Mitten in Solln:Bedingte Ehrenrettung

Der Stammtisch ist als Unwort und Metapher für den Meinungsaustausch der dumpferen Art zwar noch gebräuchlich, aber vielfach unpassend

Von Jürgen Wolfram

Ihr Ruf ist nicht der beste. Dabei hat die Tabakindustrie die Lufthoheit über ihnen längst verloren, und auch das Image als Resonanzboden für reaktionäres Gedankengut scheint überholt zu sein. An Stammtischen machen eher erbauliche Themen die Runde, jedenfalls in Solln. In der "Schützenlust" diskutiert der Maibaumverein, welche Festwonnen er der Bevölkerung bereiten könnte. Im "Sollner Hof" kommt der Rotary-Club zusammen, bei dem lokale und internationale Charity-Aktionen oben auf der Agenda stehen. Und im "Iberl" trifft sich seit jeher das Künstlervolk. Bei Weißbier, Aperol und anderen spritzigen Getränken fällt da vielleicht eine mokante Bewertung des Programms der Sollner Kultbühne ab. Oder Lästerliches über die Semi-Promis aus dem Münchner Süden. An Musikanten-Stammtischen singen sie sogar alpenländische Lieder. Der Stammtisch - als Unwort und Metapher für den Meinungsaustausch der dumpferen Art zwar noch gebräuchlich, aber vielfach unpassend.

In einer Hinsicht allerdings werden die Mini-Soziotope mit der messingartig stabilen Dauerreservierung doch zum öffentlichen Ärgernis: Wenn sie gähnend leer stehen, während sich, wie an Feiertagen, Großfamilien zu zehnt an Tische quetschen, die sich allenfalls für eine Lage zu siebt eignen. Mit der Freigabe der Bastion Stammtisch als Ausweichlösung ist meistens nicht zu rechnen. Vielmehr gilt: "Da hocken die, die oiwei da hocken." Auch wenn weit und breit kein einziger dieser Stammgäste in Sicht kommt, oder ein einzelnes Exemplar sich stundenlang schweigend an seinem Bierglas festhält. In solchen Momenten wäre man gern mal Millionär und würde, ganz im Stil eines Donald Trump, den Laden am liebsten aufkaufen - nur so eine leicht beschwipste Idee.

Unter Stammtischbrüdern und -schwestern ist ein Trend zu beobachten: Sie wandern kreuz und quer durch die gastronomische Landschaft, lassen sich mal hier, mal da nieder. Hoffentlich führt diese Entwicklung bei beflissenen Wirten nicht dazu, vorsorglich das halbe Lokal zu blockieren. Sonst käme der Stammtisch doch wieder in Verruf.

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