Mitten in Hadern:Nisten für immer und ewig

Wer frühmorgens und in der Dämmerung dem Gesang der Amseln lauschen will, muss ein paar Opfer bringen. Das Betreten der Terrasse zum Beispiel ist während der Brutzeit kaum möglich, anderenfalls wäre es um den Nachwuchs geschehen

Von Berthold Neff

Mittlerweile reden ja fast alle über das städtische Projekt "Wohnen für alle". Bürger, die es sich gemütlich gemacht hatten in den eigenen vier Wänden, sehen rot, sobald sich die ersten Landvermesser dem geliebten Grün nähern, auf das sie einen so wunderbaren Blick aus dem Wohnzimmer genießen. Menschen, deren Eigenheim samt Garage fast so viel Grün versiegelt wie die Grundfläche dieser "Wohnen-für-alle"-Bauten, werfen sich deshalb mit aller Macht ins Ringen um die Bewahrung der Schöpfung.

Unsereinem bleibt ein solch weiter Blick ins Grüne verwehrt, so dass man sich nicht mit der moralisch heiklen Frage auseinandersetzen muss, ob man lieber den Bolzplatz vor der Haustür rettet oder aber mithilft, dass Menschen ohne Bleibe ein Dach über dem Kopf bekommen. Der Parkplatz, vor dessen Anblick uns glücklicherweise eine Holzwand bewahrt, wird wohl noch gebraucht, ein Schicksal als Bauerwartungsland dürfte ihm erspart bleiben.

Mit dem Wohnen haben wir gleichwohl ein ziemliches Problem - nicht mit dem für alle, sondern mit jenem für ewig. Anfang März, als zwei Amseln sich ihre Behausung in etwa zwei Metern Höhe im Geißblatt ohne Bauantrag, geschweige denn Baugenehmigung errichteten, drückte man ein Auge zu und verschloss die Terrassentür, um das traute Familienglück nicht zu stören. Und was soll man sagen: Die Brut verlief störungsfrei, wie man spätestens aus dem Piepsen des Nachwuchses schließen konnte. Da aber Undank oft der Welten Lohn ist, verkrümelten sie sich, kaum flügge geworden, grußlos über Nacht.

Ein paar Tage später, als der Frühjahrsputz der Terrasse endlich beginnen sollte, war die Amsel wieder da. Sie brütet wieder, ließ sich auch vom Schnee nicht aus der Ruhe bringen. Ist es dieselbe Familie wie im März? Schwer zu sagen. Ihr Verhalten hat sich nicht geändert. Sie baut darauf, dass dieser Mensch dort hinter der Terrassentür sich weiter unauffällig verhält. Sollte es in diesem Frühjahr aber doch noch mal warm und sonnig werden, sagen wir es ihnen bereits jetzt: Ich komme raus. Habt keine Angst. Bin nur ein Mensch.

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