von Stefan Mühleisen

Still sitzt Sarah auf dem Stuhl, reden will sie nicht. Meist blickt die Elfjährige elend zu Boden. Daneben sitzt ihre Mutter, der Rücken gebeugt, das Gesicht vom Kummer gezeichnet. Es ist Mitte Juni dieses Jahres in einem Behandlungsraum im Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie der LMU in der Nussbaumstraße, der Direktor Gerd Schulte-Körne erfährt von seiner Patientin an diesem Tag nur Bruchstücke. Doch es reicht, um zu erkennen, dass Sarah (Name geändert) Angst hat, große Angst - vor der Schule und vor ihren Mitschülern. "Die haben sie als Opfer auserkoren und sie systematisch erniedrigt", weiß Schulte-Körne heute.

Der 54-Jährige Psychiater erzählt die Geschichte von Sarah stellvertretend für einen der häufigsten Auslöser für Depressionen und Angststörungen bei Kinder und Jugendlichen: Mobbing, und der perfiden, modernen Variante: Cybermobbing. Es geht dabei nicht ums Foppen, Flachsen und Necken. Es geht um psychische und mitunter körperliche Gewalt in der Schule, wodurch die Opfer in die Verzweiflung - manchmal in den Selbstmord - getrieben werden. Laut einer Heidelberger Studie ist jeder vierte Schüler von teils grausamer Schikane betroffen, ein Drittel davon entwickelt eine psychische Störung. "Es ist ein ernstes Problem, weil es von den Schulen und auch den Eltern verharmlost wird", berichtet Schulte-Körne.

Schwere Depression durch Mobbing in der Schule

Sarah braucht lange, bis sie die Kraft aufbringt, über ihr Martyrium zu sprechen. 14 Wochen wird sie stationär behandelt, sie hat durch das erbarmungslose Drangsalieren eine schwere Depression entwickelt. Ein Vierteljahr war sie vor der Aufnahme nicht mehr in der Schule, sagt Gerd Schulte-Körne. Ihr Kinderarzt habe sie krankgeschrieben wegen Bauch- und Kopfschmerzen. Diese stellen sich als körperliche Symptome eines seelischen Leidens heraus.

Einzelgespräche mit Therapeuten und das ungezwungene Zusammenleben mit Gleichaltrigen auf der Station helfen Sahra, ihr Schweigen zu brechen. Sie erzählt von der täglichen Tyrannei, im Gang, im Klassenzimmer, beim Sport: "Du bist lahm und hässlich", "Nach der Schule warten wir auf dich". Ein Mädchen ist besonders eifrig, sie wird bald zur Anführerin einer siebenköpfigen Gruppe, die Sarah schonungslos terrorisiert. "Sie haben sie auf dem Schulweg abgepasst, einen Kreis um sie gebildet und gesagt: Pass bloß auf, sonst hauen wir dir auf die Fresse", berichtet Schulte-Körne. Täglich habe sie zudem mehrere Nachrichten aufs Handy bekommen, mit übelsten Beleidigungen und Drohungen.

Viele Eltern unterschätzen die Situation

Sarah berichtet das anfangs noch ihrer Mutter, diese dringt bei Lehrern und der Schulleitung auf Abhilfe. Die Schulsozialarbeit habe zwar mit den Tätern gesprochen. "Das war gut gemeint, aber das Mobbing ging weiter", sagt Schulte-Körne. Die Mutter habe die Situation zudem wohl unterschätzt, wie viele Eltern. Er glaubt: Schüler und Angehörige würden Mobbing oft nicht ernstnehmen. "Ich höre oft: Bei uns an der Schule kommt das nicht vor."

Das städtische Referat für Bildung und Sport versichert hingegen, das Thema sehr ernst zu nehmen. Die staatlichen Schulen, wozu auch Sarahs Mittelschule zählt, sind in München zwar in der Überzahl. Doch an allen 20 städtischen Realschulen und 14 Gymnasien gebe es je mindestens einen Schulpsychologen, teilt eine Behördensprecherin mit, an den 80 Berufsschulen sind es vor allem Sozialarbeiter. "Vorrangiges Ziel ist ein wirksamer Opferschutz." Es gebe verschiedene Ansätze für Mobbing-Intervention: Die Täter werden entweder zunächst nicht beschuldigt ("No-blame-Approach") oder mit ihren Attacken konfrontiert. "Viele städtische Schulen haben das Thema auch in ihrem Leitbild aufgenommen, mit dem Ziel, einen Standpunkt deutlich zu machen", so die Sprecherin.

Sarah geht es inzwischen laut ihres Arztes wieder gut. Sie hat allerdings die Schule gewechselt. Die Täter blieben ungestraft zurück. Womöglich, so mutmaßt Schulte-Körne, haben sie sich schon ein neues Opfer gesucht.

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