Mitten in Obersendling:No noise, no fun

Motorräder, Flugzeuge und Fußballgegröle - das Viertel ist zu laut. Da hilft nur noch eines: Ohropax

Von Jürgen Wolfram

Wer auf dem Weg von Forstenried nach Obersendling verwinkelte Schleichwege bevorzugt, wählt vielleicht die Wilhelm-Busch-Straße in Solln. So lassen sich zwar keine Kilometer, zu gewissen Tageszeiten aber ein paar Minuten sparen. Obendrein ist der Name vortrefflich geeignet, beim Autofahrer Verspannungen zu lösen. Wilhelm Busch, war das nicht der mit den lustigen Sprüchen? Genau. "Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden." Lebte die Witwe Bolte in Obersendling, würde jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihr Echo durch den Münchner Süden hallen: Musik, das ginge ja noch; aber was sonst alles akustisch über die Bewohner des Viertels hereinbricht, strapaziere bis zum Zerreißen Gehörgang und Nerven.

Spätestens seit einer Bürgerversammlung in der vergangenen Woche kennt man den Namen der Seuche: Es handelt sich, wie eine Obersendlingerin, die lieber keine mehr wäre, klar diagnostizierte, um Fun-Lärm. Das Phänomen muss man sich als eine Art Wolke vorstellen. In ihr sammeln sich das Dröhnen aufgemotzter Motorräder, das Donnern von Sightseeing-Flugzeugen sowie das Geratter von Hubschraubern, deren Zweck nicht die Rettung von Unfallopfern ist.

Zu allem Überfluss dringt bei Fußball-Fernsehübertragungen, also praktisch jeden Tag, noch aus der kleinsten Kneipe bis spät in die Nacht lästiges Gejohle. Den Balkon zur Wohnung hätte man sich, da ohne doppelt dickes Ohropax nicht nutzbar, folglich schenken können. Klagen dieser Art enden mit dem Seufzer, die Geräuschkulisse in der Stadt übertreffe selbst diejenige auf dem Land, wo PS-gepolsterte Maschinen ihre Leistungsstärke entfalten.

Ein paar Fragen würde man, ganz dezent natürlich, gern aufwerfen, wenn solches Lamento anhebt. Sie zielen auf die Vorstellung vom Leben in der Millionenstadt. Drängen viele Menschen nicht auch deshalb nach München, um so etwas wie Fun-Lärm endlich einmal zu erleben? Und welche Konsequenzen hätte eine allzu strenge Auslegung dieses Begriffs? Am Ende wäre zu befürchten, die Schreie der Robben in Hellabrunn zur Schaufütterungszeit fielen in die heikle, verbotsnahe Kategorie, das Prosit angeheiterter Floßfahrer oder der schrille Sound aus dem Bandübungsraum des Jugendzentrums. Lebensfreude kennt bekanntlich verschiedene Lautstärken. Max und Moritz, darf man vermuten, wurden vor allem deshalb zu Übeltätern, weil sie ständig ruhig sitzen sollten in ihrem öden Dorf.

Ohne Dezibel-Übertreibungen zu rechtfertigen, wird man festhalten müssen: ein gewisser Lärmpegel gehört zur Großstadt wie Gebäude, die über das zweite Stockwerk hinaus ragen. Auch wenn der Provinzler Wilhelm Busch im Obersendling von heute vermutlich vor Schreck aus dem Bett fallen würde.

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