Mitten in München:Lauthals im Rudel

Mit vielen Menschen gemeinsam zu grölen, pardon: zu singen, ist nicht nur im Fußballstadion möglich

Von Berthold neff

Bisher ist es ja so: Man zahlt Eintritt und darf dann mit etwa 75 000 Gleichgesinnten die Hymne singen, dass der Beton vibriert: "Stern des Südens, du wirst niemals untergehen, weil wir in guten wie in schlechten Zeiten zueinander stehen." Dieses Forcieren der Stimmbänder geht einher mit dem Anspannen der Kreuzbänder auf dem Rasen, denn im Idealfall wird das Publikum für seine Gesänge mit gutem Fußball belohnt, der einen über die Heiserkeit am Tag danach hinwegtröstet.

In einer solchen Arena wird Rudelbildung vom Schiedsrichter gnadenlos bestraft, weil er diese Zusammenrottung zu Recht als Vorstufe einer Massenschlägerei einstuft. In dem Leben, das es jenseits des Fußballs zu fristen gilt, kommt es derzeit zu einer ganz anderen Form der Rudelbildung, nämlich dem Rudelsingen. Erfunden wurde es vor einigen Jahren von dem Musiker David Rauterberg aus Münster, der zwar Sohn eines Pfarrers ist, seine Tanzband aber dennoch - oder gerade deshalb - "David's Party Devils" nannte. Als Veranstalter von Gospel-Workshops schlug er sich zum Ausgleich auf die Seite Gottes, muss aber irgendwann auf die Idee gekommen sein, dass dies auch eine Nummer größer geht. Deshalb erfand er das "Gruppen-Karaoke" mit musikalischer Live-Begleitung, das es nun auch in München schon zum zweiten Mal gibt - an diesem Donnerstag von 19.30 Uhr an im Theaterzelt "Das Schloss" an der Schwere-Reiter-Straße 15.

Der Erfinder hätte es auch Herden-, Schwarm-, Meute- oder Rottesingen nennen können, aber gut - Rudel gefiel ihm besser. Hatte er ein Wolfsrudel vor dem geistigen Auge? Allerdings dient diesem Raubtier der Gesang, oder vielmehr das gemeinschaftliche Heulen, als Reviermarkierung. Ein solches Wolfsgeheul wird dann von benachbarten Rudeln beantwortet, wobei der musikalische Aspekt nicht unbedingt im Vordergrund steht. Das dürfte auch fürs Rudelsingen gelten, sofern man das Pech hat, neben jemandem zu sitzen, der notorisch falsch singt, dem das Mitgrölen der Gassenhauer fatalerweise aber dadurch erleichtert wird, dass die Texte an die Wand projiziert werden. Vielleicht aber hat man auch Glück und findet zwischen Abba, Drafi Deutscher, Robbie Williams und Nena eine Seele, die stimmlich auf der Höhe ist. Männer, die stets den richtigen Ton treffen, aber der richtigen Frau fürs Leben immer noch nachjagen, sollten die Teilnahme am Rudelsingen in Erwägung ziehen, denn das Publikum ist größtenteils weiblich.

Es bleibt, während alle Münder sperrangelweit geöffnet sind, auch noch eine Frage offen. Warum kostet der Eintritt hier bei uns zwölf Euro, aber fast überall sonst im Land nur neun Euro? Die Antwort ist einfach: In München ist nicht nur das Leben teurer, auch das Singen.

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