Mitten in München:Ein Handtuch in der U-Bahn

Am Strand werden Liegen und Sonnenschirme belegt, doch die Reservierungs-Unsitte hat auch in der Großstadt schon Einzug gehalten

Kolumne Von Nicole Graner

Plätze belegen: Für diese unsägliche Sitte gibt es viele Beispiele. Am Strand liegen sie, die Handtücher. Fein säuberlich ausgebreitet über den Liegestühlen. Typisch deutsch, mag man sagen. Und das Klischee scheint zu stimmen. Denn glaubt man einer Umfrage, belegt jeder dritte Deutsche mit Handtüchern Liegestühle. Oder Plätze in der Sauna. Als getoastete Platzhalter sozusagen. Aber wenn es ja nur Handtücher wären! Die Objekte des Reservierens sind auch gerne Bücher, in denen stundenlang nicht geblättert geschweige gelesen wird. Und wenn es keine Badetücher gibt, werden etwa bei bestuhlten Open-Air-Veranstaltungen Schirme oder bei Jazzkonzerten Kopfbedeckungen ausgelegt. Und es gibt sogar Menschen, die auf einer Wüstensafari im Sand aus Steinen eine Art Areal markieren. Oh je! Das Klischee!

Dass es nun auch Platzreservierungen in der U-Bahn gibt, zeigt eine neue Dimension des Phänomens. Der Wagen der U 6 in Richtung Garching-Hochbrück ist nicht ganz voll. Ein Fahrgast will sich setzen, allerdings liegt auf dem Sitzplatz eine Jacke. "Entschuldigung", sagt er zum bereits Sitzenden, "könnten Sie bitte Ihre Jacke wegnehmen?". Der Mann schüttelt den Kopf. "Nein, der Platz ist leider reserviert." Da komme noch jemand. Wie bitte? Große Augen und heftiges Kopfschütteln bei den anderen Fahrgästen. Wer soll denn da kommen? Das gehöre sich nicht, und Reservierungen gebe es in der U-Bahn nicht, lauten die Kommentare. Der Mann schüttelt den Kopf und denkt nicht daran, die Jacke wegzunehmen.

Der Bittsteller findet woanders einen Platz - immer wieder fassungslos den Kopf schüttelnd. Die Jacke liegt vom Goetheplatz bis zur Giselastraße auf dem Sitz. Unberührt! Zurück zur Umfrage: Wenn sie stimmt, dürften in diesem Waggon ja wohl im Sommer einige Fahrgäste mit Handtüchern Liegestühle reservieren. An der Haltestelle Giselastraße im mittlerweile vollen Abteil setzt sich dann eine mit vielen Tüten bepackte junge Frau einfach auf die Jacke. Ihr ist das deutsche Phänomen des Reservierens völlig unbekannt - sie stammt aus Nigeria.

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