Mitten in Obersendling:Das Mindestmaß ist die Mass

Lesezeit: 1 min

In den Großgaststätten des Münchner Südens macht sich eine Unsitte breit: Ausgegrenzt werden all jene, die glauben, beim Besuch des Biergartens weniger als einen Liter Helles zu vertragen

Von Jürgen Wolfram

Ausgrenzung ist unschön. Zum Skandal gerät sie, wenn Türsteher Menschen mit dunkler Hautfarbe den Zutritt zur Disco verwehren. Weniger schlimm, wenn auch nicht gerade freundlich gebärden sich Fitness-Studios für Frauen, die Männern den Zutritt verwehren. Kein Wunder, dass ein solches Geschäftsmodell in Obersendling vor ein paar Monaten erst gescheitert ist. Irgendwo im Graubereich zwischen diesen Versuchen, Personengruppen auf Abstand zu halten, macht sich in den Großgaststätten des Münchner Südens eine Unsitte breit: Ausgegrenzt werden all jene, die glauben, beim Besuch des Biergartens weniger als einen Liter Helles zu vertragen. Möglicherweise sind sie auch nur in ihren Führerschein verliebt. Jedenfalls sehen sie sich oft vor die Wahl gestellt, auf andere Getränke auszuweichen, oder den luftigen Bereich des Lokals zu verlassen. Die Mass ist das Mindestmaß der Bestellung. Wem's nicht passt, der möge auf den Terrassenbereich mit Bedienung ausweichen, lassen die Schankkellner wissen. Das sind handfeste Leute, die den Alkoholgehalt einer Flasche Salvator für eine homöopathische Dosis halten.

An den Tischen mit Service geht es dann leider nicht halb so ungezwungen zu wie im Biergarten des Obersendlinger Wirtshauses. Irgendwann kommt ein Schweinsbraten daher, der, um es euphemistisch auszudrücken, durchwachsen anmutet. Das müsse wohl am Fleisch liegen, schlussfolgert messerscharf der Ober. Unsere Vermutungen gehen ebenfalls exakt in diese Richtung. Aus der übereinstimmenden Ursachenforschung resultiert ein Gratis-Espresso. Der wiederum weckt selbst im Dämmerlicht die Sinne, sodass es sich anbietet, die Speisenkarte nochmals kritisch querzulesen. Abgefasst ist sie in schönstem Pseudobayerisch; es gibt "wos fürn Durscht" und zum Dessert "Kaffä oda Tää". Fürs Leben lernt man obendrein Substanzielles: "S' Rauschgoldengal hod koan Rausch". Öha. Hier spätestens fühlt sich jeder Alphabet ausgegrenzt, der weniger als zwei Halbe erwischt hat und leidlich bei Verstand ist. Er muss nicht einmal aus Preußen stammen.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: